Prof. Dr. Joachim S. Tanski
Rz. 90
Im Bilanzrecht sind eine Reihe von Bewertungsvereinfachungen vorgesehen, die die Rechnungslegung und Erstellung des Jahresabschlusses vereinfachen sollen und können. So sind Anlagegüter nach ihrer voraussichtlichen bzw. betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer abzuschreiben (§ 253 Abs. 3 Satz 2 HGB, § 7 Abs. 1 Satz 2 EStG). Die hierfür erstellten AfA-Tabellen werden häufig als fixe Vorgaben oder gar Normierungen der Nutzungsdauer missverstanden. Tatsächlich handelt es sich aus Sicht des Steuerpflichtigen lediglich um eine Bewertungsvereinfachung dergestalt, dass langwierige Verhandlungen mit der Finanzverwaltung über die anzusetzende Nutzungsdauer entfallen können.
Unter der "tatsächlichen Nutzungsdauer" ist der Zeitraum zu verstehen, in dem das Wirtschaftsgut erfahrungsgemäß verwendet oder genutzt werden kann. Die Ermittlung der Nutzungsdauer erfolgt im Schätzungswege. Als Hilfsmittel für die Schätzung der Nutzungsdauer hat das BMF unter Beteiligung der Fachverbände der Wirtschaft AfA-Tabellen für allgemein verwendbare Anlagegüter und für verschiedene Wirtschaftszweige herausgegeben (sog. "amtliche AfA-Tabellen"). Sie berücksichtigen sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes. Sie haben zunächst die Vermutung der Richtigkeit für sich, sind aber für die Gerichte nicht bindend. Es handelt sich um eine sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, der keine Rechtsnormqualität zukommt. Für das Finanzamt haben diese AfA-Tabellen den Charakter einer Dienstanweisung. Für den Steuerpflichtigen handelt es sich um das Angebot der Verwaltung für eine tatsächliche Verständigung im Rahmen einer Schätzung, das er, z. B. durch die Anwendung der Tabelle bei der Berechnung seiner Einkünfte, annehmen kann (aber nicht muss). Das Finanzgericht kann von der in der AfA-Tabelle festgelegten Nutzungsdauer generell – also unabhängig vom Einzelfall – nur abweichen, wenn es sich mit den Erkenntnisgrundlagen der Finanzverwaltung auseinandergesetzt hat. Entsprechendes gilt für die am Besteuerungsverfahren Beteiligten.
Von den Werten der AfA-Tabellen kann insbesondere bei Nutzung der Güter im Mehrschichtbetrieb oder bei besonderen Verwendungsformen abgewichen werden. Selbstverständlich kann auch jederzeit eine unternehmensindividuelle – kürzere oder längere – Nutzungsdauer angesetzt und nachgewiesen werden.