Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Irrtum über den Lauf der Revisionsfrist grundsätzlich nicht unverschuldet
Leitsatz (NV)
Wird gegen ein FG-Urteil sowohl Revision als auch Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und verwirft der BFH die Revision unter gleichzeitiger Stattgabe der Beschwerde, ist die zugelassene Revision innerhalb der Revisionsfrist von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses einzulegen. Der Irrtum des Prozeßbevollmächtigten, der Beschluß über die Verwerfung der Revision betreffe die zugelassene Revision und ein Rechtsmittel sei deshalb nicht mehr gegeben, ist nicht unverschuldet.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) nur zum Teil statt.
Gegen das Urteil des FG, in dem die Revision nicht zugelassen worden war, legten die Kläger zugleich Revision (Az. III R ... ) und Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (Az. III B ... ) ein.
Mit Beschluß vom ... III B ... ließ der erkennende Senat die Revision gegen das Urteil des FG zu. Die Entscheidung erging gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ohne Angabe von Gründen. Mit Beschluß vom selben Tage III R ... verwarf der erkennende Senat die Revision als unzulässig. Er führte aus, die Revision sei nicht nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne Zulassung statthaft. Zwar habe der Senat mit dem Beschluß III B ... die Revision auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zugelassen. Eine gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision werde aber nicht dadurch statthaft, daß die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg habe (Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, Beschluß vom 23. Januar 1995 X R 126/94, BFH/NV 1995, 808, m. w. N.).
Die Beschlüsse vom ... wurden dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 6. Dezember 1995 durch Postzustellungsurkunde in einer Sendung zugestellt.
Mit dem am 19. Dezember 1995 beim BFH eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage (Telefax) wandten sich die Kläger gegen den Beschluß des Senats III R ... Sie führten aus, sie hätten nach der Zulassung der Revision durch den Beschluß III B ... Gelegenheit erhalten müssen, die Revision ergänzend zu begründen. Mit der Zulassung und der gleichzeitigen Verwerfung der Revision werde ihnen, den Klägern, nicht der gebührende Rechtsschutz eingeräumt.
Mit Schreiben vom 3. Januar 1996, beim Prozeßbevollmächtigten nach dessen Eingangsstempel eingegangen am 8. Januar 1996, teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem Prozeßbevollmächtigten unter Bezug auf dessen Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 mit, der Beschluß III R ... betreffe lediglich die eingelegte zulassungsfreie Revision. Dieses Verfahren sei abgeschlossen. Durch den Beschluß III B ... sei die Revision zugelassen worden. Er, der Prozeßbevollmächtigte, werde zu prüfen haben, ob er nunmehr die zugelassene Revision fristgerecht einlegen und begründen wolle.
Mit dem am 10. Januar 1996 beim BFH und nach Weiterleitung an das FG am 12. Januar 1996 dort eingegangenen Schriftsatz vom 9. Januar 1996 legten die Kläger Revision ein, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.
Mit Schreiben vom 5. Februar 1996 wies der Vorsitzende des erkennenden Senats den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, die Revisionsfrist habe am 8. Januar 1996 geendet. Die Revision sei aber beim FG erst am 12. Januar 1996 und daher verspätet eingegangen.
Mit dem am 16. Februar 1996 beim BFH eingegangenen Schriftsatz (Telefax) begehren die Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihr Prozeßbevollmächtigter führt aus, durch den Zugang des Beschlusses über die Verwerfung der Revision zusammen mit dem Beschluß über die Zulassung der Revision sei bei ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, eine "Konfusion" dergestalt entstanden, daß er der Auffassung gewesen sei, der Beschluß über die Revisionszu lassung sei durch den Beschluß über die Verwerfung der Revision zunichte gemacht worden und die Sache habe ihre Erledigung gefunden. Deshalb habe er unter dem 19. Dezember 1995 gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde erhoben und unter dem gleichen Datum mittels Telefax beim BFH Rechtsmittel eingelegt.
