Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Anwendung des DBA-Italien 1989 auf Piloten
Leitsatz (NV)
Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA- Italien 1989 findet auch auf Vergütungen i. S. der Schiffahrts- und Luftfahrtsklausel des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 Anwendung.
Normenkette
DBA-Italien 1989 Art. 15 Abs. 2-3; Zustimmungsgesetz zum DBA-Italien 1989 Art. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1990 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Antragsteller erzielte in dem Streitjahr aus seiner Tätigkeit als Flugingenieur einer deutschen Luftverkehrsgesellschaft Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Von den in 1990 erzielten Einkünften entfiel ein Teilbetrag in Höhe von 8 203 DM auf in Italien ausgeübte Tätigkeiten.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) behandelte die Einkünfte aus in Italien ausgeübten Tätigkeiten in dem zunächst erlassenen Einkommensteuerbescheid 1990 als steuerfrei. Er erklärte jedoch den Bescheid für vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und wies die Antragsteller darauf hin, daß der Bescheid nach dem Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 -- DBA-Italien -- (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 396) zu ändern sei.
Das DBA-Italien 1989 trat am 27. Dezember 1992 in Kraft. Das FA erließ deshalb am 7. April 1993 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1990, in dem es die o. g. Einkünfte aus in Italien ausgeübten Tätigkeiten der inländischen Besteuerung unterwarf. Die Antragsteller legten gegen den Bescheid zunächst Einspruch und später Klage ein.
Die Antragsteller beantragten außerdem beim FA die Aussetzung der Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheides 1990. Diesen Antrag lehnte das FA am 21. April 1993 ab. Die Antragsteller beantragten deshalb mit ihrer Klage vom 13. August 1993 beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides. Diesen Antrag lehnte das FG durch Beschluß vom 27. September 1993 ab. Es ließ die Beschwerde zu.
Der Beschluß wurde den Antragstellern am 12. Oktober 1993 zugestellt. Sie legten am 13. Oktober 1993 Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Die Antragsteller stützen ihre Beschwerde auf die Verletzung materiellen Rechts.
Am 6. Dezember 1993 verfügte das FA die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1990 befristet bis zum 28. Februar 1994. Auf Anfrage erklärten die Antragsteller, daß sie unbeschadet dessen an ihrem Antrag festhalten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist teils unzulässig und im übrigen unbegründet. Sie war deshalb insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
1. Für die Beschwerde ist das Rechtsschutzbedürfnis insoweit entfallen, als das FA die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1990 bis zum 28. Februar 1994 ausgesetzt hat. Insoweit hätten die Antragsteller ihre Beschwerde in der Hauptsache teilweise für erledigt erklären müssen. Sie haben es jedoch abgelehnt, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Deshalb ist die Beschwerde wegen des weggefallenen Rechtsschutzbedürfnisses als teilweise unzulässig zu behandeln.
2. Soweit die Beschwerde die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1990 für die Zeit ab dem 1. März 1994 betrifft, ist sie unbegründet.
a) Die vom Antragsteller in dem Streitjahr 1990 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ohne Einschränkung steuerpflichtig. Dazu geht der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG davon aus, daß die Antragsteller in 1990 ihren einzigen Wohnsitz im Inland hatten. Sie waren deshalb hier unbeschränkt steuerpflichtig. In sachlicher Hinsicht erstreckte sich ihre Steuerpflicht auf alle in § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannten Einkünfte. Dazu gehören auch die aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG) unabhängig davon, ob dieselbe im In- oder im Ausland ausgeübt wurde.
b) Die vom Antragsteller erzielten Einkünfte sind auch insoweit im Inland steuerpflichtig, als sie durch in Italien ausgeübte Tätigkeiten veranlaßt sind. Art. 7 und 11 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiet der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 -- DBA-Italien 1925 -- (RGBl II 1925, 1145) finden für den Veranlagungszeitraum 1990 keine Anwendung mehr. Dies beruht auf dem Zustimmungsgesetz vom 10. August 1990 zum DBA-Italien 1989. Nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes ist die Protokollvorschrift Nummer 22 Buchst. b i. V. m. der Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e zum DBA-Italien 1989 ab dem 1. Januar 1990 anzuwenden. Bereits ergangene Steuerfestsetzungen sind aufzuheben oder zu ändern. Das Zustimmungsgesetz trat am Tage nach seiner Verkündung in Kraft. Dies war der 19. August 1990. Durch Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 wurde das Zustimmungsgesetz vom 7. Dezember 1925 (RGBl II 1925, 1145) zum DBA-Italien 1925 dahin geändert, daß Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 schon für die Zeit ab dem 1. Januar 1990 auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 nicht mehr anzuwenden sind. Die entsprechende Änderung des DBA-Italien 1925 ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990, wohl aber aus der Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e, auf die Art. 2 des Zustimmungsgesetzes verweist, und aus der Natur der Sache. Da Art. 2 des Zustimmungsgesetzes eine Übergangsregelung zu einem neu abgeschlossenen DBA enthält, muß die Vorschrift als konkludente Änderung des Zustimmungsgesetzes zum DBA-Italien 1925 verstanden werden. Ob die entsprechende Änderung auch völkerrechtlich wirksam ist, ist für die Anwendung des Zustimmungsgesetzes im Inland irrelevant.
c) Zwar bezieht sich die Protokollvorschrift der Nummer 16 Buchst. e nur auf Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 und nicht auch auf solche i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989. Dies stellt jedoch die Anwendung des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 auf den Streitfall nicht in Frage.
