Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiederherstellung der hemmenden Wirkung der Klage gegen Widerruf der Bestellung als Steuerberater
Leitsatz (NV)
- Es reicht in der Regel nicht aus, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater lediglich mit Gründen zu rechtfertigen, die auch für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater maßgebend sind.
- Bei der Interessenabwägung spielt aber auch die Frage eine Rolle, welche Wahrscheinlichkeit für den Erfolg einer möglichen Klage gegen den Widerruf der Bestellung spricht.
- Es ist nicht erforderlich, dass in der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs auf die Unwahrscheinlichkeit eines Erfolgs einer möglichen Klage ausdrücklich abgestellt wird. Es reicht aus, wenn sich dies aus den zu Grunde gelegten, nicht substantiiert bestrittenen Tatsachen bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur erforderlichen aber auch notwendigen summarischen Prüfung der Ermessensentscheidung der Steuerberaterkammer durch das Gericht ergibt.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 69 Abs. 5, § 102; StBerG § 46 Abs. 2 Nrn. 3-4, § 164a Abs. 2 S. 1
Tatbestand
I. Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Steuerberaterkammer) widerrief mit Bescheid vom … 2001 die Bestellung des Antragstellers und Beschwerdegegners (Antragsteller) als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) und ordnete zugleich die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids an. Dagegen wandte sich der Antragsteller mit der Klage und beantragte zugleich die hemmende Wirkung der Klage gegen den Widerrufsbescheid wieder herzustellen. Der Antrag hatte Erfolg, weil die Steuerberaterkammer die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach Meinung des Finanzgerichts (FG) nicht hinreichend begründet hat.
Wie das FG im Einzelnen ausgeführt hat, habe die Steuerberaterkammer zur Begründung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs im Wesentlichen die Begründung für den Widerruf der Zulassung als Steuerberater wiederholt. Die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung müssten aber über die Gründe für den Erlass des Verwaltungsaktes hinausgehen. Gründe, die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigten, reichten in aller Regel allein nicht auch für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts aus. Die Steuerberaterkammer habe keine Gründe genannt, die ein Abweichen vom Grundsatz, dass die Klage gegen den Widerrufsbescheid hemmende Wirkung hat, im öffentlichen Interesse rechtfertigen könnten. Insbesondere habe sie nicht im konkreten Fall auf die konkrete Gefährdung von Mandanten durch ein weiteres Tätigwerden des Steuerberaters abgestellt. Sie habe ausdrücklich ausgeführt, dass potentielle Auftraggeber nur vor der abstrakt vorliegenden Gefahr bewahrt werden sollen. Auch habe sie das Interesse des Antragstellers an der weiteren Ausübung seines Berufs und damit sein Interesse am Erhalt seiner Existenzgrundlage nicht in die Abwägung einbezogen. Die Steuerberaterkammer habe damit maßgebliche Aspekte bei ihrer Ermessensentscheidung außer Acht gelassen. Das Gericht brauche bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht darauf abzustellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestünden. Die angefochtene Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit müsse unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig erscheine, überprüfbar sein.
In ihrer Beschwerde führt die Steuerberaterkammer aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu Recht erfolgt sei.
Sie beantragt,
die angefochtene Entscheidung des FG aufzuheben und die sofortige Vollziehung ihres Bescheids vom … 2001 wieder herzustellen.
Der Antragsteller hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die vom FG zugelassene Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung des Antrags des Antragstellers auf Wiederherstellung der hemmenden Wirkung der Klage gegen den Widerrufsbescheid.
1. Das FG hat richtig erkannt, dass die vom Antragsteller gegen den Widerrufsbescheid der Steuerberaterkammer erhobene Klage gemäß § 164a Abs. 2 Satz 1 StBerG, § 69 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dessen Vollziehung hemmt. Richtig ist auch, dass die Steuerberaterkammer die hemmende Wirkung der Klage durch besondere Anordnung beseitigen kann, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; das öffentliche Interesse ist schriftlich zu begründen (§ 69 Abs. 5 Satz 2 FGO). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist eine Ermessensentscheidung der Behörde, die gerichtlich im Rahmen des § 102 FGO überprüfbar ist.
2. Die Steuerberaterkammer hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung und des Interesses des Antragstellers an der Aufrechterhaltung der hemmenden Wirkung hinreichend und zutreffend begründet. Richtig ist zwar, dass es in der Regel nicht ausreicht, das öffentliche Interesse lediglich mit den Gründen zu rechtfertigen, die auch für den Widerruf der Bestellung als Steuerberater maßgebend sind (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 1989 VII B 69/89, BFH/NV 1990, 275). Denn die Regel ist, dass die Erhebung der Klage die Vollziehung des Widerrufsbescheides hemmt und dadurch die Schaffung vollendeter Tatsachen bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Widerruf der Bestellung hindert. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist in diesem Fall ein wesentliches Element eines wirksamen Rechtsschutzes i.S. von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 18. Juli 1973 1 BvR 23, 155/73, BVerfGE 35, 382).
