Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Übertragung von Fristenberechnung und Fristenüberwachung auf das Büropersonal
Leitsatz (redaktionell)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Berechnet der Bevollmächtigte bei erkennbar aus dem Routinebetrieb herausfallenden fristgebundenen Sachen (hier: Revisionsbegründung in einem steuergerichtlichen Verfahren) die Frist nicht selbst und trägt er sie nicht selbst im Fristenkalender ein oder stellt er durch geeignete Anweisungen an das Büropersonal nicht sicher, daß die Frist richtig berechnet und im Fristenkalender eingetragen wird, verletzt er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht.
2. Zur Errechnung der Revisionsbegründungsfrist ist vom Datum der Zustellung des FG-Urteils auszugehen.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die von den Klägern in einer Grunderwerbsteuersache erhobene Klage wurde durch das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das Urteil des FG wurde den Klägern am 19.November 1982 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Mit einem am 20.Dezember 1982 beim FG eingegangenen Schriftsatz vom 17.Dezember 1982 legte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger Revision ein und bat gleichzeitig um Akteneinsicht. Am 21.Januar 1983 teilte das Amtsgericht dem Prozeßbevollmächtigten mit, daß die Akten im Amtsgerichtsgebäude zur Einsichtnahme zur Verfügung ständen. Die Akteneinsicht durch den Prozeßbevollmächtigten erfolgte am 24.Januar 1983.
Mit Schreiben vom 26.Januar 1983 –beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 28.Januar 1983– beantragte der Prozeßbevollmächtigte, ihm wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und bat, die Begründungsfrist um einen (weiteren) Monat zu verlängern.
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führte er aus: Die Fristversäumnis beruhe auf einem Versehen der Bürovorsteherin. Die Eintragung und Überwachung von Rechtsmittelfristen sei in seinem Büro dergestalt organisiert, daß die Bürovorsteherin die eingehende Post auf solche Fristen sichte und diese im Fristenkalender vermerke. Den Rechtsmittelschriften werde regelmäßig in Erfüllung der entsprechenden prozessualen Ordnungsvorschrift eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt, die dann von der Geschäftsstelle des Rechtsmittelgerichts mit einer Mitteilung, die Rechtsmittelschrift sei zu einem bestimmten Datum eingegangen, wieder zurückgereicht werde. Der Eingang dieser Mitteilung sei dann Veranlassung für die Bürovorsteherin, die Begründungsfrist des Rechtsmittels zu berechnen und im Fristenkalender einzutragen; eine exakte Berechnung der Begründungsfrist könne erst dann erfolgen, wenn das Datum des Eingangs bei Gericht feststehe. Da der Revisionsschrift (diesmal) keine Urteilsausfertigung beigefügt werden konnte, sei demgemäß auch der Abgabennachricht des FG keine Urteilsausfertigung beigefügt gewesen, welche Anlaß und Hinweis für die Bürovorsteherin zur Eintragung einer Revisionsbegründungsfrist in den Fristenkalender gegeben hätte. Aus diesem Grunde habe es die Bürovorsteherin unterlassen, die Revisionsbegründungsfrist in den Fristenkalender zu notieren. Erst als die Akte wieder in den Geschäftsgang gelangt sei, habe er festgestellt, daß die Begründungsfrist nicht im Fristenkalender eingetragen worden sei.
Die Bürovorsteherin sei eine zuverlässige und langjährige Mitarbeiterin, die schon seit Jahren mit der Führung des Fristenkalenders betraut sei. Gelegentliche Kontrollen hätten zu keinen Beanstandungen geführt. Zur „Glaubhaftmachung für alles Vorstehende” hat sich der Prozeßbevollmächtigte auf die „beiliegende eidesstattliche Versicherung” der Bürovorsteherin vom 26.Januar 1983 berufen.
Die Geschäftsstelle des II.Senats teilte dem Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 28.Januar 1983 mit, daß eine Fristverlängerung nicht mehr möglich sei und wies ausdrücklich auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin.
Daraufhin hat der Prozeßbevollmächtigte mit einem am 7.Februar 1983 beim BFH eingegangenen Schriftsatz die Revision begründet.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 126 Abs.1, § 10 Abs.3 FGO). Unzulässig ist sie, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist (§ 124, § 120 Abs.1 Satz 1 FGO).
Aufgrund der Zustellung der Vorentscheidung am 19.November 1982 endete die Revisionsfrist am 20.Dezember 1982. Die Revisionsbegründungsfrist lief daher am 20.Januar 1983 ab. Eine Verlängerung der Begründungsfrist nach § 120 Abs.1 Satz 2 FGO war nicht zulässig, da die Frist nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden kann. Vor Fristablauf ist ebenfalls nicht die Revisionsbegründung eingereicht worden, sondern erst am 7.Februar 1983. Damit ist die Revisionsbegründungsfrist nicht gewahrt.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur zulässig, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs.1 FGO). Ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten müssen sich die Kläger wie eigenes Verschulden anrechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs.2 der Zivilprozeßordnung –ZPO–). Die Revisionsbegründungsfrist wurde im vorliegenden Fall nicht ohne Verschulden versäumt. Es liegt kein entschuldbares Büroversehen des Kanzleipersonals, sondern ein die Wiedereinsetzung ausschließender, ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten begründender Organisationsmangel vor.
