Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO, wenn Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt wird
Leitsatz (NV)
Begehrt der Kläger die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, so fehlt es an der schlüssigen Darlegung eines Verfahrensmangels, wenn der Kläger lediglich vorträgt, das Urteil sei erst nach Ablauf von fünf Monaten zugestellt worden.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nrn. 6, 3, § 120 Abs. 2 S. 2, § 105 Abs. 4, § 104 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten in ihrer Einkommensteuererklärung Refinanzierungszinsen in Höhe von 2 425 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit der Begründung, die Überschußerzielungsabsicht sei abzulehnen, nicht anerkannte.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. März 1998 als unbegründet zurück und ließ die Revision nicht zu. Das Urteil wurde an diesem Tage nicht verkündet, sondern sollte den Beteiligten zugestellt werden. Die Zustellung des Urteils an den Bevollmächtigten der Kläger erfolgte am 2. Oktober 1998 und an das FA am 30. September 1998.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verfahrensmängel (§ 119 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und machen geltend, daß die Vorentscheidung nicht mit Gründen versehen sei und die Revision daher nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zulassungsfrei sei. Die Frist von fünf Monaten, innerhalb derer das abgefaßte Urteil der Geschäftsstelle zu übergeben sei, sei nicht eingehalten worden. Da das Urteil spätestens zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben gewesen wäre, habe die für die Übergabe des abgefaßten, unterschriebenen Urteils maßgebliche Fünf-Monats-Frist am 2. April 1998 begonnen und am 2. September 1998 geendet. Zudem erweise sich die Vorentscheidung als Überraschungsurteil und verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, weil das FG seine Entscheidung unerwartet auf die fehlende Einkünfteerzielungsabsicht gestützt habe.
Die Kläger haben einen ausdrücklichen Revisionsantrag nicht gestellt.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und war daher gemäß § 124, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
1. Die Unzulässigkeit der Revision folgt nicht bereits daraus, daß die Kläger einen ausdrücklichen Revisionsantrag (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht gestellt haben. Das Fehlen dieses Antrags ist unschädlich, weil sich aus der Revisionsbegründung ergibt, daß die Kläger an ihrem bisherigen Antrag festhalten und wegen der von ihnen geltend gemachten Verfahrensmängel i.S. von § 119 Nr. 3 und Nr. 6 FGO eine erneute Verhandlung und Entscheidung beim FG anstreben (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. April 1995 VIII R 69/94, BFH/NV 1995, 912; vom 14. Dezember 1995 VIII R 26/95, BFH/NV 1996, 427; vom 14. Dezember 1995 VIII R 27/95, BFH/NV 1996, 556).
2. Soweit die Kläger geltend machen, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO), ist die Revision unzulässig, weil die Rüge nicht schlüssig erhoben worden ist (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).
a) Wird --wie im Streitfall-- die Revision weder durch das FG noch durch den BFH gemäß § 115 FGO zugelassen, so findet die Revision nur statt, wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision i.S. von § 116 FGO gegeben ist. Die zulassungsfreie Revision wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels gemäß § 116 Abs. 1 FGO setzt voraus, daß der geltend gemachte Verfahrensmangel schlüssig gerügt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Hierzu ist erforderlich, daß der Kläger Tatsachen vorträgt, die --ihre Richtigkeit unterstellt-- einen Mangel i.S. von § 116 Abs. 1 FGO ergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. Juli 1994 VII R 87/93, BFH/NV 1995, 406; BFH-Beschluß vom 25. August 1997 V R 31/97, BFH/NV 1998, 334). An der Schlüssigkeit fehlt es hingegen, wenn die vorgetragenen Tatsachen schon als solche --d.h. unabhängig von der Frage ihrer Beweisbarkeit-- nicht ausreichen oder nicht geeignet sind, den behaupteten Verfahrensmangel darzutun (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).
b) Diesen Anforderungen entspricht die von den Klägern erhobene Rüge nicht. Die Kläger haben nicht schlüssig dargetan, daß die angefochtene Vorentscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO).
