Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision wegen Abweichung; bindende Zusage eines Ministeriums für eine Gruppe von Fällen (umsatzsteuerrechtliche Behandlung eines sog. Sparkassenmodells)?
Leitsatz (NV)
1. Nach BFHE 79, 218, BStBl III 1964, 311 darf aus dem Grundsatz, daß das FA nach Treu und Glauben an eine in einem konkreten Einzelfall gegebene Zusage gebunden sein kann, nicht gefolgert werden, daß auch eine durch eine "bindende" Zusage einer dem FA übergeordneten Behörde oder durch eine Ministerialentschließung für eine Gruppe von Fällen getroffene Regelung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bindend sein kann.
2. Davon weicht eine auf das Vorliegen einer Zusage eines Finanzministeriums zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung einer Gruppe von Fällen gestützte FG-Entscheidung ab.
Normenkette
UStG 1980 § 10 Abs. 4-5; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist die Sparkasse X als Rechtsnachfolgerin der Grundstücksverwaltung S-GmbH & Co. KG. Deren einzige Komplementärin war die S-GmbH. Sie war am Vermögen der Klägerin nicht beteiligt. Einzige Kommanditistin war die Klägerin (Sparkasse X) mit einer Kommanditeinlage von 50 000 DM. Gesellschaftszweck der Rechtsvorgängerin war die Errichtung von Gebäuden für die Sparkasse X zur anschließenden Vermietung an diese.
In den Jahren 1982 bis 1984 errichtete die Rechtsvorgängerin drei Gebäude auf Grundstücken, auf denen ihr die Klägerin Erbbaurechte bestellt hatte. Die Gebäude vermietete sie nach Fertigstellung an die Klägerin (ihre Kommanditistin). Die Bauten wurden durch zinslose Kredite der Klägerin finanziert.
Mit Schreiben vom 11. Juni 1980 an das zuständige Finanzministerium (FinMin) beantragte der Sparkassen- und Giroverband die Erteilung einer (lt. Feststellung des Finanzgerichts -- FG --) verbindlichen Auskunft wegen der geplanten Vertragsgestaltung hinsichtlich der Errichtung und Vermietung von Gebäuden durch Kommanditgesellschaften nach dem Beispiel der Rechtsvorgängerin der Klägerin für die jeweilige ortsansässige Sparkasse. Wesentliche Elemente der mitgeteilten Gestaltung waren, daß die Rechtsvorgängerin das zu bebauende Grundstück kaufte oder -- soweit es im Eigentum der jeweiligen Sparkasse stand -- von dieser übertragen erhielt oder ein Erbbaurecht daran eingeräumt bekam. Die gesamte Finanzierung des Bauvorhabens sollte durch die jeweilige Sparkasse erfolgen, und zwar über Gewährung zinsloser Kredite, soweit dies im Rahmen von § 18 Abs. 3 und 4 des Gesetzes über das Kreditwesen (Kreditgrenze) zulässig war. Der Mietzins wurde durch die Kostenmiete bestimmt (also lineare Gebäudeabschreibung, sonstige Kosten, wie z. B. Geschäftsführervergütung und Darlehenszinsen, soweit die Rechtsvorgängerin wegen Überschreitens der Großkreditgrenze gezwungen war, von dritter Seite Baukredite aufzunehmen). Gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) sollte für die Umsatzbesteuerung der Vermietungsumsätze optiert werden. Die Anfrage lautete dahingehend, ob als Entgelt für die Umsatzsteuer die Kostenmiete angesetzt werden könne.
Mit Schreiben vom 27. Juni 1980 antwortete das FinMin, daß der Rechtsauffassung des Sparkassen- und Giroverbandes zugestimmt werde. Die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage bestimme sich primär nach der vereinbarten Miete; allerdings komme gemäß § 10 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 UStG 1980 eine Anhebung auf die Kosten in Betracht, wenn das tatsächliche Entgelt niedriger sein sollte. Kalkulatorische Zinsen rechneten aber nicht zu diesen Kosten; nur die tatsächlich entstandenen Kosten seien maßgeblich.
