Leitsatz (amtlich)
Zur Sorgfaltspflicht eines Zustellungsbevollmächtigten.
Normenkette
FGO §§ 56, 62, 53 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Das FG hat die Klagen der Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) abgewiesen. Das Urteil des FG wurde der Steuerpflichtigen, die in Österreich wohnt und in den Streitjahren im Inland (in G.) einen gewerblichen Betrieb unterhielt, zu Händen ihres inländischen Zustellungsbevollmächtigten, Rechtsanwalt S. in G., am 28. November 1970 zugestellt. Die Revision der Steuerpflichtigen ging am 7. Januar 1971 beim FG ein. Gleichzeitig stellte die Steuerpflichtige den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Diesen Antrag begründet die Steuerpflichtige wie folgt: Ihr Zustellungsbevollmächtigter habe ihr das Urteil des FG mit Schreiben vom 30. Dezember 1970 zugesandt. Dieses Schreiben sei bei ihr am 4. Januar 1971 eingetroffen. Noch am gleichen Tag habe sie die Revision verfaßt und am 5. Januar 1971 beim Postamt aufgegeben. Nach einer eidesstattlichen Erklärung des Zustellungsbevollmächtigten vom 8. Januar 1971, die die Steuerpflichtige vorgelegt hat, treffe sie kein Verschulden an der verspäteten Einlegung der Revision.
Die eidesstattliche Versicherung des Zustellungsbevollmächtigten vom 8. Januar 1971 hat - kurz zusammengefaßt - folgenden Inhalt: Er, Rechtsanwalt S., habe vor Jahren Einverständnis gegenüber dem Ehemann der Steuerpflichtigen erklärt, daß nach Auflösung des Geschäfts in G. noch eingehende Post an ihn adressiert werden dürfe und erinnerlich seien auch verschiedene Schriftstücke an den Ehemann der Steuerpflichtigen weitergeleitet worden. In seiner Kanzlei existiere außer einem schon abgelegten Prozeßakt ein umfangreicher Akt mit einer Vielzahl von erledigten Mahnsachen. Da ein Akt über einen FG-Prozeß nicht existiere, sei bei Eingang des FG-Urteils dieses Urteil auf den noch einzigen nicht abgelegten Akt, nämlich den Mahnsachenakt, geheftet und in den Einlauf gelegt worden, der von ihm regelmäßig durchgesehen werde. Bei Durchsicht des Aktenhundes habe er diesen Mahnsachenakt wohl gesehen, das FG-Urteil jedoch nicht entdeckt und sich daher gefragt, warum dieser Akt im Einlauf liege. Der Akt habe sich auf dem Aktenhund an unterster Stelle zusammen mit einem anderen umfangreichen Akt befunden, der der sofortigen Bearbeitung nicht bedurft habe, und es könne nur sein, daß bei der Durchsicht des Aktenhundes sich das Urteil des FG mit der Klammer an der unteren Seite des daraufliegenden Aktes angeheftet habe, so daß das Urteil nicht entdeckt worden sei. Das Urteil sei dann bei einer Durchsicht aller Akten anläßlich von Übersichtsarbeiten am Jahresende gefunden worden.
Die Anweisungen in seiner Kanzlei für Fristeneintragung hätten grundsätzlich für hier laufende und hier behandelte Verfahren Gültigkeit und würden von ihm persönlich kontrolliert, und zwar in der Weise, daß stets eine Fristeneintragung erfolge, die einen so ausreichenden Spielraum lasse, daß jedes Rechtsmittel noch ohne Zeitdruck eingelegt werden könne. Diese Überprüfung gelte aber nicht für Post, die hier nur in Empfang genommen und weitergeleitet werden sollte.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht zulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt wurde (§§ 120, 124 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Steuerpflichtigen nicht gewährt werden, da sie nicht ohne ihr Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist einzuhalten (§ 56 FGO). Dabei kann es auf sich beruhen, wen im Innenverhältnis das Verschulden trifft, die Steuerpflichtige selbst oder ihren inländischen Zustellungsbevollmächtigten. Die Steuerpflichtige selbst trifft ein Verschulden, wenn sie dem Rechtsanwalt S., den sie mit Schriftsatz vom 20. April 1970 an das FG als Zustellungsbevollmächtigten (§ 53 Abs. 3 Satz 1 FGO) benannt hat, keinen dieser Vollmacht entsprechenden Auftrag erteilt hat, der auch die Pflicht zur unverzüglichen Übersendung eingehender Schriftstücke umfaßte. Den inländischen Zustellungsbevollmächtigten trifft ein Verschulden, wenn ein solcher Auftrag bestand. Der Zustellungsbevollmächtigte hätte dann sein Personal anweisen müssen, eingehende Schriftstücke, durch deren Zustellung eine Frist in Lauf gesetzt wurde, gesondert - und nicht an einem alten Mahnsachenakt angeheftet - vorzulegen (vgl. Urteil des BGH VII ZR 71/68 vom 30. Januar 1969, HFR 1969, 518: Der Rechtsanwalt muß sicherstellen, daß wegen des vorstehenden Fristablaufs vorgelegte Akten als solche augenfällig gekennzeichnet werden). Außerdem hätte der Zustellungsbevollmächtigte, nachdem er den Mahnsachenakt der Steuerpflichtigen im Einlauf gesehen und den Grund dafür nicht erkannt hatte, sein Personal fragen müssen, warum ihm der Akt vorgelegt worden sei. Das Urteil des FG wäre dann aller Wahrscheinlichkeit nach entdeckt worden. Das Verschulden ihres Bevollmächtigten muß sich die Steuerpflichtige zurechnen lassen (Beschluß des BFH VI R 155/66 vom 27. Januar 1967, BFH 88, 106, BStBl III 1967, 290). Das gilt auch für das Verschulden eines Zustellungsbevollmächtigten (Urteil des RG IV 307/34 vom 28. Januar 1935, Juristische Wochenschrift 1935 S. 2430).
Fundstellen
Haufe-Index 69257 |
BStBl II 1971, 811 |
BFHE 1972, 134 |