Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwechslung der Nichtzulassungsbeschwerde mit der Revision
Leitsatz (NV)
1. Zur Versäumung der Beschwerdefrist für die Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verfristung der Nichtzulassungsbeschwerde, die darauf zurückzuführen ist, daß statt der Nichtzulassungsbeschwerde versehentlich eine "Revision" an das FG abgesandt wurde, weil der Rechtsanwalt die irrtümlich verfaßte und unterzeichnete "Revision", ohne sie zumindest als ungültig zu kennzeichnen, in der Unterschriftsmappe beließ, in der sich auch die Nichtzulassungsbeschwerde befand.
Normenkette
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2; FGO § 54 Abs. 2, § 56 Abs. 1; ZPO § 222 Abs. 1-2
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), einen Rechtsanwalt, zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Vermögensverzeichnisses an Amtsstelle aufgefordert, weil Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn erfolglos verlaufen waren. Das FA wies die Einwendungen des Klägers gegen die Anordnung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zurück. Die Beschwerde dagegen blieb erfolglos.
Das die Klage abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Kläger am 18. August 1994 zugestellt. Der Kläger legte gegen das Urteil am 19. September 1994 (Eingang beim FG) Revision ein, ohne diese zu begründen. Am 20. Oktober 1994 (Eingang beim FG) legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete er wie folgt: Er habe sich während der Gerichtsferien bis zum 18. September 1994 wie schon seit Jahren in X aufgehalten. Die Post habe er während dieser Zeit über das Schreibbüro Y erledigen lassen. Die vorgelegte "Revision" sei dort geschrieben worden. Bei Unterzeichnung dieser -- ihm in der Unterschriftenmappe vorgelegten -- Revision habe er bemerkt, daß statt "Revision" Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen sei. Er habe diese von Z neu schreiben lassen, sie unterschrieben und der Z erklärt, daß die "Beschwerde" einzureichen sei, nicht aber die "Revision". Dieses Schriftstück sei zu vernichten. Z habe die Anweisung bestätigt. Dennoch habe sie die Schreiben verwechselt und die "Revision" vorgelegt. Am 16. Oktober habe er einen Fristeintrag in dieser Sache für den 18. Oktober 1994 im Kalender für die Revisionsbegründung festgestellt, der von Z gestammt habe. Bei Überprüfung der Akte sei dann festgestellt worden, daß sich die unterschriebene Beschwerde in der Akte befinde und statt ihrer von Z irrtümlich die Revision eingereicht worden sei. Z habe durch jahrelange Tätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei Erfahrung; sie kenne sich aus, so daß er sich auf sie habe verlassen können. Am 28. Dezember 1994 hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Z vorgelegt, die die Richtigkeit der Schilderung des Klägers bestätigt.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat (§ 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) eingelegt worden ist und die vom Kläger wegen der Fristversäumung beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) versagt werden muß.
a) Der Kläger hat mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde die Beschwerdefrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils versäumt. Die Frist begann mit der Zustellung des FG-Urteils an den Kläger am 18. August 1994 und endete mit Ablauf des 19. September 1994, weil der letzte Tag der Monatsfrist (18. September 1994) auf einen Sonntag fiel (§ 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Beschwerde ist erst am 20. Oktober 1994, und damit verspätet beim FG eingegangen.
b) Dem Kläger kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Der Kläger hat jedoch nicht schlüssig dargelegt, daß ihn an der Versäumung der Beschwerdefrist kein Verschulden traf.
Der Kläger selbst hat die Versäumung der Beschwerdefrist dadurch verursacht, daß er die "Revision" in der Unterschriftsmappe beließ und sie auch nicht wenigstens als ungültig kennzeichnete. Dadurch hat er die Verwechslung der Nichtzulassungsbeschwerde mit der "Revision" begünstigt und somit verursacht, daß Z statt der Nichtzulassungsbeschwerde die "Revision" abgesandt hat.
Insoweit trifft den Kläger auch ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist. Jedes Verschulden -- auch leichte Fahrlässigkeit -- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob der Beurteilung der für den Betroffenen strengere objektivierte Verschuldensbegriff oder der auf die individuellen Fähigkeiten Rücksicht nehmende individuelle Verschuldensbegriff zugrunde zu legen ist (vgl. zum Meinungsstreit Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rz. 11). Denn auch bei Anwendung des individuellen Verschuldensbegriffs trifft den Kläger nach den Umständen ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist. Der Kläger hätte als Rechtsanwalt die Gefahr erkennen können und müssen, daß die von ihm bereits unterschriebene "Revision" mit der in gleicher Sache verfaßten Nichtzulassungsbeschwerde verwechselt und statt ihrer abgesandt wird. Deshalb hätte er die "Revision" selber vernichten oder zumindest als ungültig kennzeichnen müssen.
Da den Kläger somit ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist trifft, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Büroversehen vorliegt und der Kläger sich für dieses exculpieren kann.
Fundstellen
Haufe-Index 420546 |
BFH/NV 1995, 897 |