Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründeter Verfahrensmangel: Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung im NZB-Verfahren
Leitsatz (NV)
- Liegt der mit der NZB geltend gemachte Verfahrensmangel vor, kann nach § 116 Abs. 6 FGO n.F. der BFH unmittelbar das Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn er dies aus verfahrensökonomischen Gründen für angezeigt hält.
- Ist die Bewertung eines Grundstückes streitig, ist das FG in der Regel gehalten, ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen einzuholen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Wertschwankungen am Grundstücksmarkt zum Zeitpunkt der Wertermittlung aufgetreten sind, das Grundstück wegen seiner Nutzung als Wohnheim vom Durchschnitt abweichende Jahresrohmieten erzielt und ein Beteiligter unter Hinweis auf diese Umstände die Einholung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens beantragt.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 81 Abs. 1, §§ 82, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6; ZPO §§ 404, 412
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG). Gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 kann der Bundesfinanzhof (BFH) auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen, sofern die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen. Der Senat hält es aus verfahrensökonomischen Gründen für angezeigt, im Streitfall entsprechend dieser Vorschrift zu verfahren.
Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor.
Das FG hat ermessensfehlerhaft von der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Wert des Grundstückes abgesehen und damit seine Aufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO verletzt. Während das FG die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht es einen Sachverständigen nicht hinzuziehen (BFH-Beschluss vom 9. Mai 1996 X B 223/95, BFH/NV 1996, 773). Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholende Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. §§ 404, 412 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung gutachtlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.
Ist die Bewertung eines Grundstückes streitig, so ist das FG in der Regel gehalten, gemäß § 81 Abs. 1 FGO das Gutachten eines unabhängigen vereidigten Sachverständigen einzuholen (BFH-Urteil vom 31. August 1994 X R 170/93, BFH/NV 1995, 299, 301). Dies gilt insbesondere dann, wenn drastische Schwankungen am Grundstücksmarkt im fraglichen Zeitraum eine Wertermittlung zum Stichtag als schwierig erscheinen lassen, oder wenn das Grundstück wegen seiner besonderen Nutzung vom Durchschnitt abweichende Jahresmieten erzielt und ein Beteiligter unter Hinweis auf diese Umstände die Einholung eines unabhängigen Sachverständigen beantragt. Hiervon absehen kann das FG nur dann, wenn es ausnahmsweise selbst über die nötige Sachkunde verfügt und diese in den Entscheidungsgründen darlegt (BFH-Urteil vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660).
Im Streitfall hat das FG nicht angenommen, dass es die nötige Sachkunde besitze, sondern hat sich im Wesentlichen auf ein Gutachten des Bausachverständigen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) gestützt. Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 76 FGO, denn das Gutachten, das das FA von seinem hauseigenen Bausachverständigen im Verwaltungsverfahren eingeholt hat, ist im finanzgerichtlichen Verfahren als ein Privatgutachten zu behandeln, das als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 299, 301, m.w.N.).
Ein Privatgutachten kann das FG nur dann seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn keiner der Beteiligten substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit erhebt (BFH-Urteil vom 4. März 1993 IV R 33/92, BFH/NV 1993, 739). Da die Beteiligten regelmäßig ebenso wenig wie das Gericht über eigene Fachkenntnisse auf diesem Gebiet verfügen, reicht es jedenfalls aus, dass ein Beteiligter Einwände vorbringt, deren Richtigkeit nur mit Hilfe eines Sachverständigen überprüft werden kann.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat der Richtigkeit des finanzamtlichen Gutachtens widersprochen und während des Klageverfahrens wiederholt beantragt, das Gutachten eines unabhängigen Bausachverständigen einzuholen. Dem hat sich auch das FA angeschlossen. Außerdem hat er eingewandt, der Bausachverständige des FA habe seinem Gutachten nicht die nachhaltig erzielbare Jahresrohmiete zugrunde gelegt, denn er habe nicht berücksichtigt, dass zum Stichtag außergewöhnlich hohe Mieten erzielt worden seien. Das Anwesen sei zum Stichtag als Aus- und Übersiedlungsheim genutzt worden, dieser Vertrag sei aber ausgelaufen. Das Wohnheim sei nunmehr im zentralen Bettennachweis der Stadt X gemeldet. Hierbei bestehe weder eine Laufzeitbindung noch eine Belegausfallgarantie. Zu berücksichtigen sei auch, dass Rück- und Umbaukosten von rund 950 000 DM anfielen, wolle man das Wohnheim wieder einer Nutzung zu Wohnzwecken im herkömmlichen Sinne zuführen.
Angesichts dieser Einwände hätte das FG nur dann auf die Einschaltung eines unabhängigen Sachverständigen verzichten können, wenn es im Einzelnen dargelegt hätte, aufgrund welcher Umstände es das Gutachten des Bausachverständigen des FA dennoch für zutreffend hält und woraus es seine Fachkenntnisse ableitet. Das FG hat zwar die tatsächliche Nutzung und die Mieteinnahmen bis zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ermittelt und festgestellt, dass die Mieten gegenüber dem Jahr 1995 gesteigert worden waren. Es hat dies auch zutreffend als Indiz für die Richtigkeit der vom FA zugrunde gelegten Jahresrohmiete gewürdigt. Dennoch war die Einholung eines Gutachtens angezeigt, da ohne fachkundige Stellungnahme unklar bleibt, ob wegen der mangelnden vertraglichen Bindung der Stadt und der behaupteten hohen Rückbaukosten für den Fall, dass die Nutzung als Wohnheim nicht mehr möglich ist, nicht doch eine geringere nachhaltig erzielbare Jahresrohmiete zugrunde zu legen ist oder ein Abschlag zur Anpassung an den Verkehrswert in Betracht kommt.
Das FG konnte die Einholung eines Gutachtens auch nicht deshalb unterlassen, weil es die Wertermittlungen der finanzierenden Bank angefordert hat, die zum Oktober 1992 zu einem ähnlichen Wert gelangt sind, wie das finanzamtliche Gutachten. Zum einen lag der Wertermittlungszeitpunkt der Bank drei Jahre vor dem Bewertungsstichtag im Streitfall. Zum anderen hat der Kläger hiergegen eingewandt, die Grundstückspreise seien infolge der Wiedervereinigung zunächst explosionsartig angestiegen, seien zum Wertermittlungsstichtag dagegen wieder stark zurückgegangen. Nach den Ausführungen des FG soll der Werteverfall der Grundstücke in X zwar erst in den Jahren nach 1995/1996 eingetreten sein, es hat aber nicht dargelegt, woraus es diese Sachkunde ableitet.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 614054 |
BFH/NV 2001, 1419 |