Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Darlegungspflicht bei Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Allgemeingehaltene, formelhafte Wendungen sind nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache darzulegen (§§ 116 Abs. 1 Nr. 3, 119 Nr. 4 FGO).
2. Wer als Verfahrensmangel die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, muß nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO substantiiert dartun, inwiefern ein solcher Verfahrensverstoß seine Möglichkeiten zu weiterem Vorbringen in entscheidungserheblicher Weise eingeengt hat.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ gegenüber den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger), Eheleuten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, einen Einkommensteuerbescheid für 1989.
Hiergegen legte der steuerliche Berater und Prozeßbevollmächtigte für die Kläger (P) Einspruch ein, zu dessen Begründung er auf vier Punkte (u. a. Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrages und der Kinderfreibeträge) einer formularartig vorbereiteten, fünfunddreißig Varianten umfassenden "Anlage" Bezug nahm.
Mit Schreiben vom 18. Juli 1991, das am 24. Juli 1991 beim FA einging, erweiterte P den Einspruch um zwei Punkte (Verfassungsmäßigkeit der in § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes -- EStG -- vorgesehenen Abzugsbeschränkung sowie der Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen) aus einem inzwischen dreiundvierzig Punkte umfassenden Begründungsformular. Außerdem teilte P in diesem Schreiben durch entsprechenden Stempelaufdruck mit, der Antrag auf Ruhen des Verfahrens, der in der Anlage zum Einspruch zwar als feststehender Einleitungssatz vorgesehen, aber nicht ausdrücklich angesprochen bzw. markiert worden war, werde "nicht aufrechterhalten" und er erbitte "eine klagefähige Entscheidung".
Mit Schreiben vom 27. April 1991, das am 18. Juli 1991 beim Finanzgericht (FG) eingegangen ist, erhob P namens der Kläger, unter Vorlage einer undatierten, u. a. auch "gerichtliche ... Rechtsbehelfe" umfassenden Vollmacht, Untätigkeitsklage.
Die -- wiederum formularartig abgefaßte -- Klageschrift enthält die Absichtsbekundung, in der mündlichen Verhandlung verschiedene Anträge zu stellen; welche das genau sein sollten, blieb insofern unklar, als von den vorgesehenen zwölf Antragsvarianten zwar vier markiert, die übrigen durch gestrichen, aber alle -- ebenfalls vordruckartig -- begründet wurden: Keiner der formularmäßigen Begründungstexte (die sich, soweit verfassungsrechtliche Einwände enthaltend, in Hinweisen auf beim Bundes verfassungsgericht -- BVerfG -- anhängige Verfahren beschränkten) war gestrichen, jedoch zwei von ihnen waren markiert. Ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bestehe, so fährt der Begründungstext fort, darin, daß sich aus der Nichtbearbeitung des Einspruchs ein erheblicher Zinsschaden ergebe. Der Antrag auf "Erteilung einer klagefähigen Entscheidung" sei am 6. September 1990 gestellt worden.
Am 23. November 1992 teilte P mit, er werde in der mündlichen Verhandlung die bisher beabsichtigten Klageanträge nicht mehr stellen, sondern nur noch den "zu 1 n" (dem aus anderen Verfahren bekannten Formblatt zufolge den Abzug von Versicherungsbeiträgen betreffend), und zwar "mit der Maßgabe, einen um 500 DM höheren Freibetrag zu gewähren". -- Bei einer negativen Entscheidung des BVerfG werde er die Klage zurücknehmen. Bis dahin beantrage er Verfahrensunterbrechung. Zur weiteren Begründung verwies er auf ein Schreiben an den Senatsvorsitzenden, das allerdings nicht den Streitfall betrifft.
Durch Gerichtsbescheid vom 12. Februar 1993 wies das FG die Klage unter Berufung auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673) vor allem mit der Begründung als unzulässig ab, es handle sich -- wie in mehr als eintausend anderen bei diesem Gericht von P anhängig gemachten Fällen auch -- um eine rechtsmißbräuchlich erhobene "Vorratsklage", der das Rechtsschutzbedürfnis fehle, weil wegen der beim BVerfG schwebenden Musterverfahren eine Unterbrechung des Einspruchsverfahrens zur Rechtswahrung ausgereicht hätte.
Das FG hielt es für erforderlich, seine Entscheidung auch den Klägern unmittelbar zuzustellen, um ihnen persönlich rechtliches Gehör zu gewähren, weil man -- wie Parallelfälle konkret erwiesen hätten -- nicht ohne weiteres davon ausgehen könne, daß die von den Klägern erteilte Blankovollmacht auch zur Erhebung einer solch ungewöhnlichen Klage ermächtige.
