Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbegründetheit einer auf § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO gestützten NZB
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob aus der Sicht des § 152 AO (Verspätungszuschlag) die Abgabe einer inhaltlich bewußt unrichtigen, auf eine Zahllast von 0 DM lautenden USt-Voranmeldung ausreicht, ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen, und deshalb nicht der Nichtabgabe gleichgestellt werden darf, ist im Hinblick auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung.
Normenkette
AO § 168 Abs. 2; AO 1977 §§ 80f, 150, 152 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, §§ 168, 235; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; UStG 1980 § 18 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) gab für die Monate Mai, Juni und August bis Dezember 1983 sowie Januar bis Juni 1984 unter Inanspruchnahme der ,,Schonfrist" zunächst - zum Teil als vorläufig bezeichnete (betr. Mai bis August 1983) - Umsatzsteuervoranmeldungen ab, in denen jeweils Steuer und Vorsteuer in derselben Höhe eingetragen waren, so daß die errechnete Zahllast stets 0 DM ausmachte. Später - teilweise nach mehreren Monaten - reichte sie geänderte Umsatzsteuervoranmeldungen ein, die zum Teil positive Zahllastbeträge auswiesen, und zwar zwischen . . . DM (März 1984) und . . . DM (Februar 1984).
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) setzte im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung mit Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden vom 23. Oktober 1984 für die oben genannten Voranmeldungszeiträume Verspätungszuschläge von insgesamt . . . DM fest.
Mit der nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobenen Klage wollte die Klägerin die Aufhebung der Festsetzung der Verspätungszuschläge erreichen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es die Beschwerdeentscheidung aufhob, während es im übrigen entschied, soweit die Klägerin darüber hinaus begehrt habe, auch die Bescheide über die Zuschlagsfestsetzungen aufzuheben, müsse der Klage der Erfolg versagt bleiben.
Zur Begründung der - teilweisen - Klagestattgabe führte das FG aus, der Oberfinanzdirektion (OFD) sei ein Ermessensfehler unterlaufen, indem sie bei der Ermittlung von Überschreitungen der Erklärungsfrist die Abgabe der berichtigten Voranmeldungen zugrunde gelegt habe, statt von der Einreichung der ursprünglichen Voranmeldungen auszugehen. Die Klägerin sei nämlich mit der Abgabe der zunächst eingereichten, zum Teil als vorläufig bezeichneten Umsatzsteuervoranmeldungen ihrer Erklärungspflicht gemäß § 18 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) nachgekommen. Deshalb habe die Beantwortung der Frage nach einer Fristüberschreitung bzw. nach deren Dauer auf die zuerst eingereichten, nicht auf die berichtigten Voranmeldungen abgestellt werden müssen. Dies habe die OFD verkannt und habe jeweils eine zu große Zeitspanne für die gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu berücksichtigende Fristüberschreitung angenommen, so daß die Beschwerdeentscheidung als ermessensfehlerhaft aufzuheben gewesen sei.
Die zunächst eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen entsprächen nach Form und Inhalt den Anforderungen des § 18 Abs. 1 UStG 1980 i.V.m. § 150 AO 1977. Daß die Klägerin zur Vermeidung von Zahllasten bewußt unrichtige Angaben über die Höhe der Umsatzsteuer und der abziehbaren Vorsteuer gemacht habe, rechtfertige es nicht, den vorliegenden Sachverhalt im Rahmen des § 152 AO 1977 einem Fall der Nichtabgabe von Voranmeldungen gleichzusetzen.
Zweck der Festsetzung von Verspätungszuschlägen sei es, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe seiner Steuererklärungen anzuhalten, um ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren zu gewährleisten (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. August 1988 V R 19/83, BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929). Dieser Zweck sei auch bei der Einreichung eines inhaltlich unrichtig, aber vollständig ausgefüllten Steuererklärungsvordruckes erfüllt sowie im Falle der Abgabe einer als vorläufig bezeichneten Steuererklärung (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 6.November 1969 IV 249/64, BFHE 97, 405, BStBl II 1970, 168).
Dementsprechend dürften bei der Anwendung des § 152 AO 1977 eine eingereichte Steuererklärung nur dann unberücksichtigt bleiben und der Sachverhalt einem Fall unterbliebener Erklärungsabgabe gleichgesetzt werden, wenn die Erklärung derart lückenhaft oder in sich widersprüchlich sei, daß ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren nicht durchgeführt bzw. im Steueranmeldungsverfahren der Einreichung der Erklärung nicht die Wirkung einer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung (§ 168 AO 177) beigemessen werden könne.
