Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsverjährung im Zusammenhang mit der Anpassung eines Folgebescheids
Leitsatz (NV)
1. Soweit und solange die Feststellungsfrist für einen Feststellungsbescheid i. S. von §179 AO 1977 noch nicht abgelaufen ist, ist auch der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Umfang der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides gehemmt. Die Hemmung knüpft an die bloße rechtliche Möglichkeit an, daß ein Grundlagenbescheid ergeht, aufgehoben oder geändert wird; sie setzt kein reales Ereignis voraus.
2. Der Feststellungsbescheid wahrt allen Feststellungsbeteiligten gegenüber die Feststellungsfrist, auch wenn er nur einem von ihnen bekanntgegeben worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 171 Abs. 10, §§ 179, 181; FGO § 142; ZPO § 114
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für sein beim Finanzgericht (FG) anhängiges Klageverfahren betreffend die Zurechnung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (75 000 DM) und Vermietung und Verpachtung (31 DM) aus einer zusammen mit seinem Vater seit 1975 betriebenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), für die der Vater als Zustellvertreter eingesetzt war. Nach den Feststellungen des Beklagten (Finanzamt -- FA --) hat der Antragsteller im Laufe des Kalenderjahres 1983 gegenüber dem zuständigen Gewerbeamt sein Ausscheiden aus der GbR erklärt. Eine Gewerbeabmeldung ging am 2. September 1983 beim FA ein.
Da für das Kalenderjahr 1982 keine Steuererklärungen eingereicht wurden, erließ das FA am 5. September 1984 für die GbR im Wege der Schätzung einen gemäß §164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheid. Die Zustellung erfolgte an den Vater des Antragstellers als Empfangsbevollmächtigten der GbR mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten.
Laut Aktenausfertigung berücksichtigte das FA in dem Einkommensteuerbescheid 1982 für den Antragsteller sowohl den von diesem in seiner am 30. Dezember 1985 eingereichten Einkommensteuererklärung angegebenen Verlust aus dem Betrieb einer Gaststätte als auch die nicht erklärten Einkünfte aus der GbR in Höhe von 75 031 DM.
Am 28. Dezember 1989 ging beim FA ein Schreiben des Antragstellers ein, nach dem er zum 31. Dezember 1981 aus der GbR ausgeschieden sei. Die Kopie einer entsprechenden Kündigung war beigefügt. Dieses Schreiben hat das FA als Antrag auf Änderung der Steuerbescheide 1982 aufgefaßt und diesen unter dem 16. März 1990 mit der Begründung, der Antragsteller sei nach den vorliegenden Unterlagen erst zum 1. Januar 1983 aus der GbR ausgeschieden, abgelehnt. (Dem Ablehnungsschreiben war keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt.)
Nachdem der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Juni 1990 u. a. vorgetragen hatte, er habe für 1982 keinen Einkommensteuerbescheid erhalten, stellte das FA ihm einen solchen am 19. Juli 1990 zu. Zuvor hatte es mitgeteilt, daß der Steuerfestsetzung die Ergebnisse des Feststellungsbescheides vom 5. September 1984 der GbR zugrunde gelegt würden, woraufhin der Antragsteller erklärte, keine Kenntnis von der Existenz eines solchen Feststellungbescheides zu haben und um die Zustellung einer Ausfertigung dieses Bescheides bat.
Gegen den am 19. Juli 1990 zugestellten Einkommensteuerbescheid 1982 vom 18. Juli 1990 legte der Antragsteller am 31. Juli 1990 mit der Begründung Einspruch ein, der Bescheid sei nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen.
Am 10. August 1990 übersandte das FA dem Antragsteller die Kopie einer Aktenausfertigung des Feststellungsbescheides 1982 für die GbR. Hiergegen legte der Antragsteller ebenfalls Einspruch ein, den das FA nach vorheriger Anhörung am 26. Mai 1993 als unbegründet zurückwies. Die dem Antragsteller und dem Hinzugezogenen am 26. Juni 1993 zugestellte Entscheidung wurde bestandskräftig.
Den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 wies das FA mit Entscheidung vom 24. Januar 1994, dem Antragsteller zugestellt am 28. Januar 1994, als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage ging am 29. März 1994 beim FG ein. In dem am 29. März 1994 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung wird unter Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen vorgetragen, die Büroleiterin des Prozeßbevollmächtigten habe der Ehefrau des Klägers am 25. Februar 1994 die einkuvertierte Klageschrift übergeben, die diese am Samstag, dem 26. Februar 1994, in den Nachtbriefkasten des FG eingelegt habe. In materieller Hinsicht ist der Antragsteller der Auffassung, der Feststellungsbescheid 1982 sei für ihn nicht bindend, da die GbR mit seinem Vater 1982 nicht mehr bestanden habe. Außerdem sei ihm der Feststellungsbescheid nicht innerhalb der Festsetzungsfrist bekanntgegeben worden.
Mit Schreiben vom 30. März 1994 beantragte der Antragsteller, ihm für das Klageverfahren PKH zu gewähren. Das FG lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, unabhängig davon, ob dem Antragsteller wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, könne die Klage aus materiellen Gründen keinen Erfolg haben. Der Antragsteller wende sich mit seiner Klage ausschließlich gegen die Zurechnung der Einkünfte aus der GbR; diese seien jedoch in dem bestandskräftigen Feststellungsbescheid 1982 für die GbR vom 5. September 1984 enthalten und könnten nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht aber durch Anfechtung des Einkommensteuerbescheides als dem Folgebescheid angegriffen werden. Der Feststellungsbescheid sei wirksam und dem Kläger auch innerhalb der Festsetzungsfrist bekanntgegeben worden. Er habe zwar durch die Bekanntgabe an den Vater als Zustellungsbevollmächtigten gegenüber dem Kläger keine Wirkung mehr entfalten können, da das FA bereits vor Bekanntgabe von der Auflösung der GbR Kenntnis erlangt habe. Die rechtzeitige Bekanntgabe eines mehrere Beteiligte betreffenden Feststellungsbescheides wahre aber allen Beteiligten gegenüber die Feststellungsfrist, wenn er nur einem von ihnen wirksam bekanntgegeben worden sei. Das gelte auch für Gesellschafter, die aus der Gesellschaft ausgeschieden seien, und nach der Auflösung der Gesellschaft (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. September 1994 IX R 89/90, BFHE 175, 323, BStBl II 1995, 39). Die Feststellungsfrist habe daher nicht mit Ablauf des 31. Dezember 1989 geendet. Den Einspruch des Antragstellers gegen den ihm am 13. August 1990 übersandten Feststellungsbescheid 1982 für die GbR habe das FA bestandskräftig zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der u. a. geltend gemacht wird: Das vom FG genannte BFH-Urteil sei nicht einschlägig. Die Festsetzungsfrist betreffend die Einkommensteuer 1982 sei zum 31. Dezember 1989 abgelaufen, woran auch die im August 1990 erfolgte Übersendung des Feststellungsbescheides 1982 nichts habe ändern können. Dem FA sei die Auflösung der GbR bekannt gewesen und dementsprechend auch die Aufhebung der dem Vater erteilten Zustellungsvollmacht. Das FA habe daher dem Vater den Feststellungsbescheid 1982 nicht mit bindender Wirkung für ihn, den Antragsteller, bekanntgeben dürfen. Zudem sei dem FA seine Anschrift bekannt gewesen, so daß es ein leichtes gewesen wäre, ihn von der Feststellung der Einkünfte der GbR in Kenntnis zu setzen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, ihm für das FG-Verfahren PKH zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach §142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Das FG ist -- bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage -- zutreffend davon ausgegangen, daß es dem Klageverfahren betreffend den Einkommensteuerbescheid 1982 an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg fehlt.
Festsetzungsverjährung, die dem Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1982 entgegenstehen könnte, war am 19. Juli 1990 noch nicht eingetreten. Die Festsetzungsfrist von vier Jahren (§169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) begann mit Ablauf des Jahres 1985, da der Antragsteller seine Einkommensteuererklärung für 1982 im Dezember 1985 abgegeben hat (§170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977). Die Frist endete demnach regulär mit Ablauf des Jahres 1989. Der Fristablauf war jedoch gemäß §171 Abs. 10 AO 1977 bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides (Grundlagenbescheides) an den Antragsteller -- nämlich bis zum August 1991 -- gehemmt.
Der Umfang einer solchen Ablaufhemmung richtet sich, da sich nach §157 Abs. 2 und §179 Abs. 1 AO 1977 die Abhängigkeit des Folgebescheides (Einkommensteuerbescheides) vom Grundlagenbescheid auf bestimmte Besteuerungsgrundlagen bezieht, danach, in welchem Umfang die gemäß §182 Abs. 1 AO 1977 bestimmten gesondert (und im Streitfall außerdem einheitlich -- §179 Abs. 2 Satz 2, §180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977) getroffenen Feststellungen bindend sind (vgl. BFH-Urteile vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318, und vom 4. November 1992 XI R 32/91, BFHE 170, 291, BStBl II 1993, 425). Maßgeblich ist insoweit der gesetzlich festgelegte Regelungsgehalt des jeweiligen Grundlagenbescheides (vgl. BFH- Urteil vom 8. März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531). Dieser bestand bei der dem Antragsteller am 10. August 1990 übersandten Ausfertigung des Feststellungsbescheides 1982 in der Aussage, die Einkünfte des Antragstellers aus seiner Beteiligung an der GbR beliefen sich für 1982 auf 75 031 DM und seien als solche aus Gewerbebetrieb bzw. Vermietung und Verpachtung zu qualifizieren.
