Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung einer Warenzusammenstellung zur Cholesterin-Bestimmung
Leitsatz (NV)
Zur Tarifierung einer Warenzusammenstellung mit charakterbestimmenden (Papier-) Bestandteil zur Cholesterinspiegel-Bestimmung - diagnostische Reagenzie oder Reagenzpapier? - (Vorlage an EuGH).
Normenkette
KN Pos. 3822; Unterpos. 4823 9090, AV 3b
Tatbestand
Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) - Nr. ... vom April 1991 - über eine als X-Cholesteroltest bezeichnete, zur diagnostischen Bestimmung des Cholesterinspiegels im Blutplasma dienende, in Pappschachteln für den Einzelverkauf aufgemachte Zusammenstellung aus Testkarte, Lanzette, Wattevlies und einem Druck mit näheren Angaben und Gebrauchsanweisung. Die Testkarte (ca. 4,8x8,6 cm) enthält nach der Warenbeschreibung in der vZTA einen aufgeklebten, reagenzgetränkten Zuschnitt (Durchmesser ca. 0,6 cm), abgedeckt mit einem selbstklebenden, gelochten, vlieshinterlegten Papier; auf dem Zuschnitt wird laut Warenbeschreibung durch das durch das Vlies gedrungene Blut eine farbliche Reaktion ausgelöst (Reaktionsanzeige). Die Zusammenstellung wurde in der vZTA unter Anwendung der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3b nach dem für charakterbestimmend gehaltenen Zuschnitt aus papiermäßig aufgeschlossenen Baumwollfasern der Unterposition 4823 9090 der Kombinierten Nomenklatur - andere Waren aus Papier - zugewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, das Testverfahren bestehe im wesentlichen aus zwei chemischen Reaktionen: Trennung der Blutbestandteile (Plasma und Zellularbestandteile) bei Durchdringung der halbdurchlässigen Membrane (Vlies) durch chemische Reagenzien und Einwirkung der übrigen Bestandteile auf den reaktiven Bereich der Testkarte. Wichtigstes Element der Ware sei das das Testfeld abdeckende kreisrunde Vlies (mit Filter- bzw. Separationswirkung). Demgegenüber komme dem Testfeld kein betimmender Charakter zu. Der austauschbare papierähnliche Stoff diene lediglich als Medium für die Anzeige des Ergebnisses der jeweiligen Reaktion. Aufgrund dessen werde die Ware, die überwiegend aus Kunststoff bestehe, in Großbritannien zutreffend als zusammengesetztes Diagnostik- oder Laborreagens der Position 3822 eingestuft.
Die OFD trägt demgegenüber vor, der lediglich physikalischen Trennung von Plasma und Zellularbestandteilen durch das keine chemischen Reagenzien enthaltende Vlies komme nur unterstützende Funktion zu. Der Sinn des Tests werde durch das Ablesen des Meßergebnisses auf dem reaktiven Bereich erfüllt. Das Papier selbst brauche den dem Nachweis dienenden chemischen Prozeß nicht zu beeinflussen. Reagenzien, nämlich Stoffe, die chemische Reaktionen bewirken und zum qualitativen oder quantitativen Nachweis von Substanzen dienen, seien allein die auf dem reaktiven Feld aufgebrachten chemischen Substanzen. Die spezifische Zusammenstellung von Papier und Chemikalien, auch zusammengesetzten Reagenzien, werde bei Zuschnitten der vorliegenden Art von Position 4823 erfaßt (Reagenz- und Indikatorpapiere). Zwar werde eine Rechtsänderung angestrebt, die es gestatte, Erzeugnisse der vorliegenden Art der Position 3822 zuzuweisen, doch müßten sie bis dahin als Papierwaren tarifiert werden.
Entscheidungsgründe
Bei der Entscheidung über die Klage sind Vorschriften des Gemeinschaftsrechts - des Gemeinsamen Zolltarifs - anzuwenden, deren Auslegung zweifelhaft erscheint. Der Senat ist somit verpflichtet, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um eine Vorabentscheidung zu ersuchen (Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft).
Zolltariflich zu beurteilen ist eine zur Ausfuhr bestimmte, für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung u.a. mit Testkarte. Die Zusammenstellung kann als solche nicht in Anwendung von AV 3a eingereiht werden (vgl. Satz 2 dieser Vorschrift). Ihre Tarifierung bestimmt sich somit nach dem Hauptbestandteil; AV 3b. Als Bestandteil, der der Zusammenstellung ihren wesentlichen Charakter verleiht, ist die Testkarte anzusehen, die einen reagenzgetränkten Zuschnitt enthält (vgl. auch das Urteil des Gerichtshofs vom 10. März 1993 Rs. C-191/91 - diagnostisches Reagens als Hauptbestandteil). Insoweit stimmen auch die Beteiligten überein. Sie streiten lediglich darüber, ob die Testkarte, die nach den im Verwaltungsverfahren abgegebenen Erklärungen im Reaktionsbereich ein Chromogen (Tetramethylbenzidin) und drei für die Reaktionssequenz benötigte Enzyme aufweist, dem Kapitel 48 oder - so die Klägerin - der Position 3822 zuzuweisen ist.
