Leitsatz
1. Bleiben die Gewinnbezugs- und Stimmrechte, mit denen ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft ausgestattet ist, erheblich hinter dem Anteil am Nominalkapital zurück, ist dies bei der Ermittlung des gemeinen Werts des Anteils regelmäßig wertmindernd zu berücksichtigen, sofern die Liquidation der Gesellschaft nicht konkret absehbar ist.
2. Der Steuerpflichtige, der für eine Sachzuwendung einen höheren Wertansatz als den vom FA für zutreffend gehaltenen begehrt, trägt hierfür die Feststellungslast. Das FA trägt jedoch die Feststellungslast für die tatsächlichen Umstände, die zu einem Wegfall des Schutzes des Vertrauens in die Richtigkeit der Zuwendungsbestätigung führen.
3. Da eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast lediglich eine "ultima ratio" darstellt, ist zunächst der Sachverhalt aufzuklären, insbesondere der Beteiligte, aus dessen Sphäre die entscheidungserheblichen Tatsachen stammen, zur Mitwirkung aufzufordern. Sollten die Mitwirkungspflichten verletzt werden, ist vor einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast eine Reduzierung des Beweismaßes vorzunehmen.
4. Bei Anwendung der Vertrauensschutzregelung des § 10b Abs. 4 Satz 1 EStG ist es dem Zuwendenden zuzurechnen, wenn Personen, die er in Ausweitung seines Risikobereichs in die Abwicklung der Zuwendung eingeschaltet hat, Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigung haben.
5. Die zulässige Erhebung einer Sprungklage setzt in einer Verpflichtungssituation voraus, dass die Behörde zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts durch Verwaltungsakt abgelehnt hat.
Normenkette
§ 10b Abs. 3 Satz 3 EStG in der bis 2008 geltenden Fassung, § 10b Abs. 4 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1, § 45 Abs. 3, § 118 Abs. 2 FGO, § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2, § 97 Abs. 1b BewG, § 29 Abs. 3 Satz 2, § 34, § 50 Abs. 1 und 2, § 53, § 60 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 61, § 66, § 72 Satz 1 GmbHG
Sachverhalt
Der Kläger war mit vier anderen Gesellschaftern an einer X-Holding-GmbH (Stammkapital 25.000 EUR) beteiligt. Zusammen mit seinen Mitgesellschaftern gründete er 2007 eine Stiftung, auf die noch in diesem Jahr ein Anteil an der X-Holding im Nennwert von 22.250 EUR (89 %) übertragen wurde. Dieser Anteil vermittelt nur 1 % der Stimmrechte und des Jahresergebnisses. Die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters soll laut Gesellschaftsvertrag zum Buchwert der Anteile erfolgen, sich bei einer Differenz zwischen Buch- und Verkehrswert von über 40 % aber auf jedenfalls 60 % des Verkehrswerts belaufen. 2007 erzielte die X-Holding-GmbH einen Gewinn von gut 30 Mio. EUR.
2008 erstellte die Stiftung, deren Vorstand der Mitgesellschafter A war, für den Kläger eine von A unterschriebene Zuwendungsbestätigung i.H.v. 8,3 Mio. EUR. Darin wurde u.a. erklärt, dass geeignete Unterlagen vorlägen, die zur Wertermittlung gedient hätten. Der für die übertragene 89 %-Beteiligung an der X-Holding-GmbH angenommene Wert von 41,5 Mio. EUR beruhte auf einer Wertermittlung der A-Steuerberatungs-GmbH aus dem Jahr 2007, deren Gesellschafter und einziger Geschäftsführer A war. Die Wertermittlung beruhte auf dem Stuttgarter Verfahren; sie ging auf die disquotalen Stimm- und Gewinnbezugsrechte nicht ein. In einem weiteren Vermerk des Rechtsanwalts und Steuerberaters B aus dem Jahr 2013, der während der Außenprüfung vorgelegt wurde, wurde diese Wertermittlung aus dem Jahr 2007 als zutreffend bestätigt; der Vermerk nannte aber zusätzlich als "Kontrollüberlegungen" die folgenden anders ermittelten Gesamtwerte für die X-Holding-GmbH (von denen 89 % auf die Stiftung entfielen):
- 61, 6 Mio. EUR (reines Substanzwertverfahren),
- 72,9 Mio. EUR (vereinfachtes Ertragswertverfahren),
- 81,8 Mio. EUR (Leitfaden der OFD Münster und Düsseldorf).
Das FA ermittelte demgegenüber einen Wert der auf die Stiftung übertragenen X-Holding-GmbH-Anteile von 840.250 EUR, den es wie folgt errechnete: 89 % des Stammkapitals der X-Holding-GmbH (25.000 EUR) plus 1 % des ihr Stammkapital übersteigenden Werts (81,8 Mio. EUR). Einen Vertrauensschutz nach § 10b Abs. 4 Satz 1 EStG sah das FA nicht als gegeben an. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Münster, Urteil vom 20.5.2020, 7 K 3210/17 E,F, Haufe-Index 13913277).
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung. Die Schätzung des FG war zu beanstanden, weil sie methodisch in sich widersprüchlich war und nicht alle für die Schätzung erheblichen Umstände berücksichtigte. Zudem fehlten konkrete Tatsachenfeststellungen des FG zu der Frage, ob der Kläger auf die Zuwendungsbestätigung vertrauen durfte.
Hinweis
Obwohl dieses Urteil sich vordergründig im Wesentlichen mit einer nur bis 2007 geltenden Rechtslage zu befassen hatte, wurde es insbesondere wegen der grundlegenden Erläuterungen zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften mit disquotalen Gewinnbezugs- und Stimmrechten zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt.
1. Für die Ermittlung des gemeinen Werts von...