Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung des FG an Beschwerdeentscheidung im zweiten Rechtszug; Haftung für Umsatzsteuer; anteilige Tilgung
Leitsatz (NV)
1. Die Bindungsvorschrift des § 126 Abs. 5 FGO gilt sinngemäß für den Fall, daß der BFH im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens von der ihm zustehenden Möglichkeit Gebrauch macht, die Sache an das FG zurückzugeben. Die Bindung im weiteren Rechtsgang entfällt u. a. dann, wenn nach der Zurückverweisung eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eintritt.
2. Der BFH hat in seinem Urteil vom 21. Juni 1994 VII R 34/92 (BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230) die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung bei der Haftung für Steuerschulden, die nach § 14 Abs. 3 UStG entstanden sind, nicht generell, sondern für einen ganz bestimmten Sachverhalt, eingeschränkt.
Normenkette
FGO § 126 Abs. 5; AO 1977 § 69; UStG 1980 § 14 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt als Nachlaßverwalter Prozeßkostenhilfe (PKH) für die mit Schriftsatz vom 6. Juli 1988 erhobene Klage des verstorbenen G wegen Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 13. Juli 1987 für Umsatzsteuer 1978 und 1982 der E-KG (KG).
G war von 1978 bis 1985 Geschäftsführer der E-GmbH (GmbH), die ihrerseits Komplementärin der KG war. Nach dem Gesellschaftsvertrag war die GmbH zur Geschäftsführung und Vertretung der KG allein berechtigt und verpflichtet. Die GmbH geriet in Liquidation, der zuletzt bestellte Liquidator hat sein Amt niedergelegt. Der Antrag der KG auf Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen wurde am 24. November 1986 mangels Masse vom Amtsgericht abgelehnt.
Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) erließ am 13. Juli 1987 gegen G einen Haftungsbescheid gemäß den §§ 191, 69, 34 und 71 der Abgabenordnung (AO 1977), wonach G für Umsatzsteuerrückstände der KG aus den Jahren 1978, 1982 und 1983 haften sollte. Zur Begründung führte das FA an, nach dem Ergebnis einer am 9. Juli 1985 bei der KG durchgeführten Außenprüfung stehe fest, daß die KG der Firma C-GmbH in den betreffenden Jahren mehrere Rechnungen mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt habe, ohne die entsprechenden Leistungen erbracht zu haben. Die Rechnungen betreffend die Jahre 1978 und 1982, die von G selbst erteilt worden seien, seien weder in der Buchführung der KG erfaßt, noch sei die entsprechende Umsatzsteuer angemeldet worden. Die C-GmbH habe sie hingegen als Betriebsausgaben mit Vorsteuerabzug buchmäßig erfaßt.
Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen G ist wegen Verfolgungsverjährung eingestellt worden.
Gegen den Haftungsbescheid legte G Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung. Der Aussetzungsantrag hatte hinsichtlich der geltend gemachten Umsatzsteuer für 1983 Erfolg, wurde im übrigen (Umsatzsteuer für 1978 und 1982) aber als unbegründet zurückgewiesen (Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 2. Juni 1988). In diesem Umfang hat G Klage auf Aussetzung der Vollziehung erhoben und beantragt, ihm hierzu PKH unter Beiordnung seines Prozeßbevollmächtigten zu gewähren.
Das Finanzgericht (FG) lehnte mit Beschluß vom 3. Mai 1993 den PKH-Antrag ab, weil nach seiner Auffassung die Aussetzungsklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Diese Entscheidung wurde mit Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Februar 1994 VII B 168/93 (BFH/NV 1994, 603) aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Der BFH hatte grundsätzlich keine Zweifel am Entstehen der Steuerschuld der KG gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973/1980 und an der Haftung von G. Er war jedoch der Auffassung, die bislang noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfrage der Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung auf Fälle, in denen die dem Haftungsbescheid zugrundeliegende Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG entstanden ist, dürfe im PKH- Verfahren nicht abschließend zu Lasten des Antragstellers entschieden werden.
