Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollschuldner und weiterer Zollschuldner bei Erwerb von Waren, die sich in der Truppenverwendung der sowjetischen Streitkräfte befanden
Leitsatz (NV)
1. Bei der Entscheidung über den PKH-Antrag sind die vom Antragsteller erstmals mit der Beschwerde vorgebrachten Angriffe gegen die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen zu berücksichtigen.
2. Es liegt keine unzulässige Beweisantizipation darin, daß das Gericht nach Aktenlage darüber befindet, ob eine Wahrscheinlichkeit für eine Beweisführung im Sinne des Antragstellers besteht.
3. Ein Nichtangehöriger der sowjetischen Streitkräfte wird mit der Entnahme der Waren aus der Truppenverwendung der Streitkräfte Zollschuldner unabhängig davon, ob er wußte oder hätte wissen müssen, daß es sich um Waren in der Truppenverwendung gehandelt hat.
4. Der Nichtangehörige der Streitkräfte wird weiterer Zollschuldner, wenn er Waren, die ein anderer aus der Truppenverwendung entnommen hat, erwirbt und wußte oder zumindest hätte wissen müssen, daß es sich bei den entnommenen Waren um Zollgut gehandelt hat.
Normenkette
FGO § 142; ZPO § 114; AnO §§ 3, 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 Buchst. a; EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. b; EWGV 1031/88 Art. 3 Unterabs. 1; EWGV 1031/88 Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a; ZG § 57 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wird von dem beklagten Hauptzollamt (HZA) durch Steuerbescheid als Abgabenschuldner für Zoll-EURO, Mineralöl-, Tabak-, Branntwein- und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt ... DM in Anspruch genommen, weil er in der Zeit vom April 1991 bis Juni 1992 aus den Beständen der Westgruppe der Streitkräfte der GUS ohne zollamtliche Behandlung 50 Fässer zu je 200 Liter Dieselkraftstoff, 20 Fässer zu je 200 Liter Benzin, 250 Stangen Zigaretten sowie an Spirituosen 15 Kartons " ... " zu 6 Flaschen (0,7 Liter) und 15 Kartons " ... " zu 6 Flaschen (0,7 Liter) gekauft haben soll.
Der Antragsteller begründete seinen Einspruch gegen den Steuerbescheid nicht. Die nach Ergehen der Einspruchsentscheidung erhobene Klage, mit der er den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) verband, hat der Antragsteller trotz Aufforderung ebenfalls nicht begründet. Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag auf Gewährung von PKH unter Beiordnung seiner Prozeßbevollmächtigten zurück, weil angesichts der vom Antragsteller in seiner Vernehmung durch das Zollfahndungsamt im Juni 1992 gemachten Angaben keine Zweifel daran bestünden, daß die erhobenen Eingangsabgaben zutreffend festgesetzt worden seien. Hinzu komme, daß sich der Antragsteller weder im Vorverfahren noch im Klageverfahren, jeweils trotz Erinnerung, substantiiert geäußert habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung von PKH weiterverfolgt und in der er erstmals zum Sachverhalt Stellung nimmt, ist unbegründet.
Dem Antragsteller kann, wie von der Vorinstanz zutreffend entschieden, PKH nicht gewährt werden, weil es an dem Bewilligungserfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht für das Klageverfahren fehlt (§142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung, §114 der Zivilprozeßordnung). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Die Rechtsverfolgung verspricht nur dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers besteht. Dieser Prüfung ist der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen. Daher sind die vom Antragsteller erstmals mit der Beschwerde gegen die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidungen vorgebrachten Angriffe bei der Entscheidung über den PKH-Antrag zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluß vom 22. Februar 1994 VII B 114/92, BFH/NV 1994, 822).
Ist danach der Sachverhalt streitig, ist die Erfolgsaussicht zu bejahen, wenn das Gericht in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung durch den Antragsteller im Klageverfahren überzeugt ist (vgl. Bundesfinanzhof -- BFH --, Beschluß vom 26. April 1993 VI B 162/92, BFH/NV 1993, 682). Im Regelfall kommt im summarischen PKH-Verfahren eine Beweiserhebung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nicht in Betracht. Das Gericht muß vielmehr nach Aktenlage darüber befinden, ob eine Wahrscheinlichkeit für eine Beweisführung im Sinne des Antragstellers besteht. Eine unzulässige Beweisantizipation liegt darin nicht (vgl. Senatsbeschluß vom 30. August 1994 VII B 71/94, BFH/NV 1996, 375).
