Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung: Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
Leitsatz (NV)
1. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags als Freigrenze verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
2. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist.
3. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes sind bei der Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht um dessen Mietaufwendungen für eine auswärtige Unterkunft zu mindern.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2; FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 24.04.2006; Aktenzeichen 3 K 3115/05) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat einen im Jahr 1982 geborenen Sohn, der am 1. Oktober 2002 eine Ausbildung zum Krankenpfleger begann und eine eigene Wohnung am Beschäftigungsort.
Mit Bescheid vom 15. September 2005 lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) den Antrag des Klägers auf Zahlung des Kindergeldes für das Jahr 2004 ab, da die Einkünfte und Bezüge des Sohnes den Jahresgrenzbetrag von 7 680 € überschritten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung). Die Familienkasse ging dabei von Einkünften des Sohnes in Höhe von 8 269,98 € aus (Ausbildungsvergütung in Höhe von 11 876,79 € abzüglich Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 2 486,01 € sowie Werbungskosten in Höhe von 1 120,80 €).
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermittelte dagegen die Einkünfte des Sohnes im Jahr 2004 mit einem Betrag von 7 867,10 €, da es u.a. Aufwendungen für Familienheimfahrten als Werbungskosten beurteilte.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, zu klären sei die Rechtsfrage, ob die Ausgestaltung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Freigrenze verfassungswidrig sei. Bei der im Streitfall nur geringfügigen Überschreitung des Jahresgrenzbetrages um 187,10 € sei es unverhältnismäßig, das Kindergeld bzw. die Kinderfreibeträge zu versagen. Weiter wirft der Kläger sinngemäß die Rechtsfrage auf, ob die Mietaufwendungen des Sohnes für seine Wohnung am Beschäftigungsort in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen seien. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) seien jedenfalls diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- von Gesetzes wegen dem Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar seien und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken könnten, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt seien, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen. Der Mietaufwand stehe aber als zusätzlicher Aufwand für die Bestreitung des Unterhalts nicht zur Verfügung. Ferner rügt der Kläger materielle Fehler des FG bei der Ermittlung der Einkünfte seines Sohnes.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist geklärt, dass die Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrages (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) als Freigrenze verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BFH-Urteile vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vom 25. Mai 2004 VIII R 66/99, BFH/NV 2005, 24, und vom 13. Juli 2004 VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36, sowie BFH-Beschlüsse vom 1. März 2002 VIII B 156/01, BFH/NV 2002, 788; vom 2. August 2005 III B 10/05, BFH/NV 2005, 2005, und vom 28. Juli 2006 III B 28/05, BFH/NV 2006, 2273). Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Im neueren Schrifttum sind gegen die Rechtsprechung des BFH keine Bedenken erhoben worden (vgl. Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz C 42, m.w.N.; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rz 531; Greite in Korn, § 32 EStG Rz 73; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 103). Auch das Urteil des Niedersächsischen FG vom 23. Februar 2006 1 K 76/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1592), in welchem das Niedersächsische FG in einem obiter dictum die Ausgestaltung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Freigrenze als verfassungswidrig beurteilt hat, enthält keine beachtlichen Argumente, mit denen sich der BFH in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566 nicht bereits eingehend auseinander gesetzt hat.
Auch die Rechtsfrage, ob die Mietaufwendungen des Sohnes für seine Wohnung am Beschäftigungsort in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen seien, bedarf keiner Klärung durch den BFH. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Antwort auf die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder --wie im Streitfall-- die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757, m.w.N.).
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist verfassungskonform so auszulegen, dass der Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts (…) bestimmt oder geeignet sind" nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes zu beziehen ist. Nicht als Einkünfte anzusetzen sind deshalb jedenfalls diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten können (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260). Zwar hat das BVerfG offen gelassen, in welchen (weiteren) Fällen der Relativsatz auf Einkünfte anzuwenden ist. Es ist jedoch nicht klärungsbedürftig, dass die Mietaufwendungen des Kindes für eine auswärtige Unterkunft zu berücksichtigen sind.
Die Einbeziehung von gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, weil in Höhe dieser Beträge --die vom Arbeitgeber abgeführt werden und deshalb nicht in den Verfügungsbereich des Kindes gelangen-- die Einkünfte des Kindes keine Minderung der Unterhaltslasten und somit auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern bewirken. Werden Mittel in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) einbezogen, die eine effektive Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern nicht bewirken können, so wird einer Teilgruppe der durch Unterhaltspflichten belasteten Eltern die staatliche Entlastung zweckwidrig und deshalb ohne hinreichenden sachlichen Grund verweigert (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260).
Eine tatsächliche Entlastung der Eltern wird aber nicht verfehlt, wenn --wie im Streitfall-- ein Teil der Einkünfte des Kindes für Mietaufwendungen für eine auswärtige Unterkunft gebunden ist. Die Tatsache, dass eine beträchtliche Anzahl der in Ausbildung befindlichen Kinder auswärts untergebracht ist und es deshalb an einer gemeinsamen Wirtschaftsführung mit den Eltern fehlt, wird in der Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrages hinreichend berücksichtigt (BFH-Urteil in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II.2.e der Gründe). Dementsprechend sind die Kosten für Unterkunft und Verpflegung eines auswärts untergebrachten Kindes als erhöhter Lebensbedarf bereits mit dem Jahresgrenzbetrag abgegolten (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VIII R 104/03, BFH/NV 2004, 1525, m.w.N.). Bestreitet das Kind mit seinen Einkünften die Mietaufwendungen für eine auswärtige Unterkunft, deckt es demnach selbst einen Teil seines Existenzminimums und entlastet damit seine Eltern, die insoweit nicht für seinen Unterhalt aufkommen müssen.
Im Übrigen wendet sich der Kläger gegen die Höhe der vom FG angesetzten Einkünfte seines Sohnes und damit die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils, wobei er seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des FG setzt. Dieses Vorbringen vermag die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen. Seine Rüge ergibt auch keinen Anhaltspunkt für einen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt (BFH-Beschluss vom 17. März 2006 III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285).
Fundstellen
Haufe-Index 1814363 |
BFH/NV 2007, 2274 |