Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergehen eines Beweisantritts; keine Beiladung des Ehegatten bei Aufhebung der Kindergeldfestsetzung; Divergenz erfordert vergleichbare Sachverhalte
Leitsatz (NV)
- Die ordnungsgemäße Rüge, das FG habe einen Beweisantritt übergangen, erfordert den Vortrag, in welchem Schriftsatz der Beweis angeboten worden ist.
- Wird eine Kindergeldfestsetzung gegenüber einem Vater aufgehoben und die Aufhebung von diesem angefochten, ist die Ehefrau nicht notwendig zum Klageverfahren beizuladen.
- Die für eine schlüssige Divergenzrüge erforderliche Vergleichbarkeit des Sachverhalts für die Frage, ob ein inländischer Wohnsitz besteht, ist nicht gegeben, wenn einerseits minderjährige Kinder mit ihrer Mutter im Libanon leben und zur Schule gehen und sich lediglich in den Ferien in Deutschland aufhalten und wenn andererseits ein Kind am Studienort keinen unabhängigen Haushalt führt und sich regelmäßig an den Wochenenden und in den Semesterferien in der elterlichen Wohnung aufhält.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3, § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2; AO 1977 § 8
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 17.10.2003; Aktenzeichen 10 K 10129/02) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision schlüssig i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
1. Für die schlüssige Rüge, das Finanzgericht (FG) habe den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), hätte der Kläger u.a. vortragen müssen, welche konkreten Beweise das FG zu der vom Kläger behaupteten Aufenthaltsdauer seiner Kinder im Inland hätte erheben oder welche konkrete sonstige Aufklärungsmaßnahme es hätte ergreifen müssen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 24. Februar 1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819, unter II.1. der Gründe). Außerdem hätte dargelegt werden müssen, warum der sachkundig vertretene Kläger nicht von sich aus die Erhebung weiterer Beweise oder die Vornahme bestimmter zusätzlicher Ermittlungen spätestens in der mündlichen Verhandlung beantragt hat (Verzicht des Rügerechts gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung; vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 1993 V B 25/93, BFH/NV 1995, 307; vom 24. Juni 1996 VIII B 127/95, BFH/NV 1996, 842). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Ihr ist nicht zu entnehmen, welchen konkreten Beweis das FG hätte erheben oder welche konkrete Aufklärungsmaßnahme es hätte ergreifen sollen.
Soweit der Kläger mit dem Vorbringen, er habe unter Beweis gestellt, seine Kinder hätten mehr als sechs Monate jährlich im Inland gelebt, das Übergehen eines Beweisantritts rügen will, hätte er vortragen müssen, in welchem Schriftsatz er welchen Beweis angeboten hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Juli 1998 V R 68/96, BFHE 186, 161, BStBl II 1998, 637). Derartige Angaben sind der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen.
2. Auch die Rüge, das FG habe einen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es die Ehefrau des Klägers nicht zu dem Prozess beigeladen habe, ist unschlüssig. Denn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 FGO (notwendige Beiladung) sind nicht erfüllt. Dass die Ehefrau eines Kindergeldberechtigten mittelbar wirtschaftlich betroffen ist, wenn eine zu Gunsten ihres Ehemannes ergangene Kindergeldfestsetzung diesem gegenüber aufgehoben wird, bedeutet nicht, dass die Entscheidung über die Aufhebung den Eheleuten gegenüber nur einheitlich i.S. des § 60 Abs. 3 FGO ergehen kann.
3. Mit dem Vorbringen, spezielle Aspekte des Streitfalles seien noch nicht höchstrichterlich entschieden worden, wird nicht schlüssig dargelegt, dass die Revision zuzulassen ist, weil die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
4. Der Kläger hat eine Abweichung der Vorentscheidung von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. September 1996 10 RKg 29/95 (BSGE 79, 147) nicht dargelegt. Denn das FG hat seine Entscheidung, die Kinder des Klägers hätten ihren Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung ―AO 1977―) im Libanon gehabt, nicht auf einen durch das Urteil des BSG aufgegebenen "pauschalierenden Erfahrungssatz" oder eine aufgegebene "Regelvermutung" gestützt. Vielmehr hat es seine Entscheidung mit den Gesamtumständen des Streitfalles begründet (vgl. S. 6 unten des Urteils).
5. Auch eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des BFH hat der Kläger nicht schlüssig gerügt. Denn das FG hat nicht in Frage gestellt, dass im Einzelfall ―wovon auch der Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 ausgeht― zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen können (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Außerdem setzt eine Divergenz vergleichbare Sachverhalte voraus. Der Sachverhalt, dass minderjährige Kinder mit ihrer Mutter in einer Mietwohnung im Libanon leben und dort zur Schule gehen und sich lediglich in den Ferien in Deutschland aufhalten, ist aber nicht mit dem vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt vergleichbar, dass ein Kind weiterhin dem Haushalt seiner Eltern angehört, wenn es am Studienort keinen unabhängigen Haushalt führt und regelmäßig an den Wochenenden und in den Semesterferien in die elterliche Wohnung zurückkehrt (BFH-Urteil vom 23. April 2002 IX R 52/99, BFHE 198, 573, BStBl II 2003, 234).
6. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen