Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung zu Unrecht erstatteter Steuern beim Zedenten
Leitsatz (NV)
Wegen des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots ist es ernstlich zweifelhaft, ob die dem Finanzamt durch §37 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 n.F. neu eröffnete Möglichkeit der Rückforderung zu Unrecht erstatteter Steuern beim Abtretenden (Zedenten) auch für Abtretungen gilt, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits vollzogen waren.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, § 44; FGO § 69 Abs. 3; UStG § 15
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Rückforderungsbescheid zur Umsatzsteuervorauszahlung III/1993 vom 7. Mai 1997 rechtlichen Zweifeln unterliegt und daher dessen Aussetzung der Vollziehung ausgesprochen werden muß.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist die Nachfolgegesellschaft der X-KG (KG). Am 18. März 1993 machte die Y-AG (AG) mit Sitz in Z (Schweiz) der KG ein notariell beurkundetes Angebot zum Abschluß eines Grundstückskaufvertrages. Das Angebot bezog sich auf den Erwerb von drei Grundstücksparzellen in E, die von der KG mit einem Hotel bebaut werden sollten. Die AG (vertreten durch den deutschen Kaufmann P) verpflichtete sich in diesem Zusammenhang zur Durchführung diverser Erschließungs- und Bauvorbereitungsmaßnahmen und optierte für das Grundstücksgeschäft gemäß §9 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (künftig: UStG) zur Umsatzsteuer. Als Kaufpreis für die Grundstücke wurde ein Betrag von ... DM zuzüglich ... DM Umsatzsteuer vereinbart. Das Angebot wurde am 27. Mai 1993 von der inzwischen gegründeten KG angenommen.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) akzeptierte zunächst den von der Antragstellerin geltend gemachten Vorsteuerüberschuß aus dem Grundstücksgeschäft und erstattete am 26. November 1993 aufgrund einer entsprechenden Abtretungserklärung der KG einen Teilbetrag in Höhe von ... DM an die AG.
Das Hotelprojekt blieb erfolglos, so daß die KG den überwiegenden Teil des erworbenen Grund und Bodens am 17. Dezember 1994 mit gesondertem Umsatzsteuerausweis weiterveräußerte. Im Rahmen einer 1995 bei der KG durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, daß der KG mangels nachhaltiger Tätigkeit die Unternehmereigenschaft fehle und die gewährte Vorsteuererstattung rückgängig zu machen sei. Im Laufe des Verfahrens erhielt das FA vom Bundesamt für Finanzen (BfF) Informationen über die Tätigkeit der AG in der Schweiz. Nach Auffassung des BfF handelt es sich bei der AG um eine sog. Domizilgesellschaft ohne wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der die Unternehmereigenschaft i.S. des §2 UStG fehle. Nach Erkenntnis des BfF fehlt der AG zwar ein Domizilvermerk i.S. des Art. 43 der Verordnung über das Handelsregister der Schweiz. Trotzdem handelt es sich nach Auffassung des BfF um eine reine Briefkastenfirma. So lasse die Anschrift der AG darauf schließen, daß sie ihren Sitz unter der Adresse der A-AG, in Z habe. Einziger Verwaltungsrat dieses Unternehmens sei B, der ebenfalls bei der zuletzt genannten AG die einzige für die Geschäftsführung zuständige Person sowie in weiteren Unternehmen Funktionsträger sei. Als diplomierter ... experte dürfte er für seine Tätigkeit in der AG, die sich laut Handelsregister mit "Handel mit Waren aller Art, insbesondere Import und Export von Früchten, Fahrzeugen und Flugzeugen" beschäftige, nicht qualifiziert sein. Ferner verfüge die AG über keinerlei Kommunikationsmittel; sie sei weder im amtlichen Telefon-, Telefax- oder Telexverzeichnis eingetragen, ebensowenig wie im Handels- oder Gewerbeadreßbuch. Auch der Umstand, daß ein deutscher Staatsangehöriger (P) als Zeichnungsberechtigter im Handelsregister eingetragen sei, spreche für eine Domizilgesellschaft.
