Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Recht auf Vertagung der mündlichen Verhandlung; eingeschränkte Beweiskraft der Postzustellungsurkunde bei Namensgleichheit von Adressat und Empfänger
Leitsatz (NV)
1. Steht einem Verfahrensbeteiligten die Ladungsfrist zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung nicht zur Verfügung, weil die Ladung ihn nicht oder zu spät erreicht, gibt der Anspruch auf rechtliches Gehör ihm ein Recht auf Vertagung der mündlichen Verhandlung mit der Folge, dass deren Ablehnung seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
2. Die Feststellung des Zustellers in der Postzustellungsurkunde über die Person des Empfängers der Sendung erstreckt sich jedenfalls bei Namensgleichheit von Adressat und Empfänger nicht auf die Identität der betroffenen Personen; insoweit ist die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde eingeschränkt.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2; ZPO § 418
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 26.02.2004; Aktenzeichen 12 K 4012/01 F) |
Tatbestand
I. In der Sache streiten die Beteiligten über die betriebliche Veranlassung von Zahlungen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), die er aufgrund von Bürgschaften geleistet hat, zu denen er sich nach seiner Ansicht aus betrieblichen Gründen zugunsten des Unternehmens seines Sohnes verpflichtet hatte.
Nachdem die vom Kläger zunächst mit der Führung des Klageverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten das Mandat niedergelegt hatten, lud das Finanzgericht (FG) am 5. Februar 2004 den Kläger persönlich zur mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2004 und ließ ihm diese Ladung unter der Adresse seines Sohnes "G-Straße" zustellen. In der darüber gefertigten Postzustellungsurkunde erklärte der Zusteller, die Sendung dem Adressaten persönlich übergeben zu haben.
Zur mündlichen Verhandlung erschien der derzeitige Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer vom 25. Juli 2003 datierten Vollmacht. Sie weist als Adresse des Klägers die A-Straße in K aus. Der Prozessbevollmächtigte beantragte in der mündlichen Verhandlung vorrangig "zum ergänzenden Vortrag Frist zur Stellungnahme von einem Monat und dementsprechend Vertagung" und hilfsweise die Stattgabe der Klage nach dem ursprünglichen Klageantrag. Den Antrag auf Vertagung begründete er damit, dass die Ladung nicht dem Kläger, sondern wegen falscher Adressierung dessen Sohn zugegangen sei.
Das FG lehnte den Vertagungsantrag ab. Es wies auf die dem Prozessbevollmächtigten vom Kläger schon im Juli 2003 erteilte Vollmacht sowie darauf hin, dass nach der Postzustellungsurkunde die Ladung dem Kläger an der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) dem FG mitgeteilten Adresse persönlich übergeben worden sei. In der Sache verneinte das FG die betriebliche Veranlassung der streitigen Zahlungen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung sei nicht an ihn selbst zugegangen, sondern an die Adresse seines Sohnes gerichtet gewesen und von diesem empfangen worden. Erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung habe der Sohn die Ladung dem Prozessbevollmächtigten ausgehändigt, der dann aufgrund telefonischer Rücksprache mit ihm, dem Kläger, den Termin wahrgenommen habe. Wegen der Kürze der Zeit habe sich der Prozessbevollmächtigte nicht auf die mündliche Verhandlung vorbereiten und insbesondere auch nicht auf das Hinweisschreiben des FG reagieren können. Hätte das FG seinem Vertagungsantrag stattgegeben, hätte er --wie jetzt in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde-- Ausführungen zur Sache machen können, die --wenn sie in die Entscheidung eingeflossen wären-- zu einer anderen Entscheidung geführt hätten.
Ein Schreiben des FG vom 20. August 2003 an den Kläger ist an die A-Straße in K adressiert.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Der Kläger hat schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerügt. Die behauptete Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--; § 96 Abs. 2 FGO) liegt vor. Der Senat lässt deshalb die Revision zu. Er hält es für angezeigt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Sowohl aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als auch aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) folgt, dass der Bürger einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle hat. Das daraus abgeleitete Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gilt für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht und ebenso für das Recht, im Verfahren gehört zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. November 1996 2 BvR 1157/93, BStBl II 1997, 415, 418, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1997, 247, m.w.N.; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. Juli 2001 VII B 78/01, BFHE 195, 530, BStBl II 2001, 681).
