Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung Einfamilienhaus gemischtgenutztes Grundstück
Leitsatz (NV)
Eine Mitbenutzung von 43,5 % für freiberufliche Zwecke beeinträchtigt nicht generell die Eigenart eines Einfamilienhauses.
Bei einer erstmaligen Artfortschreibung kommt Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 nicht in Betracht. Die Anwendung von Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO 1977 ist durch § 20 Satz 2 BewG 1965 ausgeschlossen.
Normenkette
AO 1977 §§ 163, 176 Abs. 1 Nr. 3; BewG 1965 § 20 S. 2, § 75 Abs. 5 S. 4
Tatbestand
1. Das Finanzamt (Antragsgegner - FA -) hat durch Art- und Wertfortschreibungsbescheid vom . . . 1984 für das Grundstück des Antragstellers zum 1. Januar 19. . den Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus festgestellt. Anlaß hierzu war die Bebauung des Grundstücks mit einem 19. . bezugsfertig gewordenen Haus, in welchem der Antragsteller mit seiner Familie wohnt und eine freiberufliche Tätigkeit ausübt.
Nach erfolglosem Einspruch hat das Finanzgericht (FG) die Klage, mit welcher der Antragsteller die Feststellung der Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück begehrt, abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Der Antragsteller hat mit Beschwerde gemäß § 115 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Zulassung der Revision begehrt. Außerdem hat er mit zulassungsfreier Revision Verfahrensmängel gemäß § 116 Abs. 1 FGO gerügt.
Auf die zulassungsfreie Revision hat der Senat durch Urteil vom heutigen Tage das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
2. Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung ,,des Einheitswertbescheides des Grundvermögens auf den 1. 1. 19. . (in Gestalt der Einspruchsentscheidung . . .)". Er bezieht sich auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist unbegründet.
Der Senat legt den Antrag zugunsten des Antragstellers dahin aus, daß auch die Aussetzung der Vollziehung des Wertfortschreibungsbescheides begehrt wird. Denn der Antragsteller vertritt in dem Verfahren zur Hauptsache die Auffassung, daß er (außer der Artfortschreibung) auch die Wertfortschreibung angefochten habe.
1. An der Rechtmäßigkeit der Wertfortschreibung des Einheitswertes auf . . . DM bestehen schon deshalb keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 FGO, weil diese Fortschreibung bestandskräftig ist und nicht mehr überprüft werden kann (vgl. den Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Januar 1968 VI B 77/67, BFHE 91, 219, BStBl II 1968, 278). Die Feststellung des Einheitswertes (in Form der Wertfortschreibung) war neben der Feststellung der Grundstücksart Einfamilienhaus ein selbständiger Teil des Art- und Wertfortschreibungsbescheides vom . . . 1984 und damit ein selbständig mit Rechtsbehelfen angreifbarer Verwaltungsakt (BFH-Urteil vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88). Diese Wertfortschreibung hat der Antragsteller mit seiner Klage nicht angefochten, wie der Senat in dem Urteil zur Hauptsache ausgeführt hat.
2. Auch die Rechtmäßigkeit der Artfortschreibung kann nach dem derzeitigen Stand der Hauptsache nicht ernstlich angezweifelt werden.
Der Senat hat die Hauptsache an das FG zurückverwiesen, weil nach seiner Ansicht ein kraft Gesetzes von der Mitwirkung ausgeschlossener Richter an dem angefochtenen FG-Urteil beteiligt war (§ 116 Abs. 1 FGO). Das allein hat keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der Artfortschreibung. Zwar kann der Antragsteller bei der erneuten Verhandlung der Sache vor dem FG wieder uneingeschränkt Einwendungen gegen den angefochtenen Artfortschreibungsbescheid erheben. Das ändert aber nichts daran, daß zur Zeit kein Anlaß besteht, die Rechtmäßigkeit der Artfortschreibung ernstlich anzuweifeln.
