Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung nach Erledigung des Rechtsstreits wegen einstweiliger Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache sind die Kosten grundsätzlich dem Beteiligten aufzuerlegen, der unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes voraussichtlich unterlegen wäre, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
2. Ist der Ausgang des Rechtsstreits ungewiß, so ist grundsätzlich eine Kostenteilung gerechtfertigt. Ungewißheit über den Ausgang des Rechtsstreits kann sich aus Unklarheiten rechtlicher und tatsächlicher Art ergeben. Unklarheiten tatsächlicher Art bestehen auch bei Ungewißheit darüber, wie tatsächliches Vorbringen und Beweismittel vom Gericht gewürdigt worden wären.
3. Zur Unbilligkeit einer Vollstreckung als Anordnungsanspruch.
Normenkette
AO 1977 § 258; FGO § 114 Abs. 1, 3, § 138 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat gegen die Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 1 (Beschwerdeführerin zu 1) wegen einer Forderung in Höhe von 30 025,62 DM und gegen die Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 2 (Beschwerdeführerin zu 2) wegen einer Forderung in Höhe von 35 882,22 DM die Vollstreckung betrieben und bei der Beschwerdeführerin zu 1 Warenbestände und Arbeitsgeräte gepfändet.
Die Beschwerdeführerinnen beantragten beim Finanzgericht (FG) eine einstweilige Anordnung, durch die die Vollstreckung - hilfsweise gegen Sicherheitsleistung - vorläufig ausgesetzt werden sollte. Die Beschwerdeführerin zu 1 beantragte zusätzlich, die Verwertung der gepfändeten Gegenstände durch einstweilige Anordnung auszusetzen.
Das FG lehnte den Antrag ab mit folgender Begründung:
Es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Nach § 258 der Abgabenordnung (AO 1977), der im Streitfall allein als Anordnungsanspruch in Betracht komme, könne die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen, soweit diese im Einzelfall unbillig sei. Die Beschwerdeführerinnen hätten zwar vorgetragen, das FA habe ihre Zahlungen nicht berücksichtigt, so daß die Rückstände keinesfalls in der angegebenen Höhe bestünden. Sie hätten diese Behauptung aber nicht glaubhaft gemacht. Auch hinsichtlich der Behauptung, die Fortsetzung der Vollstreckung führe zu ihrer Existenzvernichtung, fehle es an der Glaubhaftmachung. Im übrigen begründe eine Existenzvernichtung als Folge der Zwangsvollstreckung nur dann deren Unbilligkeit, wenn sie durch kurzfristiges Zuwarten mit der Vollstreckung oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könne. Auch diese Voraussetzungen sowie eine Zahlung der Steuerrückstände in fünf bis sechs Monatsraten hätten die Beschwerdeführerinnen nicht glaubhaft gemacht.
Ihre Beschwerde begründeten die Beschwerdeführerinnen wie folgt:
Der geltend gemachte Anordnungsanspruch sei bereits durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers Z in der Vorinstanz glaubhaft gemacht worden. Vom FA seien die näher bezeichneten Zahlungen nicht berücksichtigt worden. Die Existenzgefährdung der Beschwerdeführerinnen sei ebenfalls bereits durch die in der Vorinstanz vorgelegte eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht. Diese Existenzgefährdung könne durchaus durch kurzfristiges Zuwarten seitens des FA vermieden werden. Die Beschwerdeführerinnen stünden mit zwei Banken zwecks Umschuldung oder Erweiterung des Kreditrahmens in Verbindung. Mit einer endgültigen Zusage sei in Kürze zu rechnen. Bei einer positiven Bescheidung, von der auszugehen sei, seien die Beschwerdeführerinnen bereits in der Lage, die Forderungen des FA teilweise zu begleichen. Außerdem sei zu beachten, daß die Beschwerdeführerinnen den Großteil ihrer Geschäfte im Frühjahr abwickelten, so daß sie auch aus diesem Grunde in Kürze - nach Ablauf von etwa zwei bis drei Monaten - in der Lage seien, die Forderungen des FA ratenweise zu erfüllen.