Ungewöhnlich und bei ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, erstmalig vorgekommen sei die Zustellung von zwei Beschlüssen mit zueinander passenden Aussprüchen in einem Briefumschlag zu demselben FG-Urteil. Aus seinem Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 ergebe sich sein Wille, gegen die am 6. Dezember 1995 zugestellte Entscheidung vorzugehen. Erst durch das am 8. Januar 1996 bei ihm eingegangene Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 3. Januar 1996 sei ihm bewußt geworden, daß der Verwerfungsbeschluß III R ... nicht an den Zulassungsbeschluß III B ... gekoppelt gewesen sei. Deshalb habe er sofort mit Schriftsatz vom 9. Januar 1996 Revision eingelegt. Daß die Revisionsfrist inzwischen abgelaufen gewesen sei, sei ihm, dem Prozeßbevollmächtigten, nicht bewußt geworden. Er bitte, bereits seinen Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 als Rechtsmittelschrift anzusehen. Auch wenn die vermutete Urteilskoppelung von ihm mißverstanden worden sei, zeige dieser Schriftsatz bereits den Kern seiner Eingabe und die vorhandene Beschwer. Zumindest hätte man ihn auf den Irrtum aufmerksam machen können, so daß ihm eine termingerechte Revisionseinlegung über das FG möglich gewesen wäre.
Im übrigen sei die Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 25. Oktober 1995 III B ... durch Niederlegung am 6. Dezember 1995 fehlerhaft. Er, der Prozeßbevollmächtigte, habe sich zu dieser Zeit zur Behandlung im Krankenhaus befunden. Der Post zustellungsauftrag habe nicht erkennen lassen, um was für eine Zustellung es sich gehandelt habe. Er habe deshalb nicht von einer gerichtlichen Zustellung ausgehen können, zumal ihm finanzgerichtliche Sendungen bisher stets als Einschreiben übermittelt worden seien. Der Postzustellungsauftrag weise im 1. Feld lediglich die Nr. ... und keine weiteren Angaben auf.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die angefochtenen Bescheide 1983 bis 1985 dahingehend abzuändern, daß die als nachträgliche Betriebsausgaben geltend gemachten Beträge entsprechend den Einkommensteuererklärungen berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision betrifft -- anders als die Verfahren III R ... und III B ... -- nur die Jahre 1983 bis 1985. Eingangs ihrer Revisionsschrift haben die Kläger zwar auch das Jahr 1982 angeführt. Mit ihrer Revision begehren sie indes lediglich noch die Berücksichtigung ihrer Aufwendungen im Zusammenhang mit den liquidierten ... -Unternehmen, die -- wie sich aus dem angegriffenen FG- Urteil ergibt -- in den Jahren 1983 bis 1985 angefallen sind. Obwohl die Kläger in ihren Antrag, der sich auf die Jahre 1983 und 1984 bezieht, das Jahr 1985 nicht aufgenommen haben, versteht der Senat die Anführung des Jahres 1985 auf Seite 1 der Revisionsschrift dahingehend, daß auch dieses Jahr streitbefangen ist, da auch in diesem Jahr als nachträgliche Betriebsausgaben geltend gemachte Aufwendungen angefallen sind.
2. Die Revision ist unzulässig. Sie ist zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Kläger haben die Revision nicht fristgerecht erhoben. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist liegen nicht vor.
a) Die Revisionsfrist von einem Monat wurde durch die Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision III B ... durch Niederlegung am 6. Dezember 1995 in Lauf gesetzt (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 FGO, § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes -- VwZG --, §§ 181, 182 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Sie endete gemäß § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO am 8. Januar 1996. Die Revisionsschrift der Kläger vom 9. Januar 1996 ist indes nach Weiterleitung durch den BFH erst am 12. Januar 1996 und somit verspätet beim FG eingegangen.
Der Einwand der Kläger gegen die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung des Zulassungsbeschlusses III B ... greift nicht durch. Die Zustellungsurkunde enthält die in § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG vorgeschriebenen Angaben. Insbesondere sind dort zutreffend die Az. III R ... und III B ... des Revisions- bzw. des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens angegeben. Ferner wurde der Inhalt der Sendung durch den Hinweis "2 Beschlüsse vom 25. 10. 1995" eindeutig gekennzeichnet.