Die Überwachung der gesetzlichen Fristen obliegt grundsätzlich den Verfahrensbeteiligten bzw. ihren Prozeßbevollmächtigten, wobei in gewissen Grenzen Obliegenheiten übertragen werden können. Es ist daher zulässig, daß Rechtsanwälte und Angehörige der steuerberatenden Berufe die Fristenberechnung und -überwachung ihren Büroangestellten übertragen, sofern das beauftragte Personal gut ausgebildet ist und sorgfältig überwacht wird. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß der Anwalt insoweit klare und unmißverständliche Informationen und Anweisungen erteilt hat, die sicherstellen, daß Fristbeginn und Fristende in jedem Fall richtig vermerkt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 29.September 1976 II R 154/75, BFHE 120, 137, BStBl II 1977, 35; Beschluß des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 30.Oktober 1979 VI ZB 10/79, Versicherungsrecht –VersR– 1980, 192).
Daß die Bürovorsteherin übersehen hat, die Begründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen, entschuldigt die Fristversäumnis nicht. Dieser Fehler beruht darauf, daß der Prozeßbevollmächtigte nicht alle Vorkehrungen getroffen hatte, um eine Fristversäumnis der vorliegenden Art zu vermeiden. Nach dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten ist die Eintragung und Überwachung der Fristen für den Fall der Berufungs- oder Revisionseinlegung in seinem Büro so geregelt, daß die Bürovorsteherin anhand der zurückgereichten Urteilsausfertigung und der Mitteilung des Rechtsmittelgerichts, die Rechtsmittelschrift sei zu einem bestimmten Datum eingegangen, die Begründungsfrist des Rechtsmittels berechnet und in den Fristenkalender einträgt. Diese Verfahrensweise mag für den zivilprozessualen Bereich und damit für eine Kanzlei, die überwiegend mit dieser Verfahrensordnung zu tun hat, die geeignete Organisationsform sein; denn die Monatsfrist für die Berufungsbegründung wie auch für die Revisionsbegründung beginnt mit Einlegung der Berufung bzw. der Revision zu laufen (§ 519 Abs.2, § 554 Abs.2 Satz 2 ZPO) und daher ist eine genaue Berechnung der Begründungsfrist erst möglich, wenn das Datum des Eingangs der Berufungs- bzw. Revisionsschrift beim Gericht feststeht. Sie ist aber nicht für alle Verfahrensordnungen, insbesondere nicht die FGO, in gleicher Weise geeignet. Zum einen kennt die FGO keine den §§ 518 Abs.3, 553a ZPO entsprechende Ordnungsvorschrift, und zum anderen ist nach § 120 Abs.1 FGO zur Errechnung der Revisionsbegründungsfrist von dem Datum der Zustellung des FG-Urteils auszugehen (vgl. BFH-Urteil vom 12.Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957).
Die zur Einhaltung der gerichtlichen Fristen erforderliche Sorgfalt hätte es daher erfordert, die Frist für die Revisionsbegründung sofort nach Zustellung bzw. Übersendung der finanzgerichtlichen Entscheidung in den Fristenkalender einzutragen oder eintragen zu lassen. Der Bevollmächtigte verletzt diese ihm obliegende Verpflichtung, wenn er bei erkennbar aus dem Routinebetrieb herausfallenden fristgebundenen Sachen die Berechnung und Eintragung der Frist nicht selbst vornimmt oder durch geeignete Anweisungen an das Büropersonal sicherstellt, daß die Begründungsfrist richtig berechnet und auch in den Fristenkalender eingetragen wird. Der Prozeßbevollmächtigte hat nicht vorgetragen, daß er die Bürovorsteherin angewiesen hat, sofort bei Eingang des von den Klägern mit der Post übersandten FG-Urteils den Zeitpunkt der Zustellung des FG-Urteils an die Kläger zu ermitteln und anhand des Zustelldatums die Begründungsfrist zu berechnen und in den Fristenkalender einzutragen. Er hat auch nicht dargetan, daß er klare Anweisungen erteilt hat, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen der Abgabenachricht des Gerichts keine Urteilsausfertigung beigefügt ist. Es ist daher davon auszugehen, daß die Bürovorsteherin für die eigenverantwortliche Feststellung und Eintragung der Begründungsfrist durch den Prozeßbevollmächtigten nicht ausreichend belehrt und angewiesen worden ist. Das Fehlen von klaren und eindeutigen Anweisungen an die Bürovorsteherin, wie in Fällen der hier vorliegenden Art vorzugehen ist, stellt einen Organisationsmangel dar, den der Prozeßbevollmächtigte zu vertreten hat.
Unentschieden bleiben kann, ob die Revisionsbegründung überhaupt innerhalb der maßgebenden Wiedereinsetzungsfrist (vgl. § 56 Abs.2 Satz 3 FGO) eingegangen ist.
Fundstellen