Entscheidungsstichwort (Thema)
Terminsverlegung wegen Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Der beantragten Verlegung eines Termins aus erheblichen Gründen (Krankheit des Prozeßbevollmächtigten) steht nicht entgegen, daß dem Gericht die schriftliche Prozeßvollmacht noch nicht vorgelegt worden ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 155; ZPO § 227
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) klagte vor dem Finanzgericht (FG) gegen einen an ihn ergangenen Umsatzsteuerhaftungsbescheid. Seine Prozeßbevollmächtigten, drei in Sozietät verbundene Rechtsanwälte, kamen der Aufforderung des Vorsitzenden des FG-Senats mit nachfolgender Erinnerung zur Einreichung der Prozeßvollmacht nicht nach. Sie wurden durch Ver- fügung . . ., zugestellt . . ., zum Termin zur mündlichen Verhandlung . . . geladen. Mit Telefax vom . . . (Tag der mündlichen Verhandlung) baten die Prozeßbevollmächtigten um Aufhebung und Verlegung des Termins. Zur Begründung führten sie aus, der die Klage bearbeitende Rechtsanwalt S sei seit Wochen an einer . . . erkrankt; nunmehr habe ihm der Arzt auch jede Terminswahrnehmung untersagt und strenge Bettruhe verordnet. Die Einarbeitung einer Vertretung sei nicht möglich.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da ihm die Prozeßvollmacht nicht eingereicht worden war. Es führte aus, die beantragte Terminsverlegung sei nicht geboten, denn nach § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei die mangelnde Vorbereitung einer Partei kein (erheblicher) Grund für eine Verlegung. Zur notwendigen Vorbereitung zähle nach Überzeugung des Gerichts auch die Vorlage der Vollmacht, da diese für die Zulässigkeit der Klage erforderlich sei. Bei dieser Sachlage könne es dahinstehen, ob die Erkrankung des Rechtsanwalts S für eine Aufhebung und Verlegung des Termins ausgereicht hätte. Die schriftliche Prozeßvollmacht des Klägers für die bevollmächtigte Rechtsanwaltssozietät ging erst nach der Verkündung des Urteils am . . . beim FG ein.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, die Abweisung der Klage als unzulässig durch das FG verletze ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Da er nicht nach Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) unter Fristsetzung mit ausschließender Wirkung zur Einreichung der Vollmacht aufgefordert worden sei, hätte diese noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegt werden können. Das FG hätte dem Antrag auf Terminsverlegung entsprechen müssen, denn die Erkrankung des bearbeitenden Rechtsanwalts stelle einen hierfür ausreichenden Grund dar. Eine Vertretung durch einen anderen Bevollmächtigten in der anberaumten mündlichen Verhandlung sei nicht zumutbar gewesen und auch nicht für erforderlich gehalten worden, denn Rechtsanwalt S sei bei Beginn der Erkrankung der Auffassung gewesen, zwei Tage Bettruhe würden ihn wieder arbeitsfähig machen.
Entscheidungsgründe
Die auf einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO-) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.
Das FG hätte die von den Prozeßbevollmächtigten des Klägers beantragte Aufhebung und Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht mit den von ihm angestellten Erwägungen ablehnen dürfen. Bei fehlerfreier Ermessensausübung wäre es möglicherweise zu einer Terminsverlegung gelangt. Die nach § 62 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FGO angeforderte Prozeßvollmacht hätte dann, da dem Kläger nicht gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG eine Frist mit ausschließender Wirkung für das Einreichen der Vollmacht gesetzt worden war, noch rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vorgelegen; denn die Vollmacht ist bereits am . . . beim FG eingereicht worden. Bei Verlegung des Termins wäre die Klage somit nicht wegen fehlender Vollmacht durch Prozeßurteil als unzulässig abgewiesen worden.
Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 und 2 ZPO kann ein Termin ,,aus erheblichen Gründen" durch den Vorsitzenden des FG aufgehoben oder verlegt werden. Die erheblichen Gründe für eine Aufhebung oder Verlegung sind auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 3 ZPO). Wenn erhebliche Gründe i.S. des § 227 ZPO vorliegen, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht, d.h., der Termin muß in diesen Fällen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Der durch Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gesicherte Anspruch des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet also das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Prozeßstoff oder den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten bzw. seines Prozeßbevollmächtigten, erhebliche Gründe vorliegen. Bei der Prüfung der Gründe muß das FG zugunsten des Beteiligten berücksichtigen, daß es einzige Tatsacheninstanz ist und der Beteiligte ein Recht darauf hat, seine Sache in der mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten (Urteil des Senats vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48 m.w.N.).
