Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung bei Strafanzeige gegen den Richter
Leitsatz (NV)
- Voreingenommenheit eines Richters ist nicht bereits deshalb zu befürchten, weil der Antragsteller eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen diesen Richter gestellt hat, aber keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß sich der Richter tatsächlich der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat.
- An der Entscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch wirkt der abgelehnte Richter mit. Einer dienstlichen Äußerung bedarf es in einem solchen Fall nicht.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für die Einlegung einer Beschwerde gegen den Beschluß des Finanzgerichts vom 11. August 1999 in den Verfahren …
Das Ablehnungsgesuch hatte der Antragsteller damit begründet, daß die betreffenden Richter in früheren Verfahren durch ihre Verhandlungsführung die Aufklärung des wahren Sachverhalts verhindert hätten. Ergänzend hatte sich der Antragsteller auf eine Strafanzeige gegen die Richter wegen Rechtsbeugung bezogen. Dort hieß es u.a., den Richtern sei bekannt gewesen, daß ein Strafbefehl gegen den Antragsteller über eine Gesamtstrafe von 2 400 DM ergangen sei, obwohl für den Veranlagungszeitraum 1987 ein Erstattungsanspruch gegen die Finanzverwaltung von 1 474,01 DM bestanden habe. Die Richter hätten sich wider besseres Wissen darüber hinweggesetzt, daß beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ein Verfahren zu der Frage anhängig gewesen sei, wie verfahren werden müsse, wenn Investitionen eines Unternehmers nicht zum wirtschaftlichen Nutzen führten. Der EuGH habe zu Gunsten der Unternehmer entschieden, so daß die Aufwendungen des Antragstellers für den Bürohaus-Neubau steuerlich zu berücksichtigen seien. Außerdem hätte den Richtern auffallen müssen, daß die Voraussetzungen für die Ausdehnung des Prüfungszeitraums auf 10 Jahre nicht vorgelegen hätten.
Mit dem Beschluß vom 11. August 1999 in den Verfahren … wurde das für beide Verfahren gestellte Gesuch des Antragstellers auf Ablehnung der Richter des 7. Senats des Finanzgerichts ―FG― wegen Besorgnis der Befangenheit ohne die Mitwirkung der abgelehnten Richter zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es in der Entscheidung, der Antragsteller habe nicht schlüssig dargelegt, inwiefern der 7. Senat des FG bei seinen vorangegangenen Entscheidungen unsachlich oder voreingenommen gehandelt und entschieden haben solle. Der pauschale Hinweis auf mangelnde Sachverhaltsaufklärung sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr zeige die Verhandlungsführung ein umfangreiches Eingehen auf die zahlreichen Beanstandungen sowie eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Streitstoff. Die Strafanzeige setze sich weitgehend nur aus Vermutungen und Schlußfolgerungen ohne sachliche Grundlage zusammen.
Mit seinem Antrag auf PKH für eine Beschwerde gegen den Beschluß vom 11. August 1999 hat der Antragsteller eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vorgelegt und trägt vor, die Beschwerde habe hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es werde vorgetragen werden, daß die Richter des 7. Senats des FG schon seit Klageerhebung im Jahr 1994 die Verhandlungen ihm, dem Antragsteller, gegenüber latent nachteilig parteiisch vorbereitet hätten. Dies werde durch den Schriftsatz vom 3. September 1994 in dem Verfahren … belegt. In Verbindung mit den Ermittlungsergebnissen des Antragsgegners (Finanzamt ―FA―) sei der Straftatbestand der "Falschen Beschuldigung, Verfolgung Unschuldiger etc." erfüllt. Gegen die abgelehnten Richter werde wegen Rechtsbeugung ermittelt; bei einer Verurteilung könnten die Richter unter Verlust sämtlicher Pensionsansprüche entlassen werden. Es werde ein Beweisantrag gestellt werden, der Aufklärung darüber verschaffen werde, ob die Richter von Finanzbeamten getäuscht worden seien oder deren falsche Anschuldigungen gebilligt und gedeckt hätten.
Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sei im übrigen auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil es nicht auf die Erklärungen der abgelehnten Richter ankomme, sondern darauf, ob die Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht des Antragstellers nachvollziehbar begründet sei. Einstweilen werde die Frage zurückgestellt, ob es den entscheidenden Richtern im Hinblick auf die kollegiale und räumliche Nähe zu den abgelehnten Richtern an der erforderlichen Neutralität gefehlt habe.