aa) Eine Entscheidung, die nicht verkündet, sondern gemäß § 104 Abs. 2 FGO zugestellt wird, ist nach § 104 Abs. 2, 2. Halbsatz FGO binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben. Wird innerhalb dieser Frist in entsprechender Anwendung des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO der Geschäftsstelle nur die von den Berufsrichtern unterschriebene Urteilsformel übergeben, so sind der Tatbestand, die Entscheidungsgründe sowie die Rechtsmittelbelehrung entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO alsbald nachträglich niederzulegen, von den Berufsrichtern zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. September 1997 II R 37/96, BFH/NV 1998, 469; vom 21. August 1997 V R 30/97, BFH/NV 1998, 589).
Der in § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO genannte Begriff "alsbald" ist vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes für den Fall der Verkündigung des Urteils in der mündlichen Verhandlung oder in einem eigens anberaumten Verkündungstermin dahin ausgelegt worden, daß Tatbestand und Entscheidungsgründe binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden müssen (Beschluß vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603). Geschieht dies nicht, gilt ein bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil als nicht mit Gründen versehen. Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für den hier zu entscheidenden Fall der Zustellung des Urteils an Stelle einer Verkündung mit der Maßgabe, daß die Frist nicht mit der Verkündung, sondern mit der tatsächlichen Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel, spätestens aber mit Ablauf des Tages beginnt, an dem die unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle gemäß § 104 Abs. 2, 2. Halbsatz FGO zu übergeben gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. November 1993 II R 39/91, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187; in BFH/NV 1998, 589).
bb) Der Vortrag der Kläger legt nicht schlüssig dar, daß die aus dem Begriff "alsbald" entwickelte Frist von fünf Monaten nicht eingehalten worden ist. Die Kläger haben keine Tatsachen genannt, die --unabhängig von ihrer Beweisbarkeit-- den Schluß zuließen, das abgefaßte Urteil sei erst nach Ablauf der Frist von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben worden. Vielmehr beschränkt sich das Vorbringen der Kläger auf die Berechnung der Frist und die Feststellung, diese sei nicht eingehalten worden.
Nachdem die mündliche Verhandlung am 18. März 1998 stattgefunden hatte, konnte die unterschriebene Urteilsformel frühestens am selben Tage der Geschäftsstelle entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO übergeben werden, so daß die Frist von fünf Monaten gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches frühestens am 18. August 1998 enden konnte; bei entsprechend späterer Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle gemäß § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO analog konnte sich das Fristende --wie die Kläger zutreffend ausgeführt haben-- bis zum 2. September 1998 hinausschieben. Die Kläger hätten daher --wenn sie keine Ausführungen zur Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle machen-- in schlüssiger Weise vortragen müssen, daß das abgefaßte Urteil tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem 2. September 1998 der Geschäftsstelle übergeben worden sei oder aber der Zeitpunkt der Übergabe des abgefaßten Urteils nicht mehr feststellbar, die Zustellung jedoch erst erhebliche Zeit nach Fristablauf erfolgt sei (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 469). Allein der Umstand, daß das Urteil des FG dem Bevollmächtigten der Kläger erst am 2. Oktober 1998 und damit nach Ablauf der fünfmonatigen Frist zugestellt worden ist, ist nicht geeignet, eine verspätete Übergabe des abgefaßten Urteils an die Geschäftsstelle schlüssig darzutun.
3. Mit der von den Klägern erhobenen Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs infolge einer Überraschungsentscheidung wird zwar ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Dieser rechtfertigt aber nicht die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 FGO; denn die Aufzählung der wesentlichen Verfahrensmängel in § 116 Abs. 1 FGO ist abschließend und beinhaltet nicht den Verfahrensmangel, daß einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187; BFH-Beschluß vom 27. März 1998 X R 105/96, BFH/NV 1998, 1488; vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 116 Rdnr. 1).
Fundstellen
Haufe-Index 302743 |
BFH/NV 1999, 1626 |