Aufgrund dieser Informationen erließ das FA am 7. Mai 1997 einen geänderten Bescheid über die Umsatzsteuervorauszahlung III/1993, wonach der Umsatzsteuerüberschuß von bislang ... DM auf ... DM reduziert wurde. Daraus ergab sich ein Nachforderungsbetrag in Höhe von ... DM. Am gleichen Tage erließ das FA außerdem einen an die Antragstellerin gerichteten, auf §§37 Abs. 2 und 44 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Rückforderungsbescheid in Höhe von ... DM. Die Rückforderung des Betrages von der Antragstellerin wurde u.a. damit begründet, daß die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes gegenüber einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen nicht möglich sei und entsprechende Beitreibungsmaßnahmen ebenfalls erfolglos wären. Gegen beide Bescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Rückforderungsbescheids mit den in Internationales Steuerrecht (IStR) 1998, 85 veröffentlichten Gründen statt. Es vertrat im wesentlichen folgende Auffassung: Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage könne man nicht zwingend davon ausgehen, daß die AG nicht in der Lage gewesen sei, sich wirtschaftlich selbst zu betätigen und dies auch tatsächlich nicht getan habe. Ihr könne daher nicht ohne weiteres die für den Vorsteuerabzug bei der KG notwendige Unternehmereigenschaft abgesprochen werden.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, die Erwägungen des FG führten zu einer Umkehr der Beweislast. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) trage der den Vorsteuerabzug geltend machende Unternehmer die objektive Feststellungslast (Beweislast) dafür, daß die Tatbestandsmerkmale des §15 UStG erfüllt seien. Dieser Beweis sei im Streitfall mangels Benennung entsprechender Beweismittel durch die Antragstellerin erst gar nicht angetreten worden. Demgegenüber würde das FG dem FA eine undurchführbare Beweisführung abverlangen, nämlich, daß eine existente Körperschaft wie im Streitfall die AG überhaupt keinen Umsatz tätigen konnte.
Das FA beantragt, den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Rückforderungsbescheids unter Aufhebung der Vorentscheidung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin ist dem Antrag entgegengetreten. Nach ihrer Ansicht verstieße eine Anwendung des erst im Jahr 1995 eingeführten §37 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 auf einen bereits im Jahr 1993 verwirklichten Sachverhalt gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot. Ferner seien bei Erlaß des Rückforderungsbescheids entweder überhaupt keine oder aber unzutreffende Erwägungen zum sog. Auswahlermessen des FA angestellt worden. Im Falle einer Abtretung eines Steuererstattungsanspruchs wie im Streitfall sei vorrangiger Rückforderungsschuldner der Abtretungsempfänger (Zessionar). Das FA habe aber keine Bemühungen unternommen, gegen den Zessionar vorzugehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht ernstliche Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids als gegeben erachtet.
Nach §69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Einstweiliger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung soll gewährt werden, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§69 Abs. 3 Sätze 1, 3 i.V.m. §69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Senatsbeschluß vom 4. April 1996 V S 1/96, V B 6/96, BFH/NV 1996, 795, m.w.N.).
Im Streitfall ist die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids vom 7. Mai 1997 selbst dann ernstlich zweifelhaft, wenn man zugunsten des FA die Rechtmäßigkeit des vorgreiflichen Änderungsbescheids betreffend die Umsatzsteuervorauszahlung III/1993 als gegeben unterstellt. Die Zweifel ergeben sich aufgrund des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots. Dieses Rückwirkungsverbot ist insbesondere berührt, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Rechtsnorm auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist (sog. Rückbewirkung von Rechtsfolgen, vgl. dazu jüngst Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, Entscheidungsdienst der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht -- DStRE -- 1998, 270, m.w.N.).
Im Falle einer Abtretung eines Steuererstattungs- bzw. -vergütungsanspruchs und der Auszahlung des Erstattungs-/Vergütungsbetrages an den Abtretungsempfänger (Zessionar) richtete sich der Rückforderungsanspruch des FA wegen rechtsgrundloser Erstattung (Vergütung) nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zur Rechtslage, die bis zum 20. Oktober 1995 galt, stets nur gegen den Zessionar. Dieser wurde als Leistungsempfänger i.S. des §37 Abs. 2 AO 1977 angesehen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 1. August 1995 VII R 80/94, BFH/NV 1996, 5, m.w.N.). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat der Steuerpflichtige durch die Zahlung des FA an den Abtretungsempfänger keine Leistung erlangt. Wenn nunmehr aber die neu geschaffene Möglichkeit des Rückgriffs des FA auf den Abtretenden (Zedenten) tatbestandlich auch auf Abtretungsfälle anwendbar wäre, die wie im Streitfall bereits vor dem 21. Oktober 1995 verwirklicht wurden, könnte darin die unzulässige rückwirkende Einführung eines zusätzlichen Haftungstatbestandes zu sehen sein (so Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §37 AO 1977 Rz. 78). Die Rückbewirkung der Rechtsfolgen des §37 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 wird aus Art. 97 §1 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung abgeleitet (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §37 AO 1977 Rz. 31 c). Eine Klärung der Frage, ob eine solche Rückbewirkung verfassungsrechtlich zulässig ist, muß dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Fundstellen