Der Antragsteller beantragt, ihm PKH zu bewilligen,
1. rückwirkend für das Ablehnungsverfahren vor dem FG,
2. für die beabsichtigte Beschwerde unter Beiordnung eines steuerrechtlich qualifizierten Rechtsanwalts.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Seine Antragsschrift mit Anlagen hat der Antragsteller an den Präsidenten des Bundesfinanzhofs (BFH) gerichtet und dabei die Bitte formuliert, der Präsident möge sich im Rahmen seiner Dienstaufsicht um eine korrekte Bearbeitung bemühen. Dem Antragsteller wurde daraufhin mitgeteilt, daß die Entscheidung zum Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit gehöre und nicht der Dienstaufsicht unterliege. Der Antrag sei an den zuständigen IV. Senat des BFH weitergeleitet worden. Auf dieses Schreiben nahm der Antragsteller mit Schriftsatz vom 20. November 1999 Bezug und teilte u.a. mit, er habe nach nochmaliger Prüfung festgestellt, daß die von ihm geäußerten Besorgnisse der Befangenheit objektiv nachvollziehbar seien. Der IV. Senat des BFH sei demzufolge als befangen anzusehen. Wenn aus den vorhergehenden Verfahren der streitgegenständliche Sachverhalt nach Aktenlage erfaßt worden wäre, hätte im Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht festgestellt werden müssen, daß die Grundlage der Finanzverwaltung, ihn, den Antragsteller, der Steuerhinterziehung zu beschuldigen, darauf abgestellt gewesen sei, daß Finanzbeamte für die Jahre 1989 und 1985 Ausgangsrechnungen in mehrfacher Ausfertigung den unterstellten Einnahmen zugefügt hätten. Die Rechnungen seien wie üblich für die Zeiträume vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1989 und vom 1. Januar 1985 bis zum 31. Dezember 1985 nur einmal bezahlt worden. Für eine sachbezogene Entscheidung müßten insofern die staatsanwaltlichen Ermittlungsakten beigezogen werden.
Der Senat hat die Akte des FG … im Hinblick darauf beigezogen, daß sich der Antragsteller auf seinen zu jenem Verfahren erstellten Schriftsatz vom 3. September 1994 bezogen hat.
Entscheidungsgründe
Die Anträge haben keinen Erfolg.
I. Der Senat entscheidet in seiner nach dem Mitwirkungsplan vorgesehenen Stammbesetzung über den Antrag auf Ablehnung des erkennenden Senats wegen Besorgnis der Befangenheit.
1. Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Das Ablehnungsgesuch ist nach ständiger Rechtsprechung nur statthaft, wenn es konkret gegen einen oder mehrere Richter gerichtet ist. Die pauschale Ablehnung eines Spruchkörpers ohne Angabe von Gründen in der Person einzelner Richter stellt einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts dar und ist unzulässig (BFH-Beschluß vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 51 Rz. 19, jeweils m.w.N). Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers richtet sich gegen den gesamten IV. Senat des BFH, ohne daß ein die einzelnen Richter oder auch nur den ganzen Senat betreffender Grund angegeben wird, aus dem sich in irgendeiner Weise Mißtrauen in die Unparteilichkeit der Richter ergeben könnte. Das Gesuch ist deshalb als mißbräuchlich zurückzuweisen.
2. Die Entscheidung trifft der Senat in seiner Stammbesetzung. Denn an einer Entscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch wirkt der abgelehnte Richter mit (Senatsurteil vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801, m.w.N.). Einer dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs. 3 ZPO bedarf es in einem solchen Fall nicht (BFH-Beschluß vom 10. Januar 1996 VII B 122/95, BFH/NV 1996, 489, m.w.N.).
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist unbegründet.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozeßbeteiligter bei Vorliegen bestimmter persönlicher Voraussetzungen PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Erfolges spricht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 7, m.w.N.). Eine derartige Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der beabsichtigten Beschwerde besteht nicht.
2. Gründe für ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters i.S. des § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und vom 11. Januar 1995 IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden ―selbst wenn sie vorliegen― grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Anders verhält es sich nur, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. März 1997 XI B 190/96, BFH/NV 1997, 780; in BFH/NV 1995, 629, jeweils m.w.N.).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, daß bei objektiver Betrachtung vom Standpunkt des Antragstellers aus kein Anlaß zu Mißtrauen in die Unvoreingenommenheit der Richter des 7. Senats des FG besteht. Weder hat der Antragsteller schlüssig vorgetragen noch ist sonst ein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß sich die abgelehnten Richter in früheren Verfahren parteiisch zu Lasten des Antragstellers verhalten hätten. Daß der Antragsteller eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gestellt hat, läßt für sich genommen nicht den Schluß darauf zu, daß die Richter nunmehr voreingenommen gegenüber dem Antragsteller seien. Denn es spricht keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür, daß die betroffenen Richter sich tatsächlich der Rechtsbeugung schuldig gemacht haben könnten und deshalb Nachteile aus der Strafanzeige zu befürchten hätten. Die bloße Erhebung einer Strafanzeige reicht für die Besorgnis der Befangenheit zu Lasten des Anzeigeerstatters unter objektiven Gesichtspunkten nicht aus.
Fundstellen
Haufe-Index 424791 |
BFH/NV 2000, 594 |