Im Jahre 1992 wurde bei der Rechtsvorgängerin eine Außenprüfung betreffend die Jahre 1988 bis 1990 durchgeführt. Dabei setzte der Prüfer als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer zusätzlich zur gezahlten Kostenmiete fiktive Darlehenszinsen von 5,5 v. H. für die der Rechtsvorgängerin von der Klägerin (Sparkasse X) zinslos zur Verfügung gestellten Darlehen an. Er berief sich auf einen Erlaß des FinMin aus 1992, wonach zur Gegenleistung für die Gebäudeüberlassung neben der (bisher versteuerten) Miete auch der Wert der von der Klägerin (Sparkasse X) ihrer Rechtsvorgängerin gewährten Kapitalnutzung zähle.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) folgte dem in geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1988 bis 1990 und in den erstmaligen Umsatzsteuerbescheiden für 1991 und 1992.
Die Klägerin wandte sich dagegen mit dem Vortrag, daß sie aufgrund der verbindlichen Auskunft des FinMin vom 27. Juni 1980 über die umsatzsteuerliche Behandlung des Mietentgelts nach Gr ündung von Grundstücksbaugesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG bei Sparkassen Vertrauensschutz genieße. Dies habe das FinMin mit Schreiben vom 30. Januar 1991 gegenüber dem Sparkassen- und Giroverband unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 1990 (BStBl I 1990, 924) ausdrücklich bestätigt für Vorhaben, die vor dem 1. August 1986 begonnen worden seien. Die Vorgehensweise der Oberfinanzdirektion, das Schreiben des BMF vom 29. Mai 1992 (BStBl I 1992, 378) auch auf Altfälle, also vor dem 1. August 1986 begonnene Vorhaben, anzuwenden, sei unzulässig.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Das FA sei aufgrund der Schreiben des FinMin vom 27. Juni 1980 und vom 30. Januar 1991 in der Weise gebunden gewesen, daß der Zinsvorteil aus der Überlassung zinsloser Darlehen nicht habe der Umsatzsteuer unterworfen werden können. Die Voraussetzungen für vertrauensschutzbegr ündende Zusagen lägen hinsichtlich dieser Schreiben vor. Nach der Rechtsprechung (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274) könne die Finanzverwaltung gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben an eine Zusicherung gebunden sein, einen bestimmten Sachverhalt, der für die wirtschaftliche Disposition des Steuerbürgers von Bedeutung sei, in einem bestimmten Sinne steuerlich zu beurteilen.
Das Schreiben des FinMin vom 27. Juni 1980 habe eine die Finanzverwaltung gemäß Treu und Glauben bindende Zusage enthalten. Die Klägerin habe den Sachverhalt umfassend mitgeteilt. Das FinMin habe in Kenntnis der Überlassung zinsloser Darlehen ausgeführt, daß diese für die Berechnung der Mindestbemessungsgrundlage keine Rolle spielten; im übrigen sei die tatsächlich vereinbarte Miete maßgeblich. Daher sei nicht der Auslegung des FA zu folgen, die Zusage habe sich nur auf die Berechnung der Mindestbemessungsgrundlage bezogen. An diese Zusage sei die Finanzverwaltung zumindest bis zu dem Schreiben des FinMin vom 17. Juli 1986, das inhaltlich einen Widerruf der Zusage mit Wirkung für die Zukunft enthalte, gebunden gewesen.
Es brauche nicht entschieden zu werden, ob dieser Widerruf der Zusage auch für sog. Altfälle zulässig gewesen sei oder ob eine Bindung bis zum Ergehen des BFH-Beschlusses vom 12. November 1987 V B 52/86 (BFHE 151, 474, BStBl II 1988, 156) bestanden habe. Denn das FinMin habe die Verwaltung insofern mit dem Schreiben vom 30. Januar 1991 gebunden. Darin habe es ausgesagt, die im BMF-Schreiben vom 20. Dezember 1990 niedergelegten Grundsätze seien erst auf nach dem 1. August 1986 begonnene Vorhaben anzuwenden.
Die Zusage, die neue Rechtsauffassung nicht auf Altfälle anzuwenden, habe auch nur so verstanden werden können, daß dies auch Veranlagungszeiträume vor dem 1. August 1986 betreffe.