Der Senat neigt, wenn auch nur im Ergebnis, der offenbar auch von der britischen Zollverwaltung geteilten Tarifaufassung der Klägerin zu. Die mit Wirkung ab 1988 in den GZT aufgenommene Position 3822 erfaßt u.a. zusammengesetzte Diagnostikreagenzien, ausgenommen Waren der Positionen 3002 und 3006. Waren der zuletzt bezeichneten Positionen liegen nicht vor, insbesondere keine Reagenzien zum Bestimmen von ... Blutfaktoren (vgl. Erläuterungen Harmonisiertes System - ErlHS - zu Position 3006 Nr. 4 = Rdziff.18.0). Die Testkarte könnte unter Berücksichtigung ihrer Beschaffenheit und ihrer Verwendung als (sonstige) zusammengesetzte diagnostische Reagenzie der Position 3822 gewertet werden. Jedenfalls der Umstand, daß der Reaktionsbereich der Karte mehrere Chemikalien enthält, legt die Annahme einer Zusammensetzung nahe. Die im Testfeld vorhandenen Stoffe reagieren auf Blutbestandteile im Sinne einer chemischen Reaktion, wobei das Ergebnis angezeigt wird. Damit erscheinen die Voraussetzungen für die Zuweisung in die Position 3822 erfüllt. Eine entsprechende Einreihung dürfte, was im Grunde auch die OFD einräumt, im Hinblick auf die Zusammensetzung und die Verwendung der Ware eher angebracht sein als eine Zuweisung in das Papier-Kapitel. Dabei verkennt der Senat nicht, daß eine Weiterentwicklung allein eine entsprechende zolltarifliche Einreihung noch nicht rechtfertigt (vgl. das Urteil des Gerichtshofs vom 19. November 1981 Rs. 122/80, Slg. 1981, 2781, 2795 f.). Die Testkarte verkörpert zwar eine Neuentwicklung, doch läßt sie sich ohne größere Schwierigkeit der Position 3822 in der geltenden Fassung zuordnen. Dies gründet sich allerdings nur auf die Zusammensetzung und Wirkung des getränkten Papierstreifens der Testkarte. Für die Annahme, daß (auch) das als Filter wirkende Vlies aus Papierfasern und synthetischen Textilfasern als (zusammengesetzte) Diagnostik-Reagenzie anzusehen sei, ergeben sich auch aus der Darstellung der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte. Für sich gesehen wäre das Vlies vielmehr dem zutreffenden Stoff-Kapitel zuzordnen.
Die Tarifierung der Testkarte nach Position 3822 ist indessen nicht zweifelsfrei. Das eigentliche Testpapier, das die OFD, wohl mit Recht, als wesensbestimmenden Teil der Testkarte ansieht, könnte auch als getränktes Papier - Reagenzpapier - des Kapitels 48 beurteilt werden (vgl. ErlHS zu diesem Kapitel, Abschn. 4 = Rdziff.39.0). Dieses wäre im Hinblick auf seine geringe Größe von Position 4811 ausgeschlossen (Anm. 7a zu Kapitel 48) und - wie geschehen - der Position 4823 zuzuweisen (ErlHS zu Position 4823 Teil A = Rdziff.02.0). Von dieser Tarifauffassung ist auch der Zolltarif-Ausschuß des Rates für die gegenseitige Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens ausgegangen. Der Ausschuß hält die Position 3822 für nicht einschlägig und eine Änderung des Tarifwortlauts für erforderlich, damit Waren der hier vorliegenden Art in die Position 3822 gewiesen werden können.
Im Hinblick auf die hiernach bestehenden Zweifel bei der Auslegung des GZT hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der Gemeinsame Zolltarif - Kombinierte Nomenklatur 1991 - dahin auszulegen, daß eine für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellung - X-Cholestreoltest zur Bestimmung des Cholesterinspiegels im Blutplasma - aus Testkarte mit aufgeklebtem, reagenzgetränkten Papierzuschnitt (0,6 cm) mit Abdeckung aus vlieshinterlegtem Papier; Lanzette; Wattevlies usw., wie in den Gründen näher beschrieben, unter Berücksichtigung der Testkarte als charakterbestimmendem Bestandteil in Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 3b als zusammengesetzte Diagnostikreagenzie der Position 3822 zuzuweisen ist?
2. Bei Verneinung der Frage 1: Ist der Gemeinsame Zolltarif dahin auszulegen, daß die charakterbestimmende Testkarte (1.) als (andere) Ware aus Papier der Unterposition 4823 9090 zuzuweisen ist?
3. Bei Verneinung von Frage 2: Welcher anderen Position ist die Warenzusammenstellung mit charakterbestimmender Testkarte (1.) zuzuweisen?
Fundstellen
Haufe-Index 419257 |
BFH/NV 1994, 67 |