Aus §171 Abs. 10 AO 1977 folgt somit, daß der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer mit der Feststellungsfrist (vgl. §181 Abs. 1 bis 3 AO 1977) verknüpft ist, die ihrerseits für die Zulässigkeit des Erlasses des Grundlagenbescheides (§169 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §181 Abs. 1 AO 1977) maßgeblich ist. Das bedeutet, soweit und solange in offener Feststellungsfrist ein Feststellungsbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, noch zulässig ergehen kann, der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Ausmaß der Bindung dieses Grundlagenbescheides gehemmt ist und diese Hemmung durch §171 Abs. 10 AO 1977 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung auf die Frist von einem Jahr nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides ausgedehnt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318). Der Fristablauf wird deshalb unabhängig davon gehemmt, ob der Grundlagenbescheid bereits ergangen ist und ob das FA einen entsprechenden Folgebescheid erlassen hat. Denn die Hemmung knüpft an die bloße rechtliche Möglichkeit an, daß ein Grundlagenbescheid ergeht, aufgehoben oder geändert wird; sie setzt -- anders als die anderen Hemmungsgründe in §171 AO 1977 -- kein reales Ereignis voraus (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 II R 15/91, BFH/NV 1994, 1).
Der Feststellungsbescheid 1982 vom 10. August 1990, Grundlagenbescheid für die Einkommensteuer 1982 des Antragstellers, ist in noch offener Feststellungsfrist ergangen. Innerhalb der wegen der Nichtabgabe der Steuererklärungen 1982 bis zum 31. Dezember 1989 laufenden Feststellungsfrist (§181 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977), nämlich am 5. September 1984, erging ein Feststellungsbescheid gegenüber einem Gesellschafter der GbR, dem als Zustellungsbevollmächtigten benannten Vater des Antragstellers, mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten. Da der Antragsteller -- wovon das FA Kenntnis hatte -- jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Gesellschafter der aus ihm und dem Vater bestehenden GbR war, ist dieser Bescheid ihm gegenüber nicht wirksam geworden, d. h. hat ihm gegenüber keine materiell-rechtliche Bindungswirkung entfalten können (vgl. BFH- Urteil vom 27. April 1993 VIII R 27/92, BFHE 171, 392, BStBl II 1994, 3). Der Feststellungsbescheid wahrt jedoch allen Feststellungsbeteiligten gegenüber die Feststellungsfrist, auch wenn das FA ihn nur einem von ihnen bekanntgegeben hat. Das gilt auch für die Gesellschafter, die aus der Gesellschaft ausgeschieden sind, und nach Auflösung der Gesellschaft. Wegen dieser Rechtswirkungen des Feststellungsbescheides schon vor Bekanntgabe an alle Feststellungsbeteiligten hat der Rechtsbehelf eines Feststellungsbeteiligten, der den Bescheid bisher nicht erhalten hat, ablaufhemmende Wirkung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 323, BStBl II 1995, 39).
Der Verjährungsablauf war im Streitfall durch den Antrag des Antragstellers vom 28. Dezember 1989, ihm wegen seines Ausscheidens zum 31. Dezember 1981 keine Einkünfte aus der GbR mehr zuzurechnen, gemäß §171 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AO 1977 gehemmt worden. Nach dieser Vorschrift läuft, soweit gegen einen vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassenen Bescheid ein Antrag auf erstmalige Festsetzung einer Steuer oder auf Gestaltung bzw. Aufhebung bereits durchgeführter Festsetzungen (Feststellungen etc.) gestellt oder ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Antrag bzw. den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden worden ist. Unanfechtbarkeit einer Steuerfestsetzung liegt vor, wenn diese nicht oder nicht mehr mit den ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (§§347 ff. AO 1977) oder mit den Rechtsbehelfen des Steuerprozesses (§§40 ff. und 115 ff. FGO) angefochten werden kann, während es auf die Statthaftigkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht ankommt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §171 AO 1977 Tz. 9).
Das FA hat mit Bescheid vom 16. März 1990 den Antrag auf Änderung des Feststellungsbescheides 1982 abgelehnt. Dieser Ablehnungsbescheid ist jedoch nicht vor Ablauf des Jahres 1990, in dem sowohl der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1982 ergangen als auch die Bekanntgabe des Feststellungsbescheides gegenüber dem Antragsteller erfolgt ist, bestandskräftig geworden, denn ihm fehlte eine Rechtsbehelfsbelehrung. Die schriftlich ergangene Ablehnung der Änderung eines Steuerbescheides ist ein Verwaltungsakt i. S. des §118 AO 1977, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beizufügen ist (§356 AO 1977). Wegen der fehlenden Belehrung betrug die Rechtsbehelfsfrist ein Jahr seit ihrer Bekanntgabe (§356 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).
Mit dem Einwand, für 1982 dürften ihm keine Einkünfte aus der GbR mehr zugerechnet werden, kann der Antragsteller in dem Verfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 nicht gehört werden. Der Feststellungsbescheid 1982, der die Zurechnung und Höhe der strittigen Einkünfte bindend feststellt, ist auch gegenüber dem Antragsteller nach Abweisung seines dagegen erhobenen Einspruchs bestandskräftig geworden.
Fundstellen
Haufe-Index 67267 |
BFH/NV 1998, 937 |