Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Unrichtige Sachverhaltsdarstellung, mangelhafte Sachaufklärung, Akteneinsicht, Verlust des Rügerechts, nachgereichte Schriftsätze
Leitsatz (NV)
- Soweit der Kläger mit dem Vorwurf unrichtiger Sachverhaltsdarstellung die Rüge der unrichtigen Würdigung des Sachverhalts verbindet, beanstandet er die materielle Richtigkeit des Urteils, die keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellt.
- Hat das Gericht zur Frage der Ernsthaftigkeit einer Geschäftsführerbestellung Beweis erhoben und die Zeugenaussage im Urteil gewürdigt, bedarf die Rüge eines Verfahrensverstoßes, dass das Gericht weitere Zeugen nicht einvernommen hat, einer Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung des Gerichts und der Darlegung, aus welchen Gründen weitere, erwartete Zeugenaussagen geeignet gewesen wären, die Auffassung des Gerichts zu erschüttern.
- Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht ebenso wenig, wie darauf, dass sich das Gericht zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht vom FA Akten vorlegen lässt, die es für seine Entscheidungsfindung nicht benötigt.
- Wird nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein Schriftsatz eingereicht, der sich mit Fragen beschäftigt, die bereits Gegenstand der Beweisaufnahme und der Sachverhaltsdarstellung in der mündlichen Verhandlung waren, genügt es, wenn das Gericht im Urteil die Gründe, die zur Ablehnung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geführt haben, darlegt.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 191; FGO § 76 Abs. 1, §§ 78, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 93 Abs. 3 S. 2, § 96 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde als Geschäftsführer einer GmbH für deren rückständige Steuern und Nebenleistungen nach § 191 i.V.m. §§ 34 und 69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung genommen. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid führten jeweils zur Herabsetzung der Haftungssumme, nicht aber zu der begehrten Aufhebung des mehrfach geänderten Bescheides. Das Finanzgericht (FG) hat die umstrittene Geschäftsführerstellung des Klägers bejaht. Gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung der Vorinstanz richtet sich die Beschwerde des Klägers, die er auf das Vorliegen von Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) stützt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die behaupteten Verfahrensmängel entweder nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt worden sind oder weil der behauptete Verfahrensverstoß nicht vorliegt.
1. Die Rüge der unrichtigen Darstellung des klägerischen Sachvortrages im Tatbestand des angefochtenen Urteils begründet keinen Verfahrensverstoß i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern ist durch Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO geltend zu machen (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Januar 2000 VII B 42/99, BFH/NV 2000, 1105).
2. Soweit der Kläger mit dem Vorwurf unrichtiger Sachverhaltsdarstellung die Rüge der unrichtigen Würdigung des Sachverhaltes durch das Gericht verbindet, beanstandet er die materielle Richtigkeit des Urteils. Mit der Rüge der Fehlerhaftigkeit der rechtlichen Würdigung durch das Gericht wird kein Revisionszulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO, insbesondere kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, geltend gemacht (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschlüsse vom 8. April 1997 XI B 181/94, BFH/NV 1997, 782, und vom 14. November 2001 II B 29/00, BFH/NV 2002, 512).
Gleiches gilt für die Rüge fehlerhafter Würdigung der Zeugenaussage des Herrn K. Die Beweiswürdigung betrifft das materielle Recht und stellt ―selbst wenn sie unrichtig wäre― keinen Verfahrensfehler dar (ständige Rechtsprechung, vgl. BFHBeschluss vom 19. Juni 2002 IX B 74/01, BFH/NV 2002, 1331, m.w.N.).
3. Der dem Gericht entgegengehaltene Verfahrensverstoß mangelhafter Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO), weil es die zur Frage der Geschäftsführerbestellung des Klägers als Scheinhandlung der beschließenden Gesellschafter und zu den tatsächlich fehlenden Möglichkeiten des Klägers, als Geschäftsführer zu handeln, benannten Zeugen nicht einvernommen hat, ist nicht schlüssig bezeichnet. Hierzu hätte es substantiierter Ausführungen dazu bedurft, mit welchem Schriftsatz und mit welchem Beweisthema die Zeugen benannt worden sind und was diese im Einzelnen hätten bekunden können und inwiefern deren Aussagen, gemessen an dem vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkt, zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2003 V B 48/03, BFH/NV 2003, 1341; in BFH/NV 2000, 1105, und vom 27. Dezember 1993 V B 82/92, BFH/NV 1995, 398).
Genaue Angaben zu den Tatsachen, die die von dem Gericht zu dem Sachverhalt einer unwirksamen Bestellung des Klägers als Geschäftsführer durch Scheinhandlungen und dem fehlenden Auftreten des Klägers als Geschäftsführer nicht einvernommenen Zeugen X, Y und Z hätten bekunden können, und die Angabe, zu welchem genauen Beweisthema welcher Zeuge angeboten worden ist, fehlen in der Beschwerdebegründung. Sie wären aber insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil das Gericht zum Zustandekommen des Gesellschafterbeschlusses über die Geschäftsführerbestellung des Klägers in dessen Anwesenheit den Zeugen K vernommen hat und der fachkundige Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung die nunmehr aufgeworfene Frage nach einer Scheinhandlung des Zeugen (und der übrigen Gesellschafter) bei der Beschlussfassung über die Geschäftsführerbestellung des Klägers weder gestellt, noch ein entsprechendes Beweisthema formuliert hatte. Zudem hätte es einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Gerichtes bedurft, das ausführlich begründet hat, warum es die Geschäftsführerbestellung durch den Gesellschafterbeschluss als wirksam erachtet und das Auftreten des Klägers im Innen- und Außenverhältnis als ausreichendes Indiz für die Wahrnehmung der Geschäftsführerstellung durch den Kläger angesehen hat. In Anbetracht dieser Ausführungen hätte der Kläger darlegen müssen, aus welchen Gründen die erwarteten Zeugenaussagen geeignet gewesen wären, die Auffassung des Gerichtes zu erschüttern.