Während Säumniszuschläge ein Druckmittel im Hinblick auf die rechtzeitige Steuerentrichtung seien, stellten Verspätungszuschläge ein Druckmittel in Beziehung auf die rechtzeitige Erklärungsabgabe dar. Sie seien nicht etwa Sanktionen zur Ahndung von Verstößen gegen die Verpflichtung, inhaltlich richtige Steuererklärungen einzureichen. Insoweit ständen den Finanzbehörden andere Handhaben zur Verfügung. Bei der Abgabe inhaltlich unrichtiger Erklärungen müsse die Finanzbehörde gemäß §§ 80f. AO 1977 auf eine Korrektur hinwirken und nötigenfalls die Besteuerungsgrundlagen schätzen. Im Falle bewußt unrichtiger Angaben bestehe die Möglichkeit, Hinterziehungszinsen festzusetzen (§ 235 AO 1977) und die für die Erklärungsabgabe verantwortlichen Personen wegen Steuerhinterziehung zu belangen. Für eine Anwendung des § 152 AO 1977 sei unter solchen Umständen kein Raum.
Wegen der Ausnutzung der sog. Schonfrist durch die Klägerin seien die ursprünglichen Voranmeldungen verspätet eingereicht worden. Deshalb lägen unter den gegebenen Umständen die Voraussetzungen einer Festsetzung von Verspätungszuschlägen vor. Durch die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung werde die OFD in die Lage versetzt, unter zutreffender Berechnung der Fristüberschreitungen eine ermessensfehlerfreie Zuschlagsfestsetzung nachzuholen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, im vorliegenden Fall sei die Rechtsfrage erheblich, ob die Abgabe einer inhaltlich bewußt unrichtigen, auf eine Zahllast von 0 DM lautenden Voranmeldung ausreiche, ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen. Diese Rechtsfrage habe für die Durchführung der Umsatzbesteuerung im Voranmeldungsverfahren über den vorliegenden Streitfall hinaus Bedeutung und sei vom BFH noch nicht beantwortet worden.
Der BFH habe zwar in seinem Urteil in BFHE 97, 405, BStBl II 1970, 168 für die dem § 152 AO 1977 vorausgegangene Rechtslage entschieden, im Sinne der die Verspätungszuschläge betreffenden Regelung liege eine Steuererklärung auch dann vor, wenn die eingereichte Erklärung Mängel aufweise, die allerdings nicht so schwerwiegend sein dürften, daß sie die Ingangsetzung des ordnungsgemäßen Veranlagungsverfahrens verhinderten. Entsprechendes gelte für die Abgabe einer als vorläufig bezeichneten Steuererklärung. Lediglich die Einreichung einer völlig unzureichenden Steuererklärung stehe der Nichtabgabe einer Erklärung gleich.
Der BFH habe sich allerdings nicht dazu geäußert, unter welchen Umständen von einer ,,völlig unzureichenden Steuererklärung" auszugehen sei. Auch in der einschlägigen Literatur werde die Streitfrage nicht eindeutig beantwortet, so daß eine abschließende Klärung durch den BFH erforderlich und von allgemeiner Bedeutung sei.
Die Klägerin ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet; sie wird zurückgewiesen. Denn für die vom FA aufgeworfene Frage fehlt es an der grundsätzlichen Bedeutung.
1. Begründetheit einer nach § 115 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaften Nichtzulassungsbeschwerde setzt u.a. voraus, daß einer der in § 115 Abs. 2 FGO bezeichneten Zulassungsgründe gegeben ist, von denen im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Ausführungen des FA ausschließlich der Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in Betracht kommt (Nummer 1).
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm.7 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 115 FGO Tz.54). Ein auf Rechtsklarheit, Rechtseinheitlichkeit und einheitliche Rechtsentwicklung bedachtes allgemeines Interesse ist dagegen nicht vorhanden, wenn die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage nicht bzw. nicht mehr klärungsbedürftig ist oder wenn zwar Klärungsbedürftigkeit besteht, aber die Bedeutung einer Beantwortung der Frage durch den BFH in dem angestrebten Revisionsverfahr
en sich in der Entscheidung des konkreten Einzelfalles erschöpfen würde (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm.7 f.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Tz.56).
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom FA geltend gemachte Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die schon vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung überhaupt noch besteht; denn eine weitere Klärung hätte jedenfalls keine über den vorliegenden Fall hinausgehende Bedeutung.
a) Die vom FA mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragene Frage zielt auf die in § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 enthaltene tatbestandsmäßige Voraussetzung hin, daß der Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachgekommen worden ist, und betrifft das Problem, unter welchen Umständen die Einreichung einer inhaltlich unrichtigen Steuererklärung der Nichtabgabe einer Erklärung gleichsteht. Hierzu hat sich der BFH für die im Streitfall maßgebende Rechtslage bisher noch nicht geäußert.