Das FA beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Es führt aus:
Von den Beschwerdeführerinnen werde der Bestand der fälligen Steuerrückstände nicht bestritten. Durch die gezahlten Teilbeträge seien die Rückstände lediglich gemindert, nicht aber getilgt worden. Die allgemein gehaltenen Behauptungen der Beschwerdeführerinnen zur Existenzvernichtung seien zur Glaubhaftmachung nicht geeignet. Außerdem sei eine Vollstreckung allenfalls dann unbillig, wenn die Existenzvernichtung durch kuzfristiges Zuwarten vermieden werden könne. Es sprächen erhebliche Zweifel gegen die Angabe der Beschwerdeführerinnen, sie seien zur Zahlung der Steuerrückstände in wenigen Monaten in der Lage. Diese Behauptung sei nicht glaubhaft gemacht.
Während des Beschwerdeverfahrens teilten die Beschwerdeführerinnen mit, daß die rückständigen Steuern in voller Höhe gezahlt worden seien. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Auferlegung der Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Entscheidung ist nach § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu treffen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beschwerdeführerinnen einerseits und dem FA andererseits je zur Hälfte aufzuerlegen.
Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten nach § 138 Abs. 1 FGO grundsätzlich dem Beteiligten aufzuerlegen, der unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes voraussichtlich unterlegen wäre, wenn das erledigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Ist der Ausgang des Rechtsstreits nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ungewiß, so ist es gerechtfertigt, die Kosten zu teilen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 21. Februar 1968 I B 56/67, BFHE 91, 521, BStBl II 1968, 414). Ungewißheit über den Ausgang des Verfahrens kann sich aus Unklarheiten rechtlicher und tatsächlicher Art ergeben. Unklarheiten tatsächlicher Art bestehen auch dann, wenn ungewiß ist, wie tatsächliches Vorbringen und Beweismittel vom Gericht gewürdigt worden wären.
Für den voraussichtlichen Ausgang des Rechtsstreits kommt es im Streitfall darauf an, ob die Beschwerdeführerinnen einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Den Anordnungsanspruch bildet das Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne des § 114 Abs. 1 FGO. Ein Recht auf Einstellung der Zwangsvollstreckung hätte sich im Streitfall - bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses - nur aus § 258 AO 1977 ergeben können. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Vollstreckung zwar in das Ermessen der Vollstreckungsbehörde gestellt. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, daß der Senat bei einer abschließenden Entscheidung über die Beschwerde zu dem Ergebnis gelangt wäre, er sei befugt, bei der Entscheidung über die einstweilige Einstellung der Vollstreckung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung eigenes Ermessen auszuüben (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 25. September 1985 VII B 31/85, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH/NV - 1986, 198).
Geht man davon aus, so wäre die Entscheidung über die Beschwerde davon abhängig gewesen, ob die Vollstreckung im Streitfall unbillig war. Gründe, die die Annahme einer Unbilligkeit rechtfertigen, können auch den Zeitpunkt der Vollstreckung betreffen (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 16. Juli 1985 VII B 72/84, BFH/NV 1986, 139). Derartige Gründe hätten sich im Streitfall aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ergeben können, sie bemühten sich um die Erweiterung eines Kredits und könnten innerhalb weniger Monate mit höheren Einnahmen rechnen. Zur Glaubhaftmachung dieser Behauptung haben sie eine eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers Z vorgelegt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Senat diese für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs als ausreichend angesehen hätte.
Ein Anordnungsgrund kann in Fällen, in denen eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung durch eine einstweilige Anordnung angestrebt wird, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Beschluß vom 25. Juni 1985 VII B 54, 62/84, BFH/NV 1986, 138) dann in Betracht kommen, wenn durch die Vollstreckung Nachteile zu befürchten sind, die über eine Steuerzahlung hinausgehen, und wenn die Nachteile durch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung vermieden werden können (vgl. BFH/NV 1986, 139). Bereits zur Begründung des Antrags auf einstweilige Anordnung an das FG haben die Beschwerdeführerinnen auf die Konkursantragspflicht nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die sich daraus ergebenden Nachteile für sie bis hin zur Existenzvernichtung hingewiesen und zur Glaubhaftmachung dieser Erklärung eine eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers Z vorgelegt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Senat daraus die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im vorgenannten Sinne entnommen hätte.
Mit Rücksicht auf die aufgezeigten Ungewißheiten rechtlicher und tatsächlicher Art erscheint es dem Senat nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sachgerecht, die Kosten des Verfahrens den Beschwerdeführerinnen einerseits und dem FA andererseits je zur Hälfte aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414687 |
BFH/NV 1987, 184 |