Entgegen der Meinung der Kläger kann nicht bereits ihr am 19. Dezember 1995 beim BFH eingegangener Schriftsatz als fristwahrende Revisionsschrift angesehen werden. Zum einen muß eine Revision eindeutig erkennen lassen, daß ein Urteil eines FG dem BFH zur Prüfung unterbreitet wird, also ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gewollt ist (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 120 FGO Tz. 3, m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall, da sich die Kläger damit in erster Linie gegen den Beschluß III R ... über die Verwerfung ihrer Revision wenden; infolgedessen ist im Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 die Entscheidung des FG auch nicht als angefochtenes Urteil i. S. des § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO angegeben. Zum anderen ist die Revision gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO beim FG als Empfangsbehörde, nicht beim BFH, einzulegen. Dies gilt auch dann, wenn -- wie hier -- der BFH die Revision aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen hat (Tipke/Kruse, a.a.O., § 120 FGO Tz. 34). Die Adressierung des Schriftsatzes an den BFH entspricht dem nicht. Durch die Übermittlung an den BFH haben die Kläger daher auch die Revisionsfrist nicht gewahrt. Sie wurden mit dem -- nach dem Eingangsstempel des Prozeßbevollmächtigten am letzten Tag der Revisionsfrist (8. Januar 1996) bei ihm eingegangenen -- Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats zutreffend auf den Abschluß des Revisionsverfahrens III R ... und die nach Zulassung durch den Senat mit dem Beschluß III B ... gegebene Möglichkeit der Revisionseinlegung hingewiesen.
b) Im Streitfall liegen auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist vor. Die Kläger waren nicht ohne Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten an der Einhaltung der einmonatigen Revisionsfrist gehindert. Das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten ist den Klägern nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen (ständige Rechtsprechung des BFH, s. z. B. den Beschluß des Senats vom 7. Februar 1992 III R 57/91, BFH/NV 1992, 615).
Der Senat versteht das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten in seinem Wiedereinsetzungsgesuch dahingehend, daß er irrtümlich der Meinung war, der Beschluß über die Verwerfung der Revision III R ... betreffe die mit dem Zulassungsbeschluß III B ... zugelassene Revision. Daraus zog er den -- unzutreffenden -- Schluß, eine Revision gegen das Urteil des FG sei nunmehr nicht mehr möglich. Gegen diese von ihm angenommene prozessuale Situation wandte er sich zunächst mit dem an den BFH gerichteten Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 und legte erst auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 3. Januar 1996 -- nach Fristablauf -- Revision ein.
Die vom Prozeßbevollmächtigten gegebene Erklärung vermag die Versäumung der Revisionsfrist nicht ausreichend zu entschuldigen. Der Prozeßbevollmächtigte hätte bereits anhand des Gesetzestextes (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) sowie auch aufgrund der der Vorentscheidung beigefügten Rechtsmittelbelehrung feststellen können, daß auch im Fall der gleichzeitigen Erhebung von Revision und Nichtzulassungsbeschwerde bei Verwerfung der Revision und Stattgabe der Beschwerde die zugelassene Revision innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses statthaft ist. Ferner konnte der Prozeßbevollmächtigte dies dem Beschluß III R ... entnehmen, in dem der Senat darauf hingewiesen hat, die gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision sei nicht bereits dadurch, daß die Beschwerde Erfolg hatte, statthaft geworden. Soweit der Prozeßbevollmächtigte auf eine durch die gleichzeitige Übersendung der Entscheidungen des Senats vom 25. Oktober 1995 zurückzuführende "Konfusion" hinweist, hätte er einschlägige Erläuterungswerke zu Rate ziehen müssen. Im übrigen hätte er nach Erhalt der Hinweise im Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 3. Januar 1996 am 8. Januar 1996 noch rechtzeitig -- z. B. durch Telefax -- Revision einlegen können.
Ferner war der Prozeßbevollmächtigte auch nicht durch Krankheit verhindert, rechtzeitig Revision einzulegen. Sein Hinweis, er sei zur Zeit der Zustellung der Beschlüsse des Senats vom 25. Oktober 1995 im Krankenhaus gewesen, besagt nichts über die Dauer seines Krankenhausaufenthaltes sowie darüber, daß sich dieser auf die Möglichkeit einer rechtzeitigen Revisionseinlegung ausgewirkt haben könnte.
Fehl geht schließlich auch in diesem Zusammenhang der Einwand der Kläger, bereits ihr Schriftsatz vom 19. Dezember 1995 sei als Revision zu behandeln. Als berufsmäßiger Vertreter mußte der Prozeßbevollmächtigte wissen, daß die Revision beim FG einzulegen ist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Auch dies hätte er im übrigen der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils entnehmen können. Im übrigen ist der Prozeßbevollmächtigte -- wie dargelegt -- noch rechtzeitig vor Fristablauf vom Vorsitzenden des erkennenden Senats auf die Möglichkeit der Revisionseinlegung hingewiesen worden.
Fundstellen
Haufe-Index 421401 |
BFH/NV 1997, 117 |