Am 6. April 1993 beantragte P -- wiederum formularmäßig -- mündliche Verhandlung. Wegen der gleichzeitig beantragten Akteneinsicht wurde er mit Schreiben vom 14. April 1993 darauf hingewiesen, daß dies nur (nach rechtzeitiger Absprache) bei der Geschäftsstelle des Senats möglich sei.
Am 5. Mai 1993 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf 14. Juni 1993, 15 Uhr, und unter Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) geladen.
Den am gleichen Tag, um 17.45 Uhr, per Fax beim FG eingegangenen Hinweis P's, er sei in der Zeit vom 4. bis 21. Juni 1993 dienstlich verhindert und bitte, dies bei der Terminplanung zu berücksichtigen, beantwortete der Richter am Finanzgericht A in Vertretung des Senatsvorsitzenden am 6. Mai 1993 mit der Aufforderung, den Hinderungsgrund "in jeder Hinsicht zu substantiieren und glaubhaft zu machen". Daraufhin erklärte P am 8. Juni 1993, er befinde sich am Tag der mündlichen Verhandlung mit seinem Mandanten im Ausland. Dieser Termin sei am 3. Mai 1993 verbindlich festgelegt worden. Es seien "unternehmerische Entscheidungen" zu treffen, die seine, P's, Anwesenheit dort in jedem Fall erforderlich machten.
Unter Bezugnahme auf die BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFH/NV 1993, 106) und vom 30. November 1992 X B 18/92 (BFH/NV 1993, 732) wurde der Verlegungsantrag durch Vorsitzenden-Verfügung vom 9. Juni 1993 abgelehnt.
Am 11. Juni 1993 beantragte P in dieser Sache und in neun weiteren Verfahren erneut Akteneinsicht beim FA.
Am Tag der mündlichen Verhandlung, ab 11.16 Uhr, ging -- per Fax -- ein erneuter Verlegungsantrag und außerdem ein gegen A gerichtetes Ablehnungsgesuch ein.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 1993, zu der trotz ordnungsgemäßer Ladung seitens der Kläger niemand erschienen war, hat das FG die Klage, nach Ablehnung des Verlegungsantrags und Verwerfung des Befangenheitsgesuchs, im wesentlichen aus den schon im Gerichtsbescheid mitgeteilten Gründen als unzulässig abgewiesen.
Gegen das Urteil haben die Kläger Revision nach § 116 FGO (vgl. dazu den Senatsbeschluß X R 195/93 vom heutigen Tag) und gegen die Nichtzulassung der Revision außerdem Beschwerde eingelegt, mit der sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensmängel geltend machen: sie seien im Klageverfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4 FGO), weil das FG P faktisch vom Verfahren ausgeschlossen habe. In der unmittelbaren Zustellung des Gerichtsbescheids an die Kläger sei der erneute Versuch zu sehen, die in rechtlichen Dingen unerfahrenen Kläger von ihm, P, zu trennen. Über die Zulässigkeit eines solchen vom FG "in weit über 1000 Fällen" praktizierten faktischen Ausschlusses habe der BFH bisher noch nicht entschieden. Hierdurch sei auch "das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt". Dieses Verhalten des FG enthalte außerdem Verfahrensfehler: Durch den faktischen Ausschluß des Prozeßbevollmächtigten sei das rechtliche Gehör verletzt worden; ferner habe der Vorsitzende die ihm nach § 76 Abs. 2 FGO obliegende Fürsorgepflicht verletzt. -- Weitere Verfahrensfehler sehen die Kläger in
-- der willkürlichen Handhabung des gesamten Verfahrens durch A;
-- der Ablehnung des Terminsverlegungsantrags, trotz beruflicher Verhinderung P's;
-- der Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Akteneinsicht beim FA;
-- der Ablehnung des Antrags auf Verfahrensunterbrechung.
Zu den zuletzt genannten Punkten haben die Kläger außerdem Beschwerden eingelegt, aber nicht selbständig begründet. Schließlich erheben die Kläger vorab Einwände gegen die Besetzung des Senats und begehren Nichterhebung der Kosten gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat ist -- wie nun schon mehrfach unter allen denkbaren Aspekten dargelegt -- ordnungsgemäß besetzt (vgl. u. a. die Senatsbeschlüsse vom 22. März 1994 X R 66/93, BFH/NV 1994, 499, und X B 81/93, BFH/NV 1994, 498 sowie vom 10. August 1994 X K 4/94, BFH/NV 1995, 141).
2. Der Senat sieht, nicht zuletzt unter dem (hier vor allem hinsichtlich der Kosten bedeutsamen) Gesichtspunkt der Meist begünstigung, sämtliche in dieser Sache eingelegten Beschwerden als ein einheit liches, gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtetes Rechtsmittel an.
3. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die seitens der Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) bzw. nicht gegeben.
a) Soweit sich die Kläger auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache berufen, erschöpft sich das Vorbringen in unklaren, weil allgemein gehaltenen Bezugnahmen auf andere Verfahren und in Einwänden gegen das Zustandekommen des erstinstanzlichen Urteils, verbunden wiederum mit allgemeinen, formelhaften Wendungen zum allgemeinen Interesse an der "für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Rechtsfrage". Welche Rechtsfrage dies sein soll, ergibt sich aus der Beschwerdeschrift nicht. Damit ist schon den auch sonst notwendigen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 7 ff. und 55 ff.) nicht genügt. Hier aber war, da die Einwände verfahrensrechtlicher Art sind, zur Abgrenzung vom Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (s. Gräber, a. a. O., § 115 Rz. 8) in besonderem Maße Präzisierung geboten.
Soweit in der Beschwerdeschrift die Frage für grundsätzlich bedeutsam gehalten wird, ob das Gericht in Fällen der vorliegenden Art Zustellungen auch an die Vertretenen richten darf, fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit (vgl. dazu Gräber, a. a. O., § 115 Rz. 8 f.), weil die Antwort ohne weiteres unmittelbar aus dem Gesetz abzuleiten ist (s. dazu Senatsbeschluß in der Revisionssache X R 195/93 vom heutigen Tag), im übrigen an der Klärungsfähigkeit (vgl. Gräber, a. a. O., Rz. 10 f.), weil das FG die Klage -- unabhängig von solchen Fragen -- zu Recht als unzulässig angesehen hat und eine Revisionsentscheidung hieran nichts mehr ändern könnte (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 1988 III B 134/86, BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484, und vom 8. Mai 1992 III B 123/92, BFH/NV 1993, 244).
b) Auch auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann die Beschwerde mit Erfolg nicht gestützt werden.
aa) Soweit die das Verfahren betreffenden Einwände die Verletzung rechtlichen Gehörs betreffen, fehlt es an einer ausreichenden Bezeichnung des Mangels (vgl. dazu Gräber, a. a. O., § 115 Rz. 65 und § 120 Rz. 37 ff.): Es ist insbesondere nicht dargetan, inwiefern das angefochtene Urteil auf einem solchen Mangel beruhen kann, womit genau die Kläger nicht gehört wurden bzw. was genau sie an Entscheidungserheblichem vortragen wollten und nicht vortragen konnten (vgl. Senatsbeschluß vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; Gräber, a. a. O., § 115 Rz. 26 und § 119 Rz. 11 ff.).
bb) Im übrigen lassen weder Sitzungsprotokoll noch sonstiger Akteninhalt einen Verfahrensfehler des Gerichts erkennen: Die Kläger waren im Sinne des Gesetzes ordnungsgemäß vertreten (s. dazu näher Senatsbeschluß in der Revisionssache X R 195/93 vom heutigen Tag) und hatten bei einer Prozeßdauer von fast zwei Jahren ausreichend Gelegenheit, ihr Anliegen vorzubringen. Ihre Klage war allerdings wegen der im angefochtenen Urteil festgestellten Mängel unzulässig.
cc) Schon wegen der Unzulässigkeit der Klage konnten die weiteren Einwände der Kläger gegen die Verfahrensweise des FG keinen Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen. Das gilt für die Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht beim FA (vgl. Senatsbeschluß vom 30. November 1992 X B 18/92, BFH/NV 1993, 732) ebenso wie für die Ablehnung des Antrags auf Verfahrensunterbrechung (vgl. dazu Senatsbeschluß in BFH/NV 1994, 382). Die Einwände gegen die Mitwirkung A's im Klageverfahren sind durch wiederholte rügelose Einlassungen im erst instanzlichen Verfahren verbraucht (§ 51 FGO i. V. m. § 43 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) bzw. unsubstantiiert (der mit der Beschwerdeschrift in Fotokopie vorgelegte Schriftsatz zur Klagesache ... vom 28. August 1993 betrifft einen anderen FG- Senat und andere Richter; das Schreiben vom 15. Juli 1992 läßt ebenfalls jeden Sachbezug vermissen).
Schließlich verdient auch die Rüge der Ablehnung der Terminsverlegung schon deshalb keine weitere Beachtung, weil die Kläger nicht dargelegt haben, inwiefern dadurch ihre Möglichkeiten zu weiterem Vorbringen eingeengt wurden (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1994, 382). Im übrigen ist ein Verlegungsgrund i. S. des § 227 ZPO nicht in der erforderlichen Weise konkretisiert und glaubhaft gemacht worden (vgl. i. ü. BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 106).
4. Die Voraussetzungen des § 8 GKG sind offensichtlich nicht gegeben. -- Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 420611 |
BFH/NV 1995, 711 |
BFH/NV 1995, 712 |