Mit der Beschwerde beantragt das FA Zulassung der Revision. Es trägt dazu vor: Das angefochtene Urteil weiche von Entscheidungen des BFH ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Der BFH habe mit Urteil vom 5. März 1964 IV 133/63 S (BFHE 79, 218, BStBl III 1964, 311) entschieden, aus dem Grundsatz, daß das FA nach Treu und Glauben an eine in einem konkreten Einzelfall gegebene Zusage gebunden sein könne, dürfe nicht gefolgert werden, daß auch eine durch eine "bindende" Zusage einer dem FA übergeordneten Behörde oder durch eine Ministerialentschließung für eine Gruppe von Fällen getroffene Regelung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bindend sei. Diese Grundsätze habe der BFH in spä teren Entscheidungen bestätigt (z. B. Urteile vom 4. November 1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1976, 125; vom 10. November 1982 I R 142/79, BFHE 137, 202, BStBl II 1983, 280, 281 rechte Sp. unter 2.; vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990 und die dort zitierte weitere Rechtsprechung).
Demgegenüber habe das FG im angefochtenen Urteil den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, daß auch die für eine Gruppe von Fällen getroffene Regelung, die ein Ministerium als "weisungsbefugte vorgesetzte Behörde" einem Verband gegenüber zugesagt habe, die für die Besteuerung der Mitglieder des Verbandes zuständigen Finanzämter bei der steuerlichen Beurteilung des jeweiligen Einzelfalles wie eine eigene Zusage binde. Es habe allein wegen dieser angeblichen Bindungswirkung der Klage stattgegeben, ohne die dem Rechtsstreit zugrundeliegende materiell-rechtliche Frage zu prüfen und zu entscheiden. Das Urteil beruhe somit auf der Abweichung von der BFH-Rechtsprechung. Die Entscheidung wäre anders ausgefallen, wenn das Gericht der Rechts auffassung des BFH gefolgt wäre und eine Bindung des FA verneint hätte.
Zum anderen trägt das FA vor, die materiell- rechtliche Frage der umsatzsteuerlichen Behandlung ersparter Zinsen für Darlehen zur Finanzierung von Baumaßnahmen im sog. Sparkassen- oder Bankenmodell sei von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Frage sei Gegenstand mehrerer beim BFH anhängiger Verfahren (z. B. Aktenzeichen XI R 27/95, XI R 12/96).
Die Klägerin tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist begründet. Die Revision war wegen Abweichung des FG- Urteils von einer Entscheidung des BFH zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Nach dem vom FA bezeichneten Urteil des BFH in BFHE 79, 218, BStBl III 1964, 311 darf aus dem Grundsatz, daß das FA nach Treu und Glauben an eine in einem konkreten Einzelfalle gegebene Zusage gebunden sein kann, nicht gefolgert werden, daß auch eine durch eine "bindende" Zusage einer dem FA übergeordneten Behörde oder durch eine Ministerialentschließung für eine Gruppe von Fällen getroffene Regelung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bindend sein kann. Dagegen hat das FG ausgeführt, daß das FA aufgrund der Schreiben des FinMin vom 27. Juni 1980 und 30. Januar 1991 an der umsatzsteuerlichen Erfassung der Zinsvorteile gehindert gewesen sei, weil die weisungsbefugte vorgesetzte Behörde der Klägerin eine entsprechende Zusage erteilt habe. Die im vorbezeichneten BFH-Urteil vertretene Auffassung ist zwar bestritten (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Vor § 204 AO 1977, Tz. 12 a. E.), jedoch durch die neuere Rechtsprechung des BFH noch nicht überholt (vgl. die weiteren vom FA angegebenen Urteile).
Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf der Abweichung; denn dafür reicht aus, daß zumindest die Möglichkeit besteht, das FG-Urteil wäre bei Zugrundelegung der abweichenden Auffassung des BFH anders ausgefallen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 21). Dabei ist nach dem Rechtsstandpunkt des FG zu beurteilen, ob die Gründe der angefochtenen Entscheidung nicht hinweggedacht werden können, wenn die Entscheidung Bestand haben soll.
Der vermutliche Ausgang des Revisionsverfahrens ist bei der Prüfung, ob das FG- Urteil auf der Abweichung beruht, nicht zu berücksichtigen. Es kann auch dahinstehen, ob das Begehren der Klägerin letztlich (ggf. in einem Billigkeitsverfahren) Erfolg haben kann.
Fundstellen