Im finanzgerichtlichen Verfahren wird das Recht auf Gehör u.a. durch die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Ladung der Verfahrensbeteiligten zur mündlichen Verhandlung gewährleistet. Sie soll u.a. sicherstellen, dass die Beteiligten im Regelfall eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen zwischen dem Tag der Zustellung der Ladung und dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG (§ 91 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 155 FGO i.V.m. § 217 der Zivilprozessordnung --ZPO--) für die Vorbereitung auf den Termin zur Verfügung haben, damit sie imstande sind, sich in der mündlichen Verhandlung zur Wahrung ihrer Rechte angemessen zu äußern (BFH-Beschluss vom 2. Dezember 1992 X B 65/92, BFH/NV 1993, 608). Steht einem Verfahrensbeteiligten diese Zeitspanne nicht zur Verfügung, weil die Ladung ihn nicht oder zu spät erreicht hat, so gibt ihm der Anspruch auf rechtliches Gehör ein Recht auf Vertagung der mündlichen Verhandlung.
2. Durch die Ablehnung der beantragten Vertagung hat das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Der Kläger war nicht ordnungsgemäß geladen, weil die Ladung aufgrund der unzutreffenden Adressierung nicht ihm, sondern seinem Sohn ausgehändigt worden war.
a) Mit der Angabe "G-Straße" in der Ladung war nicht die Anschrift des Klägers bezeichnet, sondern die seines Sohnes, dessen einer Vorname mit dem Rufnamen des Klägers übereinstimmt. Der Sohn des Klägers konnte sich also mit Recht als der in der Postsendung angeschriebene … angesprochen fühlen. Er hatte wegen der Namensgleichheit mit dem Kläger, für den die Ladung bestimmt war, keinen Anlass, die Postsendung zurückzuweisen. Infolgedessen konnte es für den Zusteller der Ladung nicht ersichtlich sein, ob die Person des Empfängers der Postsendung mit der des Adressaten identisch war.
b) Dem diesbezüglichen Vorbringen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung hätte das FG schon deshalb nachgehen müssen, weil es sich zur Begründung der Ablehnung der Vertagung auf eine Vollmacht berufen hat, die nicht die auf der Ladung angegebene Anschrift des Klägers als dessen Adresse angibt, sondern seine zutreffende. Außerdem hatte das FG selbst noch im August 2003, also nach dem in der Vollmacht angegebenen Datum, eine Postsendung an diese zutreffende Anschrift des Klägers gerichtet.
c) Dem Kläger durfte nicht die Feststellung des Zustellers in der PZU entgegengehalten werden, er habe die Postsendung dem Adressaten persönlich übergeben. Zwar ist die Postzustellungsurkunde eine öffentliche Urkunde, die mit besonderer Beweiskraft ausgestattet ist (§ 418 ZPO). Aber diese besondere Beweiskraft kann sich nur auf Gegebenheiten beziehen, die vom Zusteller aufgrund eigener Wahrnehmung festgestellt und überprüft werden können. Die Identität des Empfängers einer Postsendung mit deren Adressaten kann jedenfalls bei Personen gleichen Namens vom Zusteller nicht festgestellt werden. Infolgedessen kommt der Postzustellungsurkunde insoweit nicht die besondere Beweiskraft zu. Daher ist die darin aufgenommene Feststellung des Zustellers, er habe die Sendung dem Adressaten persönlich übergeben, durch das substantiierte und unwidersprochen gebliebene Vorbringen des Klägers widerlegt, nicht ihm sei die Ladung ausgehändigt worden, sondern seinem Sohn an dessen Wohnanschrift. Der Kläger ist somit nicht ordnungsgemäß geladen worden, so dass sein Vertagungsantrag vom FG nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen.
3. Nicht erforderlich war die Darlegung dessen, was der Kläger für den Erfolg seiner Klage in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte, wenn die Verhandlung vertagt worden wäre. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nach § 119 Nr. 3 FGO ein absoluter Revisionsgrund, d.h. das Urteil ist in einem solchen Fall der zu Unrecht unterlassenen Vertagung der mündlichen Verhandlung stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, ohne dass es weiterer Ausführungen zur Sache bedürfte. Wird einem Beteiligten wie im Streitfall die Möglichkeit genommen, sich unter Wahrung der ihm zustehenden Zeit zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt --dem Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO-- zu äußern, so kann das Revisions- bzw. Beschwerdegericht das angefochtene Urteil auf seine sachlich-rechtliche Richtigkeit nicht überprüfen, weil das Gesamtergebnis des Verfahrens verfahrensrechtlich fehlerhaft zur Grundlage der Entscheidung geworden ist (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 119 Rz. 11). In einem solchen Fall erfordert die Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör keine Ausführungen darüber, was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre und dass dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
Fundstellen
Haufe-Index 1396069 |
BFH/NV 2005, 1620 |