Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Das Finanzamt kann eine in der Verordnung über die Führung eines Wareneingangsbuchs selbst nicht vorgesehene Aufgliederung der Waren nach Warengruppen bei Führung des Wareneingangsbuchs nicht verlangen.
Normenkette
AO § 201 Abs. 1; StAnpG § 2 Abs. 1, § 2/2
Tatbestand
Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) betreibt ein Einzelhandelsgeschäft. Sie führt ein Wareneingangsbuch nach der Verordnung über die Führung eines Wareneingangsbuchs vom 20. Juni 1935 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 752). Das Finanzamt forderte die Bgin. auf, ihre erworbenen Waren zwecks Aufgliederung nach den verschiedenen in Betracht kommenden Rohgewinnspannen getrennt nach mindestens sieben Gruppen (Gemüse - Obst und Südfrüchte - Konserven - Kartoffel - Eier - Bier, Spirituosen und sonstige Getränke - Sonstiges) laufend aufzuzeichnen.
Streitig ist, ob dieses Verlangen des Finanzamts den gesetzlichen Vorschriften entspricht.
Die Vorentscheidung hat es verneint. Der Beschwerdeführer (Bf.) - Vorsteher des Finanzamts - wendet sich mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) hiergegen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat keinen Erfolg.
Die Prüfung ergibt folgendes: Die Frage, ob das Verlangen des Finanzamts auf die Verordnung über die Führung eines Wareneingangsbuchs selbst gegründet werden könnte, ist zu verneinen. Die Verordnung enthält in dem § 1 die Anforderungen, die an die Führung des Wareneingangsbuchs gestellt werden. Darnach ist u. a. lediglich die Art des Warenpostens unter der handelsüblichen Bezeichnung einzutragen, wobei sogar schon eine Sammelbezeichnung, z. B. Kolonialwaren, Kurzwaren, Eisenwaren genügt. Eine Aufgliederung in dem vom Finanzamt verlangten Sinne wird jedoch in der Verordnung nicht gefordert. Die Zulassung einer Sammelbezeichnung, die, wie die in der Verordnung angegebenen Beispiele zeigen, sehr weitgehend ist, d. h. Waren umfaßt, bei denen die Rohgewinnspanne sehr unterschiedlich sein kann, steht dem Verlangen einer Aufgliederung nach Rohgewinnspannen sogar in gewisser Weise entgegen. Die Verordnung ermächtigt das Finanzamt zwar zur Bewilligung von Erleichterungen für einzelne Fälle (§ 1 Abs. 9 a. a. O.), nicht aber dazu, dem Steuerpflichtigen bestimmte Muster für die Führung des Wareneingangsbuchs vorzuschreiben.
Das Finanzamt schöpft daher die rechtliche Grundlage für sein Verlangen auch nicht aus der Verordnung, sondern aus der ihm zustehenden Steueraufsicht (§ 201 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -). Dabei weist es für seine Auffassung noch auf den Runderlaß des Reichsministers der Finanzen S 1430 B - 45/39 III vom 15. Juli 1939 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1939 S. 841) hin. Dieser Runderlaß bejaht die Befugnis des Finanzamts, im Wareneingangsbuch eine Aufgliederung nach Warengruppen zu verlangen. Der Reichsminister der Finanzen gründet seine Ansicht auf Ausführungen in dem Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 10/36 vom 19. Dezember 1936 (Slg. Bd. 40 S. 264, RStBl. 1937 S. 1). Diese Ausführungen gehen dahin, daß den Steuerpflichtigen eine eigene Hilfspflicht bei den Maßnahmen der Behörde zur Vorbereitung, Sicherung und Nachprüfung der Besteuerung trifft.