4. Dem Anspruch des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes ―GG―, § 96 Abs. 2 FGO) trägt die angefochtene Entscheidung hinreichend Rechnung.
a) Soweit der Kläger rügt, das Gericht habe diesen Anspruch dadurch verletzt, dass es sich entgegen seinem Antrag nicht sämtliche der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) für die GmbH geführten Steuerakten und ggf. die Vollstreckungsakten, sondern lediglich die den Streitgegenstand betreffenden Steuer- und die den Haftungsvorgang betreffenden Akten hat vorlegen lassen, fehlt in der Beschwerdebegründung schon der Hinweis, dass diese Unterlassung, bei der es sich allenfalls um einen verzichtbaren Verfahrensmangel handelt, rechtzeitig vor dem FG gerügt worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Januar 2000 II B 16/99, BFH/NV 2000, 1098). Ungeachtet dessen begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör lediglich das Recht der Beteiligten, in die Gerichtsakten und die vom Gericht als Grundlage seiner Entscheidung für notwendig erachteten und hierfür vorgelegten oder beigezogenen Akten Einsicht zu nehmen (§§ 71 Abs. 2, 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO; BFH-Beschluss vom 22. Mai 2002 VI B 2/02, BFH/NV 2002, 1168, und Senatsbeschluss vom 16. August 1999 VII B 131/99, BFH/NV 2000, 78). Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht nicht vorliegen, besteht ebenso wenig, wie darauf, dass sich das Gericht zum Zwecke der Gewährung von Akteneinsicht vom FA Akten vorlegen lässt, die es für seine Entscheidungsfindung nicht benötigt. Eines Hinweises des Gerichtes bedurfte es insoweit ebenso wenig, wie darauf, dass der Vortrag des Klägers nach Einschätzung des Gerichtes möglicherweise nicht zum Obsiegen führen würde (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 78 Rz. 6).
b) Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist auch nicht dadurch verletzt, dass der nach Schluss der mündlichen Verhandlung aber vor Zustellung des Urteils eingereichte Schriftsatz des Klägers vom 6. September 2002 nicht berücksichtigt worden wäre. Der BFH hat die Nichtberücksichtigung nachgereichter Schriftsätze grundsätzlich als verfahrensfehlerhaft angesehen, wenn dies zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs oder der finanzgerichtlichen Sachaufklärungspflicht geführt hat (BFH-Beschlüsse vom 13. November 2001 IX B 89/01, BFH/NV 2002, 511, und vom 26. Oktober 1998 III R 42/98, BFH/NV 1999, 509, 510). Das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, dass das Gericht das Vorbringen des Beteiligten nicht zu Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Dezember 1969 2 BvR 320/69, BVerfGE 27, 248, 252). Schriftsätze, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingehen, müssen inhaltlich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115). Das FG hat jedoch bei Eingang eines solchen Schriftsatzes eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu erwägen. Hält das FG die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aufgrund des eingereichten Schriftsatzes nicht für geboten, so haben die Prozessbeteiligten Anspruch auf eine schriftliche Darlegung der Erwägungen des Gerichtes, um nachprüfen zu können, ob das Recht auf Gehör gewahrt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187).
Diesem Erfordernis ist im Streitfall genügt. Die Vorinstanz hat sich ausführlich mit dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 6. September 2002 auseinander gesetzt, und die Gründe, die zur Ablehnung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geführt haben, offen gelegt. Darin, dass das Gericht in der angefochtenen Entscheidung trotz der Beweisanträge des Klägers im Rahmen der ihm zustehenden Ermessensausübung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, liegt kein Verfahrensverstoß. Nach der Rechtsprechung des BFH braucht die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet zu werden, wenn ein Beteiligter, obwohl er dazu Gelegenheit gehabt hätte, seiner Mitwirkungspflicht in der mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen ist und deshalb erst nachträglich geeignete Beweismittel bezeichnet, obwohl ihm die Beweisbedürftigkeit seines Vortrages schon seit längerem bekannt war (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rz. 11, und BFH-Urteile vom 5. November 1985 VIII R 103/80, BFH/NV 1987, 160, 162, sowie vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489, 491 f.).
Da der Kläger ―obwohl selbst rechtskundig und in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesend― die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, die von ihm behauptete Tatsache einer unwirksamen Geschäftsführerbestellung durch Scheinhandlung und der mangelnden Möglichkeit zum Auftreten als Geschäftsführer unter Beweis zu stellen, und die Beweiserhebung hierüber durch das Gericht offensichtlich für den Kläger nicht das gewünschte Ergebnis erbracht hat, stellt es keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar, wenn das Gericht von der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke weiterer Beweiserhebung abgesehen hat. Hinzu kommt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung von einer Rüge im Hinblick auf den verzichtbaren Mangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht nicht Gebrauch gemacht und sich, ohne einen Antrag auf weitere Beweiserhebung zu stellen, unter Stellung seines Klageantrages zur Sache eingelassen hat. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Schriftsätze, die sich mit Fragen beschäftigen, die bereits Gegenstand der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung waren, braucht das FG, sofern von dem Rügerecht nicht Gebrauch gemacht worden ist, nicht zu berücksichtigen (so BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 511, 512).
Fundstellen
Haufe-Index 1084527 |
BFH/NV 2004, 499 |