Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer; keine Anwendung der sozialverfahrensrechtlichen Vorschriften im steuerrechtlichen Kindergeldrecht; Billigkeitserlass
Leitsatz (NV)
1. Für die Kindergeldberechtigung ist der Besitz einer ausreichenden ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung nach dem AuslG 1990 oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels nach dem AufenthG entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob ein Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung bzw. einen entsprechenden Titel besteht.
2. Auf das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld sind die Vorschriften der AO anzuwenden. Die diesen gegenüber günstigeren Bestimmungen der §§ 44 ff. SGB X können auch nicht analog herangezogen werden.
3. Ein Billigkeitserlass nach § 227 AO kann gerechtfertigt sein, wenn im Hinblick auf die Gewährung von Kindergeld Sozialleistungen des Empfängers gekürzt wurden, die bei einer später erfolgenden Rückforderung des Kindergeldes nicht mehr nachgezahlt werden können.
4. Ob hinsichtlich der Rückforderung des Kindergeldes ein Antrag auf Billigkeitserlass darauf gestützt werden kann, dass dieses bei der Ermittlung der entsprechenden Sozialleistung als Einkommen des Betroffenen berücksichtigt wurde, kann in einem die Rechtmäßigkeit der Rückforderung betreffenden Revisionsverfahren nicht geklärt werden.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2; SGB X § 44; AO § 227
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 29.04.2010; Aktenzeichen 14 K 49/10) |
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‐-FGO--).
Rz. 2
1. Die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Frage, ob "die Versagung --hier sogar die Rückforderung-- von Kindergeld zu Lasten eines auf Dauer in Deutschland legal lebenden Ausländers, der künftige Einwohner Deutschlands betreut (hat) und erzieht (erzogen hat), verfassungswidrig" ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Diese setzt u.a. voraus, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig ist und in einem Revisionsverfahren auch geklärt werden kann. An der Klärungsfähigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen (z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 2008 I B 77/07, BFH/NV 2008, 1445). Danach kommt eine Zulassung hier nicht in Betracht.
Rz. 3
Der Senat hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03 (BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905) sowie vom 22. November 2007 III R 54/02 (BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913) bereits entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Kindergeldberechtigung in § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) n.F. im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von einer berechtigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder von der Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG n.F.). Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass geduldete Ausländer nicht kindergeldberechtigt sind (vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 9. Dezember 2009 2 BvR 1957/08, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 292). An dieser Rechtsansicht des Senats hat sich auch durch die Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R (juris), die zur wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit ergangen sind, nichts geändert (s. Senatsurteil vom 28. April 2010 III R 1/08, BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980). Der Kläger hat nicht dargelegt, weshalb die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage trotz der bereits vorhandenen Rechtsprechung erneut klärungsbedürftig geworden sein sollte.
Rz. 4
In der Rechtsprechung des BFH ist ferner geklärt, dass für die Kindergeldberechtigung der "Besitz" einer ausreichenden ausländerrechtlichen Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz 1990 oder eines aufenthaltsrechtlichen Titels nach dem Aufenthaltsgesetz entscheidend ist und es nicht darauf ankommt, ob ein Anspruch auf eine entsprechende Genehmigung bzw. einen entsprechenden Titel besteht (z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2009 III B 152/08, BFH/NV 2009, 1811). Daher ist es für die Frage der Kindergeldberechtigung des Klägers im Streitzeitraum unerheblich, ob der Kläger gegenwärtig im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) verfügte er jedenfalls in dem insoweit maßgeblichen Streitzeitraum nicht über einen der erforderlichen Aufenthaltstitel i.S. des § 62 Abs. 2 EStG.
Rz. 5
2. Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob "die Ungleichbehandlung von Empfängern sozialrechtlichen Kindergeldes, denen Vertrauensschutz über die §§ 45, 48 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zugebilligt wird, gegenüber den Empfängern von steuerrechtlichem Kindergeld, die keinen Vertrauensschutz reklamieren können, mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar" ist. Denn auch diese Rechtsfrage ist bereits geklärt. So geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auf das nach dem Einkommensteuergesetz zu gewährende Kindergeld die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) anzuwenden sind und die diesen gegenüber günstigeren Bestimmungen der §§ 44 ff. SGB X auch nicht analog herangezogen werden können (z.B. Senatsurteil vom 19. November 2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357, m.w.N.). Auch nach Ansicht des BVerfG (Beschluss vom 6. April 2011 1 BvR 1765/09, zu § 44 SGB X, juris) verstößt die verfahrensrechtliche Schlechterstellung bei der Gewährung von Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz gegenüber einer Kindergeldleistung nach dem Bundeskindergeldgesetz nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da sie durch Praktikabilitätserwägungen sachlich gerechtfertigt ist. Diese sprechen dafür, für das nach dem Einkommensteuergesetz festzusetzende Kindergeld die Anwendung des steuerlichen Verfahrensrechts der Abgabenordnung vorzuschreiben, denn die für die Streitigkeiten aus dem Einkommensteuergesetz zuständigen FG sind mit der Anwendung dieses Verfahrensrechts besonders vertraut.
Rz. 6
Darüber hinaus hat der BFH bereits entschieden, dass ein Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein kann, wenn im Hinblick auf die Gewährung von Kindergeld Sozialleistungen des Empfängers gekürzt wurden, die bei einer später erfolgenden Rückforderung des Kindergeldes nicht mehr nachgezahlt werden können (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298; in BFH/NV 2009, 357; vom 18. Dezember 2008 III R 93/06, BFH/NV 2009, 749, und vom 30. Juli 2009 III R 22/07, BFH/NV 2009, 1983). Ob hinsichtlich der Rückforderung des Kindergeldes ein Antrag auf Billigkeitserlass darauf gestützt werden kann, dass dieses bei der Ermittlung der entsprechenden Sozialleistung als Einkommen des Betroffenen berücksichtigt wurde, kann allerdings in einem die Rechtmäßigkeit der Rückforderung betreffenden Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2008 III S 17/08 (PKH), juris).
Fundstellen
Haufe-Index 2712043 |
BFH/NV 2011, 1353 |