Im Hinblick auf diese Gewährleistung ist für die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheides ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über das Interesse hinausgeht, das den Widerrufsbescheid selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG in BVerfGE 35, 382; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 29. April 1974 IV C 21.74, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1974, 1294). Von dieser Voraussetzung ist richtigerweise auch das FG ausgegangen. Allerdings spielt ―anders als das FG meint― im Rahmen dieser Interessenabwägung auch die Frage eine Rolle, welche Wahrscheinlichkeit für den Erfolg einer möglichen Klage gegen den Widerruf der Bestellung des Antragstellers als Steuerberater spricht. Wird die Klage im Ergebnis aller Wahrscheinlichkeit nach keine Aussicht auf Erfolg haben, so ist regelmäßig davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs das Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung der die Vollziehung hemmenden Wirkung einer möglichen Klage überwiegt (vgl. BVerwG in NJW 1974, 1294). Es ist aber nicht erforderlich, dass in der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs auf die Unwahrscheinlichkeit eines Erfolges einer möglichen Klage ausdrücklich abgestellt wird. Vielmehr reicht es aus, wenn sich dies aus den zu Grunde gelegten, nicht substantiiert bestrittenen Tatsachen bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur erforderlichen, aber auch notwendigen summarischen Prüfung der Ermessensentscheidung der Steuerberaterkammer durch das Gericht ergibt. Dabei können auch solche Umstände berücksichtigt werden, mit denen der Widerruf selbst begründet worden ist oder die erst im Beschwerdeverfahren vorgetragen werden (§ 102 Satz 2 FGO).
3. Der Senat lässt es dahingestellt, ob der sofortige Vollzug des Widerrufs insoweit gerechtfertigt ist, als der Widerruf mit dem Nichtbestehen einer lückenlosen Berufshaftpflichtversicherung gerechtfertigt worden ist.
4. Jedenfalls ist der sofortige Vollzug des Widerrufs der Bestellung des Antragstellers als Steuerberater insoweit gerechtfertigt, als der Widerruf mit dem wegen der Eintragung des Antragstellers im Schuldnerverzeichnis bestehenden Vermutung des Vermögensverfalls und der deswegen bestehenden Gefahr der Gefährdung von Auftraggeberinteressen begründet worden ist. Zwar hat die Steuerberaterkammer die Anordnung des sofortigen Vollzugs des Widerrufs vor allem mit der abstrakten Gefahr begründet, die von dem gesetzlich vermuteten Vermögensverfall des Antragstellers für die Auftraggeberinteressen ausgeht. Dies allein reicht in der Tat für die Anordnung der sofortigen Vollziehung schon deshalb nicht aus, weil die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls und die daraus abgeleitete Gefahr der Gefährdung von Mandanteninteressen widerlegbar ist.
Nach dem bisherigen Vortrag ist jedoch bei summarischer Prüfung nicht davon auszugehen, dass es dem Antragsteller gelingt, der ihm insoweit obliegenden Darlegungs- und Beweislast zu genügen. Das bisher nur unsubstantiierte Bestreiten von Tatsachen wie im Schriftsatz des Antragstellers vom 2. Juni 2001 reicht jedenfalls nicht aus (vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99, BFH/NV 2001, 69).
In diesem Zusammenhang hat die Steuerberaterkammer in ihrer Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Recht auf das gegen den Antragsteller eingeleitete berufsrechtliche Ermittlungsverfahren wegen der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen für seine Mitarbeiter hingewiesen und diesen Hinweis in der Beschwerdebegründung wiederholt. Darüber hinaus hat sie in der Beschwerdebegründung wie schon zur Begründung des Widerrufs, ebenfalls bisher nicht substantiiert bestritten, geltend gemacht, dass der Antragsteller die von seinen Mitarbeitern einbehaltene Lohnsteuer seit dem 15. Mai 2000 (Zeitpunkt der letzten Anmeldung) nicht mehr angemeldet und auch nicht mehr an das Finanzamt abgeführt hat. Diese Umstände belegen, dass von dem vermuteten Vermögensverfall des Antragstellers nicht nur eine abstrakte Gefahr für potenzielle Auftraggeber ausgeht. Die ihm vorgeworfenen Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften stellen vielmehr eine konkrete Gefährdung finanzieller Interessen dar, zu deren Wahrnehmung er gesetzlich verpflichtet ist. In Anbetracht dieser Umstände ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller auch Interessen seiner Auftraggeber verletzen wird, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung der Auftraggeberinteressen auszugehen ist. Dies allein rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senat in BFH/NV 2001, 69, m.w.N.) den Widerruf der Bestellung des Antragstellers als Steuerberater.
Da somit nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand der Erfolg einer Klage sehr unwahrscheinlich ist, überwiegt schon deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs das Interesse des Antragstellers an der hemmenden Wirkung der Klage.
Fundstellen
Haufe-Index 743001 |
BFH/NV 2002, 955 |