Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 FGO und zum Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 56 Abs. 1 FGO
Leitsatz (NV)
1. Die zweimonatige Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist eine selbstständige, vom Lauf der Einlegungsfrist unabhängige Frist, die mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt.
2. Die Begründungsfrist muss vom Prozessbevollmächtigten deshalb bereits bei Zustellung des Urteils erfasst werden.
Normenkette
FGO §§ 56, 116 Abs. 1, 3, § 155; ZPO § 85
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 26.07.2006; Aktenzeichen 3 K 3628/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (GmbH). Die GmbH handelte mit gebrauchten Kraftfahrzeugen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erkannte mehrere Fahrzeuglieferungen nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an. Die hiergegen gerichtete Klage hatte überwiegend keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. August 2006 zugestellt wurde, ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen richtet sich die am 8. September 2006 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Beschwerde. Mit einem am 12. Oktober 2006 beim BFH eingegangenen Schriftsatz beantragte der Kläger eine Fristverlängerung für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um einen Monat. Am 21. Oktober 2006 ging beim BFH die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ein. Darin beantragte der Kläger außerdem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung des Antrags trug er vor, der sachbearbeitende Steuerberater Dr. K habe am 8. September 2006 die Nichtzulassungsbeschwerde unterzeichnet und gleichzeitig die langjährige und zuverlässige Angestellte B angewiesen, für den 8. Oktober 2006 den Ablauf der Begründungsfrist zu erfassen und rechtzeitig eine Vorfrist für die Bearbeitung der Sache einzutragen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen habe die Mitarbeiterin diese Anweisung nicht ausgeführt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
1. Die Nichtzulassung der Revision kann durch die Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Voraussetzung für die Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger nicht erfüllt.
Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten am 8. August 2006 zugestellt worden. Die Begründungsfrist endete gemäß §§ 116 Abs. 3 Satz 1, 155 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 9. Oktober 2006. Die erst am 21. Oktober 2006 beim BFH eingegangene Beschwerde war damit verspätet. Eine Fristverlängerung ist nicht gewährt worden. Im Übrigen ist auch der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist erst am 12. Oktober 2006 und damit nach Ablauf der Begründungsfrist beim BFH eingegangen.
2. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung kann nur Erfolg haben, wenn die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, schlüssig vorgetragen werden. Das erfordert u.a. die vollständige Darlegung der Ereignisse, die die unverschuldete Säumnis belegen sollen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. März 2003 I B 166/02, BFH/NV 2003, 119). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil nicht umfassend und widerspruchsfrei dargelegt ist, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Der Kläger muss sich ein Verschulden seines Vertreters gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (BFH-Beschlüsse vom 30. Januar 1995 X B 223/94, BFH/NV 1995, 897; vom 29. April 1997 VIII B 5/97, BFH/NV 1997, 790).
Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiligter, wie der Kläger, auf ein Büroversehen, so muss er darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h., dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2002 IX R 38/01, BFH/NV 2002, 1467, mit Nachweisen). Das ist vorliegend nicht geschehen. Die Prozessbevollmächtigten haben nicht in ausreichendem Maß dargelegt, welche organisatorischen Maßnahmen in ihrem Büro die zuverlässige Erfassung der Revisionsbegründungsfristen sicherstellen. Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten legt vielmehr ein Organisationsverschulden ausdrücklich nahe. Danach hat Steuerberater Dr. K am 8. September 2006 die Angestellte B angewiesen, für den 8. Oktober 2006 den Ablauf der Begründungsfrist zu erfassen. Die zweimonatige Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist aber eine selbständige, vom Lauf der Einlegungsfrist unabhängige Frist, die mit der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt (vgl. Gräber/Ruban, FGO, 6. Aufl., § 116 Rz 20). Sie hätte deshalb bereits bei Zustellung des Urteils am 8. August 2006 erfasst werden müssen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung enthält keine Begründung dafür, weshalb das nicht geschehen ist.
Da die Beschwerde unzulässig ist, braucht auf den vom Prozessbevollmächtigten angesprochenen Schlussantrag der Generalanwältin in der Rechtssache Albert Collée vom 11. Januar 2007 (C-146/05) nicht eingegangen zu werden.
Fundstellen