Bei der Auslegung der Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e ist zu beachten, daß das DBA-Italien 1989 völkerrechtlich erst am 27. Dezember 1992 in Kraft trat. Nach Art. 31 Abs. 2 Buchst. a DBA-Italien 1989 i. V. m. Art. 1 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 sind die im gesamten Art. 15 DBA-Italien 1989 vereinbarten Rechtsfolgen erst ab dem Veranlagungszeitraum 1993 anzuwenden. So gesehen gibt es keine Einkünfte, die der Antragsteller schon in 1990 erzielte und auf die die Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 anzuwenden sein könnte. In 1990 erzielte der Antragsteller Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nur nach der Art, wie sie in Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien genannt sind. Nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 ist auf diese Einkünfte eine besondere Rechtsfolge für die Übergangszeit vom 1. Januar 1990 bis zum 31. Dezember 1992 anzuwenden, die nicht mit der aus Art. 15 Abs. 2 oder 3 DBA-Italien 1989 identisch ist. Wenn bei dieser Sachlage die Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e "Einkünfte aus unselbständiger Arbeit im Sinne des Art. 15 Abs. 2" DBA-Italien 1989 anspricht, dann sind damit alle gemeint, die tatbestandsmäßig unter Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 fallen. Dies gilt auch dann, wenn die Einkünfte rechtsfolgemäßig unter Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 fallen würden, falls die Vorschrift schon ab dem Veranlagungszeitraum 1990 anzuwenden wäre. Die Anwendung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 würde in diesem Fall nur auf dem lex-specialis-Charakter der Rechtsfolgeregelung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 gegenüber dem Abs. 2 beruhen (vgl. Vogel, Doppelbe- steuerungsabkommen, 2. Aufl., Art. 15 Rdnr. 65). Dies schließt es jedoch nicht aus, daß die Einkünfte, auf die die Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 anzuwenden wäre, zugleich "Einkünfte i. S. des Art. 15 Abs. 2" DBA-Italien 1989 sind. Auf sie findet deshalb auch Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 Anwendung.
d) Die vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung rechtfertigt sich auch unter dem Gesichtspunkt der verfassungskonformen Gesetzesauslegung mit Rücksicht auf Sinn und Zweck des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990. Der dort geregelten teilweisen Nichtanwendung des DBA-Italien 1925 liegt die Überlegung zugrunde, daß das DBA-Italien 1925 gerade im Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu faktischen Steuerbefreiungen geführt hatte, die weder mit dem Sinn der Doppelbesteuerungabkommen noch mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung eines jeden nach seiner Leistungsfähigkeit im Einklang standen. Unbeschadet der Frage, ob die bestehende Ungleichbehandlung noch verfassungskonform war, war der Gesetzgeber aufgerufen, die bestehenden Ungleichheiten in der Steuerbelastung alsbald zu beheben. Dabei durfte er nicht zwischen Personen, deren gewöhnlicher Arbeitsplatz sich an Bord eines Italien überfliegenden Luftfahrzeuges befindet, und anderen Arbeitnehmern unterscheiden, die sich nur gelegentlich an Bord desselben Luftfahrzeuges aufhalten und italienisches Hoheitsgebiet durchfliegen. Die unter der Geltung des DBA-Italien 1925 festzustellenden Ungleichbehandlungen bestanden für beide Fallgruppen gleichermaßen. Gerade deshalb mußte der Gesetzgeber um eine einheitliche Lösung des Problems bemüht sein. Würde er die unter Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 fallenden Personen schlechter behandelt haben als die, auf die Art. 15 Abs. 3 DBA-Italien 1989 anzuwenden wäre, so würden letztere eine sachlich nicht gerechtfertigte Steuerbefreiung erhalten, was mit Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) nicht im Einklang stünde. Deshalb spricht die verfassungskonforme Auslegung dafür, den Kreis der "unter Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 fallenden Personen" weit zu ziehen.
e) Nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 ist die Protokollvorschrift der Nummer 22 Buchst. b i. V. m. der Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e ab dem 1. Januar 1990 anzuwenden. Die Protokollvorschrift betrifft die erstmalige Anwendung des DBA-Italien 1989, wie sie in dessen Art. 31 geregelt ist. Wenn es in Nummer 22 Buchst. b heißt, daß abweichend von Art. 31 Abs. 2 Buchst. a DBA-Italien 1989 die Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e schon ab dem 1. Januar 1989 Anwendung findet, so deckt diese Vereinbarung auch die in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes geregelte Anwendung erst für die Zeit ab dem 1. Januar 1990 ab. Insoweit kommt es für die Abkommensanwendung ab dem 1. Januar 1990 nicht darauf an, daß die genannten Bestimmungen unterschiedliche Zeitpunkte nennen.
f) Nach der Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e können Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 2 DBA-Italien 1989 ungeachtet der Art. 7 und 11 DBA-Italien 1925 auch in der Bundesrepublik besteuert werden, wenn die Einkünfte in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1992 von einer in der Bundesrepublik ansässigen Person erzielt werden. Der Antragsteller erfüllt alle genannten Voraussetzungen. Er war in dem Streitjahr 1990 i. S. des Art. 4 Abs. 1 DBA-Italien 1989 nur in der Bundesrepublik ansässig. Er erzielte Einkünfte aus einer in Italien ausgeübten Tätigkeit unter den in Art. 15 Abs. 2 Buchst. a bis c DBA-Italien 1989 genannten Voraussetzungen. Damit findet die Protokollvorschrift Nummer 16 Buchst. e auf die vom Antragsteller erzielten Einkünfte Anwendung.
g) Die Anwendung des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 10. August 1990 ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Dazu verweist der Senat auf seinen Beschluß vom 10. November 1993 I B 122/93, der in BFHE 172, 483, BStBl II 1994, 155, Internationales Steuerrecht 1994, 74 veröffentlicht ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419888 |
BFH/NV 1995, 9 |