a) Das Wohngebäude enthielt am 1. Januar 19. . unstreitig nur eine Wohnung. Für das Grundstück war daher zu diesem Stichtag die Grundstücksart Einfamilienhaus festzustellen. Zwar wurde es durch den Antragsteller zu 43,5 % freiberuflich mitbenutzt. Dadurch wurde aber - soweit bisher ersichtlich - die Eigenart des Einfamilienhauses nicht wesentlich beeinträchtigt (§ 75 Abs. 5 Satz 4 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Eine Mitbenutzung von 43,5 % für freiberufliche Zwecke beeinträchtigt nicht generell die Eigenart des Einfamilienhauses, wie der Antragsteller zu bedenken gibt. Vielmehr ist diese Beeinträchtigung stets eine Frage des Einzelfalles. Einen Erfahrungssatz, daß die durchgehende Fensterfront der Büroräume des hier zu beurteilenden Gebäudes bei einem freistehenden Einfamilienhaus ,,absolut unüblich" ist, wie der Antragsteller meint, gibt es nicht. Dies gilt um so mehr, als hier die Verhältnisse des gesamten Bewertungsgebietes (Bundesgebietes) und nicht (nur) der Gegend maßgebend sind, in welcher das Grundstück des Antragstellers liegt (BFH-Urteil vom 5. Februar 1986 II R 245/82, BFHE 146, 170, BStBl II 1986, 446).
Allerdings wendet der Antragsteller ein, bisher sei die Nutzfläche seines Hauses unrichtig berechnet und aufgeteilt worden. Es ist jedoch aus diesem Vortrag nicht ersichtlich, inwiefern diese Berechnung und Aufteilung unrichtig sein soll. In der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde hat der Antragsteller zwar vorgetragen, er habe sich mit dem FA ,,lediglich für Zwecke der Ertragsteuer und daher ohne Präjudiz für das vorliegende Verfahren . . . (auf eine freiberufliche Mitbenutzung von 43,5 %) geeinigt". Ausführungen darüber, wo nach Ansicht des Antragstellers die Fehler der nur für die Ertragsteuer durchgeführten Flächenberechnung und -aufteilung liegen, fehlen aber in der Begründung des vorliegenden Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ebenso wie in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
b) Auf Vertrauensschutz kann der Antragsteller sich nicht berufen.
Die wesentliche Beeinträchtigung i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG war nach dem BFH-Urteil vom 7. Dezember 1973 III R 158/72 (BFHE 111, 264, BStBl II 1974, 195) nach der Verkehrsauffassung zu beurteilen. Diese Ansicht hat der BFH später in dem Urteil vom 5. Februar 1986 II R 31/85 (BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448) aufgegeben. Der Einfamilienhausbegriff sei kein von der Verkehrsauffassung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff.
Der Antragsteller gibt zu bedenken, ,,ob der angefochtenen Änderung durch den Einheitswertbescheid vom . . . 1984 nicht der Grundsatz des Vertrauensschutzes i. S. von § 176 AO i. V. m. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegensteht". Er übersieht dabei jedoch, daß § 176 der Abgabenordnung (AO 1977) nur für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides gilt. Dementsprechend muß auch nach dem hier allein in Betracht kommenden Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Vorschrift die Rechtsprechung (des BFH) bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden sein. Der Artfortschreibungsbescheid vom . . . 1984 betraf jedoch erstmalig das bebaute Grundstück.
Durch ihn wurde daher ein früherer Bescheid über das bebaute Grundstück weder aufgehoben noch geändert. Eine fehlerberichtigende Fortschreibung gemäß § 22 Abs. 3 BewG ist nicht gegeben, auf welche die Vorschrift § 176 AO 1977 entsprechend anzuwenden wäre. Bei einer erstmaligen Artfortschreibung könnte allenfalls eine andere Feststellung der Grundstücksart aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO 1977 in Betracht kommen. Dies ist aber durch § 20 Satz 2 BewG ausgeschlossen. Diese Vorschrift gilt auch für die Artfeststellung. Denn ihr Sinn liegt darin, daß Billigkeitsmaßnahmen nicht dadurch für längere Zeit festgeschrieben werden dürfen, daß sie in einen Einheitswertbescheid eingehen (vgl. den BFH-Beschluß vom 6. August 1986 II B 35/86, BFHE 147, 267, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1987, 9).
Fundstellen
Haufe-Index 417208 |
BFH/NV 1991, 803 |