Das FG hat mit Beschluß vom 6. Februar 1996 den Antrag auf Bewilligung von PKH erneut zurückgewiesen. Zur Begründung führte es aus, die Frage, ob der Grundsatz der anteiligen Tilgung auch auf Fälle anzuwenden sei, in denen die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG entstanden ist, sei durch das Urteil des BFH vom 21. Juni 1994 VII R 34/92 (BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230) geklärt. Nach der neuesten Rechtsprechung des BFH solle die Haftung nach § 69 AO 1977, die eine Schadensersatzhaftung sei, nicht durch die Tatsache fehlender Zahlungsmittel im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschuld bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 14 Abs. 3 UStG ausgeschlossen sein. Der Beschluß des BFH in BFH/NV 1994, 603 sei durch das Urteil in BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230 überholt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Zur Begründung trägt er unter Hinweis auf neueres Schrifttum vor, § 14 Abs. 3 UStG sei höchstwahrscheinlich verfassungswidrig. Der Antragsteller bietet außerdem Zeugenbeweis an dafür, daß es sich bei der 1978 erteilten Rechnung um eine sog. Vorausrechnung gehandelt habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG war nicht von der ihm mit Beschluß des BFH in BFH/NV 1994, 603 auferlegten Pflicht befreit, tatsächliche Feststellungen zur Frage der Tilgungsquote und zu den verfügbaren Zahlungsmitteln der KG in den maßgeblichen Zeiträumen zu treffen.
1. Gemäß § 126 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat das Gericht, an das im Revisionsverfahren die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen. Die Bindungsvorschrift des § 126 Abs. 5 FGO gilt sinngemäß für den Fall, daß der BFH im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens von der ihm zustehenden Möglichkeit Gebrauch macht, die Sache an das FG zurückzuverweisen. Bei der Bindungsregelung des § 126 Abs. 5 FGO handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des deutschen Verfahrensrechts (BFH-Beschluß vom 11. Juni 1987 VIII B 16/87, BFH/NV 1987, 803, m. N.). Die Bindung im weiteren Rechtsgang entfällt nur dann, wenn nach der Zurückverweisung eine rückwirkende Gesetzesänderung oder eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eintritt oder sich ein anderer Sachverhalt ergibt (BFH-Urteil vom 25. Februar 1976 I R 77/74, BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431, m. N.).
2. Die Bindung des FG ist nicht aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entfallen.
Die Auffassung des FG, der Grundsatz der anteiligen Tilgung komme bei der Haftung für Steuerschulden, die nach § 14 Abs. 3 UStG entstanden sind, grundsätzlich nicht zur Anwendung, läßt sich dem BFH-Urteil in BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230 nicht entnehmen. Das FG hat sich daher zu Unrecht durch den in der Streitsache ergangenen Beschluß des BFH in BFH/NV 1994, 603 nicht mehr gebunden gefühlt.
Denn der BFH hat die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung nur für einen ganz bestimmten Sachverhalt eingeschränkt, nämlich für Umstände, unter denen ein Konkursverwalter, der in Kenntnis des Fehlens vorhandener Mittel in dem von ihm verwalteten Vermögen einem anderen eine Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt, ohne dazu berechtigt zu sein.
Der BFH nimmt in diesem Fall -- neben der Pflicht des Verwalters, die entstandenen Steuern ordnungsgemäß anzumelden und zu entrichten -- die (zusätzliche) Pflicht des Konkursverwalters an, in Kenntnis fehlender Mittel nicht eine Steuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG zur Entstehung zu bringen. Nur eine Verletzung dieser Pflicht ist nach der Entscheidung in BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230 in der Regel ursächlich für den eingetretenen Schaden.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Mangels tatsächlicher Feststellungen des FG zu den verfügbaren Zahlungsmitteln der KG im Zeitpunkt der Rechnungserteilung kann der Senat nicht beurteilen, ob G seine Pflicht verletzt hat, es zu unterlassen, bei Kenntnis vom Fehlen entsprechender Mittel der KG eine Steuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG zur Entstehung zu bringen.
4. Auf die vom Antragsteller vorgetragene Beschwerdebegründung braucht der Senat im übrigen nicht einzugehen.
Fundstellen