Die Vorschrift des § 201 AO bildet keine Grundlage für das Verlangen des Finanzamts, wobei dahingestellt bleiben kann, ob für ihre Anwendbarkeit schon wegen der Sonderregelung der Verordnung vom 20. Juni 1935 überhaupt noch Raum ist. Nach § 201 AO haben die Finanzämter darüber zu wachen, ob durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden. Der Bundesfinanzhof hat zu der Vorschrift des § 201 AO in seiner Entscheidung IV 337/50 U vom 22. November 1951 (Slg. Bd. 56 S. 65, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 27) ausgeführt, die AO gebe zwar keinen begrifflichen Aufschub über das Wesen der Steueraufsicht; man werde sie aber dahin zu charakterisieren haben, daß sie das Recht der Finanzämter darstellt, im Interesse der Steuerung alle Maßnahmen zu ergreifen und durchzuführen, die notwendig sind, um den mit den Steuergesetzen beabsichtigten Zweck zu erreichen. Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Soweit das erwähnte Gutachten vom 19. Dezember 1936 dem Steuerpflichtigen bei den Maßnahmen der Behörde eine eigene Hilfspflicht auferlegt, kann sich also diese Hilfspflicht grundsätzlich nur auf Maßnahmen des Finanzamts beziehen, die notwendig sind, um den mit den Steuergesetzen beabsichtigten Zweck zu erreichen. Soweit das Gutachten etwa über die hier entwickelten Grundsätze hinausgehen wollte, würde der erkennende Senat ihm nicht folgen können. Bereits im Urteil II 27/54 S vom 27. April 1955 (Slg. Bd. 60 S. 468, BStBl. 1955 III S. 178) hat der erkennende Senat nicht allen Ausführungen dieses Gutachtens zugestimmt. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Maßnahme des Finanzamts ist zu beachten, daß die Vorschrift des § 201 AO (vgl. das erwähnte Urteil vom 22. November 1951) eine Ermessensvorschrift ist. Die Maßnahme hat demnach den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in der gegenwärtig geltenden Fassung zu genügen (vgl. hierzu das Gutachten Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, Slg. Bd. 55 S. 277, BStBl. 1951 III S. 107 unter Ziff. 4, das erwähnte Urteil vom 22. November 1951 und Hoffmann in Deutsche Steuerrundschau 1952 S. 285). Für Ermessensentscheidungen sind demnach die Grundsätze von Recht und Billigkeit, nicht aber die der Zweckmäßigkeit maßgebend. Einem Steuerpflichtigen eine Hilfspflicht für eine nicht notwendige Maßnahme aufzuerlegen, würde grundsätzlich gegen Recht und Billigkeit verstoßen.
Hiernach kommt es für die Entscheidung des Streitfalles darauf an, ob die verlangte Aufgliederung notwendig ist, um den von der Vorschrift des § 201 AO beabsichtigten Zweck zu erreichen. Dieses ist zu verneinen. Dem beabsichtigten Zweck dieser Vorschrift wird dadurch genügt, daß die Wareneingänge fortlaufend aufgezeichnet werden. Damit sind sämtliche Geschäftsvorgänge, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, offengelegt. Eine Aufgliederung nach Warengruppen würde keine größere Sicherung gegen Steuerverkürzungen bieten. Ob das Verlangen zumutbar ist, ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht mehr zu prüfen. Es mag zugegeben werden, daß eine Aufgliederung nach Warengruppen die Auswertung der Eintragungen im Wareneingangsbuch erleichtern und die Betriebsprüfung abkürzen, demnach zweckmäßig sein könnte. Dieser Umstand kann jedoch, wie oben dargelegt, das Verlangen nach einer Aufgliederung nicht begründen. überdies ist zu bedenken, daß auch innerhalb der einzelnen Gruppen, z. B. bei Obst und Südfrüchten, Verschiedenheiten in den Gewinnspannen bestehen oder eintreten können, so daß der von dem Finanzamt mit der Aufgliederung erzielte Zweck nur teilweise erreicht werden würde. Dem erwähnten Runderlaß des Reichsministers der Finanzen vom 15. Juli 1939 kann daher keine Bedeutung mehr zuerkennt werden. Er ist unter anderen Verhältnissen erlassen worden. Hierzu mag noch erwähnt werden, daß der Reichsminister der Finanzen jedenfalls beim Erlaß der Verordnung über die Führung eines Wareneingangsbuchs vom 20. Juni 1935 eine Aufgliederung noch nicht für geboten erachtete, wie aus einem amtlich nicht veröffentlichten Erlaß S 1160 - 226 III R vom 30. Oktober 1935 geschlossen werden kann. Der Erlaß, der das von einem Geschäftsbücherverlag entworfene Muster zum Wareneingangsbuch beurteilt, führt in den Eingangsworten folgendes aus: "Es ist zulässig, im Wareneingangsbuch die verschiedenen Warengruppen zu trennen und zu diesem Zweck mehrere Warenspalten und mehrere Preisspalten vorzusehen." Der Reichsminister der Finanzen würde nicht den Ausdruck "zulässig" gebraucht haben, wenn er die Aufgliederung schon damals für geboten erachtet hätte.
Die Rechtsbeschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Bemerkt sei, daß durch diese Entscheidung der Erlaß des Bundesministers der Finanzen IV S 4217 - 4/51 vom 31. August 1951 (Umsatzsteuerkartei S 4217 Karte 51), in dem der Bundesminister der Finanzen sich damit einverstanden erklärt, daß in das Wareneingangsbuch nicht nur die Beträge für die Wareneingänge, sondern zugleich auch die beim Wareneingang errechneten Verkaufserlöse eingetragen werden, im Hinblick auf die besondere Bestimmung des § 16 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (§ 161 Abs. 1 Ziff. 2 Satz 2 AO) nicht berührt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 408318 |
BStBl III 1955, 383 |
BFHE 1956, 479 |
BFHE 61, 479 |