Der BFH hat jedoch zu der dem § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorausgegangenen entsprechenden Regelung in § 168 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) durch sein Urteil in BFHE 97, 405, BStBl II 1970, 168 entschieden, eine - inhaltlich - zum Teil unrichtige Steuererklärung bleibe, ungeachtet der bestehenden Mängel, Steuererklärung im Sinne der die Festsetzung von Verspätungszuschlägen betreffenden Regelung. Bei fristgerechter Abgabe einer zum Teil unrichtigen Erklärung werde zwar eine Nachforschungspflicht der Finanzbehörden ausgelöst; ein Verspätungszuschlag dürfe jedoch nicht festgesetzt werden. Der Zweck einer Zuschlagsfestsetzung bestehe lediglich darin, das ordnungsmäßige Veranlagungsverfahren in Gang zu bringen. Hierzu sei auch eine - inhaltlich - falsche Steuererklärung geeignet (vgl. jetzt Tipke/Kruse, a.a.O., § 152 AO 1977 Tz.4a = S. 33 erster Absatz). Nur die Abgabe einer völlig unzureichenden Steuererklärung könne der Nichteinreichung gleichstehen. Durch die Bezeichnung einer Steuererklärung als ,,vorläufig" würden die Finanzbehörden dagegen nicht gehindert, die Veranlagung einzuleiten.
b) Diese Grundsätze gelten ebenfalls für die Auslegung und Anwendung des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, und zwar auch in solchen Fällen, bei denen es um Steuererklärungen in Gestalt von Umsatzsteuervoranmeldungen geht.
Wie der Senat zu § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bereits entschieden hat (Urteil in BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929, unter B 1 erster Absatz sowie unter B I b zweiter Absatz), stellt der Verspätungszuschlag nach wie vor ein besonderes Druckmittel der Steuerverwaltung mit präventivem Charakter zur Sicherung eines ordnungsgemäßen Veranlagungsverfahrens dar. Dies folgt auch aus § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Dieses Druckmittel steht nicht nur auch im Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren zur Verfügung. Es hat sogar für den störungsfreien Ablauf gerade dieses Verfahrens besondere Bedeutung.
Im zitierten Urteil ist kein Anhalt für die Annahme zu finden, wegen der besonderen Bedeutung dürfte im Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren von einer veränderten Zweckbestimmung des Verspätungszuschlags ausgegangen werden.
Mithin ist auch für § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 als bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt anzusehen, daß die inhaltliche Unrichtigkeit einer eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung sich nur ausnahmsweise dem Fall der Nichtabgabe gleichsetzen läßt, und zwar lediglich dann, wenn die Unrichtigkeit von Angaben ein solches Ausmaß hat, daß sie die Voranmeldung als völlig unzureichend erscheinen läßt, so daß die Finanzbehörde nicht einmal imstande ist, das Verfahren zur Festsetzung der zutreffenden Umsatzsteuervorauszahlung in Gang zu setzen.
c) Bisher ist höchstrichterlich noch nicht näher umschrieben, was im Sinne des BFH-Urteils in BFHE 97, 405, BStBl II 1970, 168 unter bloß teilweiser inhaltlicher Unrichtigkeit einerseits bzw. unter einer völlig unzureichenden Steuererklärung andererseits verstanden werden soll. Dies bedeutet jedoch nicht, daß insoweit noch keine Klärung stattgefunden hätte. Vielmehr läßt sich die entsprechende vom FA aufgeworfene Frage bereits mit Hilfe der beiden erörterten BFH-Urteile beantworten. Es kommt darauf an, ob die Finanzbehörde aufgrund der inhaltlich unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen imstande ist, ein Verfahren zur Festsetzung zutreffender Umsatzsteuervorauszahlungen in Gang zu bringen oder nicht.
d) Es kann dahingestellt bleiben, ob angesichts dessen die vom FA geltend gemachte Klärungsbedürftigkeit überhaupt noch besteht. Selbst wenn dies der Fall wäre, müßte im vorliegenden, die Nichtzulassungsbeschwerde betreffenden Verfahren berücksichtigt werden, daß in dem vom FA angestrebten Revisionsverfahren, wenn überhaupt, allenfalls eine geringfügige weitere Präzisierung der generellen Aussage darüber zu erwarten wäre, unter welchen Umständen die Einreichung einer inhaltlich unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung wie eine Nichtabgabe zu behandeln ist. Dies beruht darauf, daß die inhaltliche Unrichtigkeit von Umsatzsteuervoranmeldungen in vielfältiger Gestalt auftreten kann, so daß es kaum möglich ist, generell und dennoch genauer zu umschreiben, unter welchen Umständen eine Umsatzsteuervoranmeldung als völlig unzureichende Steuererklärung anzusehen ist.
Bei weitem näher liegt die Annahme, daß im Revisionsverfahren lediglich überprüft und erörtert würde, ob das FG bei der Auslegung und Anwendung des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 für den Streitfall die hier erörterten Grundsätze angemessen berücksichtigt hat und ob demzufolge die Vorentscheidung der Revision standhält. An den diesbezüglichen auf den vorliegenden Einzelfall abgestellten Ausführungen einer BFH-Entscheidung besteht jedoch kein allgemeines Interesse, das die Anerkennung von grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigen könnte.
Fundstellen