Aus den eigenen Angaben des Antragstellers in seiner Vernehmung vom Juni 1992 ergibt sich, daß er Zollschuldner hinsichtlich der für die Waren mit ihrer Entnahme aus der Truppenverwendung nach §5 Abs. 1 der Anordnung zur Zoll- und Verbrauchsteuerentlastung von Waren, die an die Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR geliefert werden (AnO) vom 29. August 1990 (Gesetzblatt der DDR -- GBl DDR -- I 1990, 1608) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 201/15) entstandenen Zollschulden geworden ist (vgl. dazu für die entsprechende Vorschrift des §4 des Truppenzollgesetzes Ehmcke in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, D III/4 Rz. 7, 8). Für den durch Vermittlung eines sowjetischen Offiziers von den Streitkräften bezogenen Treibstoff folgt die Zollschuldnerschaft des Antragstellers aus §5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AnO i. V. m. Art. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 (ZollschuldnerVO) des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichteten Personen (ABlEG Nr. L 102/5), weil er als Nichtangehöriger der Streitkräfte mit der Entnahme des Treibstoffs aus der Truppenverwendung (§3 Abs. 3 AnO) dessen unmittelbarer Besitzer geworden ist, was einem vorschriftswidrigen Verbringen des Treibstoffs in das Zollgebiet der Gemeinschaft gleichkommt (vgl. Ehmcke, a. a. O.). Für die übrigen Waren, die der Antragsteller dem damaligen russischen Armeeangehörigen M abgekauft hat, ist er gemäß Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a ZollschuldnerVO i. V. m. §57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) weiterer Zollschuldner geworden, weil er die Waren, für die eine Abgabenschuld entstanden ist, übernommen hat und wußte oder jedenfalls hätte wissen müssen, daß es sich um Zollgut (Waren in der Truppenverwendung) handelt. Diese Vorschriften gelten für die außer dem Zoll-EURO angeforderten Abgaben (Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Branntweinsteuer -- richtig Monopolausgleich -- und Einfuhrumsatzsteuer) sinngemäß, so daß der Antragsteller auch dafür Abgabenschuldner geworden ist (§10 Abs. 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes 1980, §7 Abs. 1 und 2 des Mineralölsteuergesetzes und §151 Abs. 1 und 2 i. V. m. §154 Abs. 1 des Branntweinmonopolgesetzes -- jeweils in der vor Inkrafttreten des Verbrauchsteuer- Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 1992, 2150, geltenden Fassung -- sowie §21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1991, BGBl I 1991, 350).
Hinsichtlich der für den gekauften Treibstoff entstandenen Abgaben ist der Antragsteller nach §5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AnO i. V. m. Art. 3 Unterabs. 1 ZollschuldnerVO unabhängig davon Abgabenschuldner geworden, ob er wußte oder hätte wissen müssen, daß es sich um Waren in der Truppenverwendung gehandelt hat. Insoweit ist schon deshalb das Beschwerdevorbringen des Antragstellers unbeachtlich, er habe nicht gewußt, daß er einen steuerlich beachtlichen Tatbestand tangieren könne. Hinsichtlich der übrigen Waren ist nach der Aussage des Antragstellers in der bereits erwähnten Vernehmung davon auszugehen, daß er wußte oder zumindest hätte wissen müssen, daß es sich bei den übernommenen Waren um Zollgut gehandelt hat. Denn er hat damals ausdrücklich angegeben, daß ihm von M unversteuerte Zigaretten und Spirituosen angeboten worden seien. Dem Umstand, daß die Zigaretten unversteuert waren, mußte der Antragsteller entnehmen, daß es sich bei ihnen um nicht im freien Verkehr befindliche Waren, also um Zollgut gehandelt hat. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Antragsteller wußte, daß er mit der Übernahme der Waren weiterer Abgabenschuldner werden würde.
Soweit mit der Beschwerde geltend gemacht wird, die vom HZA in der Einspruchsentscheidung dargestellte Menge entspreche nicht der Wahrheit, der Antragsteller sei bei der Vernehmung eingeschüchtert und sich der Bedeutung dieser Angaben nicht bewußt gewesen, sieht der Senat dies als unsubstantiierte, unbeachtliche Schutzbehauptung an, die nicht geeignet ist, die in der Vernehmung vom Juni 1992 gemachten Mengenangaben des Antragstellers, die das HZA seiner Einspruchsentscheidung zugrunde gelegt hat, in Zweifel zu ziehen. Es ist nur zu verständlich, daß der Antragsteller in Anbetracht der Höhe der festgesetzten Abgaben nunmehr versucht, die ursprünglich angegebene Warenmenge zu mindern, um die Festsetzung eines niedrigeren Abgabenbetrages zu erreichen. Der Senat fühlt sich in seiner Annahme auch durch den Umstand bestätigt, daß der Antragsteller erst in der Beschwerde, also gut vier Jahre nach Ergehen des Steuerbescheides, eine gegenüber den diesem zugrunde gelegten Tatsachen abweichende Darstellung zu geben versucht.
Der Beschwerde ist nicht zu entnehmen, welche Erkenntnisse darüber hinaus aus der Strafakte zu gewinnen wären, deren Beiziehung der Antragsteller in der Beschwerdeschrift beantragt hat. Das Maß subjektiver Verantwortlichkeit ist für die abgabenrechtliche Inanspruchnahme des Antragstellers -- anders als im Strafverfahren -- ohne jede Bedeutung.
Anhaltspunkte dafür, daß die Abgaben für die angegebenen Warenmengen unzutreffend festgesetzt worden sein könnten, sind nicht vorgetragen worden und dem Senat auch nicht ersichtlich.
Angesichts all dessen hält es der Senat nach summarischer Prüfung aufgrund der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens nicht für wahrscheinlich, daß der Antragsteller den Beweis in seinem Sinne führen und mit der Klage obsiegen könnte. Das FG hat den PKH-Antrag deshalb im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Fundstellen
Haufe-Index 67436 |
BFH/NV 1998, 1394 |