In § 227 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind einige (typische) Gründe genannt, die (,,insbesondere") nicht als erhebliche Gründe für eine Terminsänderung anzusehen sind, darunter (Nr. 2) auch die vom FG angeführte mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn diese nicht genügend entschuldigt ist. Die mangelnde Vorbereitung kann sich auf Informationen über Tatsachen und auf rechtliche Untersuchungen beziehen (Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 16. Aufl., § 227 Anm. 2 b, bb). Sie betrifft also die Vorbereitung, die die Partei selbst, die den Verlegungsantrag stellt, für eine sachgerechte und erfolgversprechende Prozeßführung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bezogen auf den Prozeßstoff für erforderlich hält. Es kann dahinstehen, ob zur mangelnden Vorbereitung in diesem Sinne - wie das FG meint - auch die Nichtvorlage der Prozeßvollmacht gegenüber dem Gericht (§ 62 Abs. 3 FGO) gehört, die wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung zur Abweisung der Klage als unzulässig führt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1971 IV R 208/69, BFHE 102, 442, BStBl II 1971, 689). Ist dem Kläger - wie im Streitfall - zur Nachreichung der Vollmacht nur eine Frist gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO - nicht dagegen eine Frist mit ausschließender Wirkung gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG - gesetzt worden, so kann die Vollmacht noch wirksam bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachgereicht werden (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 62 Rz. 85). Daraus folgt, daß die Nichtvorlage der Vollmacht jedenfalls dann nicht nach § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO zur Ablehnung einer beantragten Terminsverlegung führen darf, wenn der Beteiligte andere (erhebliche) Gründe für die Verlegung vorgetragen hatte; denn bei einer aus anderen Gründen gebotenen Terminsverlegung hätte die Vollmacht noch bis zum (neuen) Verhandlungstermin vorgelegt werden können. Das FG durfte somit im Streitfall die beantragte Terminsverlegung nicht schon wegen fehlender Vorlage der Prozeßvollmacht ablehnen und es dahingestellt bleiben lassen, ob die Erkrankung des Rechtsanwalts S, auf die der Kläger seinen Verlegungsantrag gestützt hatte, für eine Aufhebung des Termins ausgereicht hätte.
Die Verhinderung des die Sache bearbeitenden Prozeßbevollmächtigten durch unvorhergesehene Erkrankung wird im allgemeinen als ein erheblicher Grund für die Aufhebung oder Verlegung eines Termins angesehen (Gräber/Koch, a.a.O., § 91 Rz. 4, und Thomas/Putzo, a.a.O., § 227 Anm. 2 a mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Der Kläger hat in seinem Verlegungsantrag zwar vorgetragen, daß der sachbearbeitende Rechtsanwalt S schon seit Wochen an einer . . . erkrankt sei. Er hat aber weiter ausgeführt, daß ihm der Arzt ,,nunmehr" auch jede Terminswahrnehmung untersagt und strenge Bettruhe verordnet habe. Aus diesem Vorbringen kann entnommen werden, daß das Ausmaß der Erkrankung, das schließlich zur Verhinderung des Rechtsanwalts S in der Terminswahrnehmung geführt hat, unvorhergesehen eingetreten ist, so daß auch aus diesem Grunde eine kurzfristige Einarbeitung in die Sache und die Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt der bevollmächtigten Sozietät nicht möglich war. Dem entspricht auch das Vorbringen des Klägers im Beschwerdeverfahren. Der Vorsitzende des FG-Senats hätte den Kläger ggf. zur Glaubhaftmachung des für die Terminsverlegung angeführten Grundes auffordern müssen (§ 227 Abs. 3 ZPO). Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob im Streitfall aus den angeführten Gründen ein Rechtsanspruch des Klägers auf Terminsverlegung bestand. Ein Verfahrensfehler des FG, der zur Zulassung der Revision führt, liegt jedenfalls darin, daß dieses bei seiner Entscheidung über die beantragte Terminsaufhebung den vom Kläger hierfür benannten Grund nicht in seine Erwägungen einbezogen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 418209 |
BFH/NV 1993, 29 |