Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgen der Nichtanfechtung eines nach Ergehen des FG-Urteils erlassenen Berichtigungsbescheides; Entscheidung über die Richtigkeit der vom FG gewählten Schätzungsmethode ist Rechtsfrage
Leitsatz (NV)
- Erläßt das FA nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils einen Bescheid, mit dem die Einspruchsentscheidung wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt wird, ist Gegenstand des Rechtsstreits aber zugleich ein verbösernder, nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ergangener Änderungsbescheid, so hat es auf den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde des FA keinen Einfluß, wenn der Berichtigungsbescheid nicht angefochten oder zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.
- Hat das FG aus rechtlichen Gründen eine andere Schätzungsmethode als das FA angewandt, so kann diese Entscheidung nur im Rahmen einer zugelassenen Revision und auch nur auf den Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze hin überprüft werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 129, 162; FGO §§ 96, 115 Abs. 2-3
Gründe
Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
I. Die Beschwerde der Klägerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist unzulässig.
Es kann dahinstehen, ob das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde bereits deshalb entfallen ist, weil die Klägerin den Sammelbescheid vom 22. Februar 1999 weder angefochten noch zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat (vgl. hierzu Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. März 1996 XI B 121/90, BFH/NV 1996, 630). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) die Steuerbescheide vom 5. und 29. August 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31. August 1993 in der Weise berichtigt, daß sie nunmehr "gem. § 164 Abs. 3 AO 1977" unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Die Beschwerde wendet sich, soweit die Streitjahre 1981 bis 1984 betroffen sind, gegen die Rechtmäßigkeit dieser Einspruchsentscheidung. Sofern man die Berichtigung nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) unter den Begriff der "Änderung" i.S. des § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) faßt (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerrichtsordnung, § 68 FGO Tz. 7), könnte die Präklusionswirkung des § 68 Satz 2 FGO eingreifen.
Die Frage bedarf indessen keiner abschließenden Entscheidung, weil die Klägerin Gründe für die Zulassung der Revision nicht in zulässiger Weise dargetan hat.
1. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), muß aus der Beschwerdebegründung hervorgehen, inwieweit die Bedeutung der streitigen Rechtsfrage über den konkreten Einzelfall hinausgeht und warum sie zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Fortentwicklung des Rechts notwendig ist (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rdnr. 61, m.w.N.).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht. Ist schon nicht nachzuvollziehen, was die Anwendung der für hinterzogene Steuern geltenden Verjährungsvorschriften mit dem für die Anwendbarkeit neuer Gesetze entwickelten Rückwirkungsverbot zu tun haben soll, so fehlt es jedenfalls an einer Darlegung, inwieweit das Urteil des Finanzgerichts (FG) eine Frage aufwirft, die in Rechtsprechung, Verwaltungspraxis oder Schrifttum umstritten ist und deshalb einer höchstrichterlichen Klärung bedürfte.
Dasselbe gilt für den Vortrag, das FG habe den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt, indem es von einer Steuerhinterziehung ausgegangen sei, ohne den Umstand (ausdrücklich) zu würdigen, daß das Strafverfahren gegen den Gesellschafter B mit einer Einstellung nach § 153a der Strafprozeßordnung (StPO) geendet habe.
2. Soweit eine Abweichung vom BFH-Urteil vom 27. März 1996 I R 182/94 (BFHE 180, 444, BStBl II 1997, 449) gerügt wird, ist eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO weder ordnungsgemäß dargelegt (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 63) noch liegt sie vor. Das FG hat die Verböserung in der Einspruchsentscheidung vom 31. August 1993 nicht deswegen für möglich gehalten, weil dem Ablauf der Festsetzungsfrist die Einlegung des Einspruchs entgegengestanden hätte (§ 171 Abs. 3 AO 1977), sondern weil der Ablauf der Festsetzungsfrist infolge der Außenprüfung gemäß § 171 Abs. 4 AO 1977 bis zu deren Auswertung gehemmt war.
II. Die Beschwerde des FA ist unbegründet.
1. Der Umstand, daß die Klägerin den Sammelbescheid vom 22. Februar 1999 weder angefochten noch zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat, hat auf den Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde des FA keinen Einfluß. Insbesondere kann aus diesem Umstand nicht gefolgert werden, das Interesse der Klägerin an einer Entscheidung des Rechtsstreits sei verlorengegangen. Gegenstand des Rechtsstreits sind in erster Linie die Änderungsbescheide vom 13. Juni 1995. Diese Steuerfestsetzungen werden durch den Sammelbescheid vom 22. Februar 1999, mit dem die Einspruchsentscheidung vom 31. August 1993 berichtigt wird, nicht "geändert oder aufgehoben". Sie sind vielmehr in ihrer seit Klageerhebung geltenden Fassung weiterhin Gegenstand des Rechtsstreites.
2. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
Bei der Prüfung eines Verfahrensmangels ist von der sachlich-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1992 IV R 109/90, BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 235, m.w.N.). Das FG hat es aus rechtlichen Erwägungen abgelehnt, die Umsätze der Klägerin in den Jahren 1985 bis 1989 anhand einer Schätzungsmethode zu ermitteln, die auf dem Vermögenszuwachs des Gesellschafters B beruht. Es hat insofern seine eigene, aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 158, 162 AO 1977 herrührende, Schätzungsbefugnis ausgeübt. Infolgedessen war es nicht auf die Überprüfung der vom FA für richtig gehaltenen Schätzungsmethode beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 39/87, BFHE 158, 301, BStBl II 1990, 109). Das FG hat die Wahl seiner Schätzungsmethode damit begründet, daß es im Streitfall ausschließlich um die Verhältnisse der klagenden OHG und nicht um die Verhältnisse ihres Gesellschafters gehe. Es sei nicht zwingend, daß der nicht geklärte Finanzierungsbedarf des Gesellschafters ausnahmslos aus Gewinnen der Klägerin habe gedeckt werden müssen. Vielmehr könne nicht ausgeschlossen werden, daß nicht alle Mieteinnahmen des Gesellschafters den Finanzbehörden gegenüber erklärt worden seien.
Diese Erwägungen gehören in den Bereich der rechtlichen Würdigung. Sie könnten vom BFH nur im Rahmen einer zugelassenen Revision und auch nur auf den Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze hin überprüft werden.
Legt man diesen rechtlichen Ausgangspunkt zugrunde, so kam es auf die Erhebung von Beweisen, die zur Bestätigung des vom FA angenommenen Vermögenszuwachses beim Gesellschafter führen sollten, nicht an.
Die anderen Gründe, die das FA dafür anführt, daß die vom FG vorgenommene Umsatzermittlung in einem durch den Verfahrensverlauf nicht gerechtfertigten Widerspruch zu seiner, des FA, Schätzung stehe, betreffen die Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht, die nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein können (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 28 f., m.w.N.).
2. Die Abweichung des FG-Urteils von Entscheidungen des BFH ist weder in zulässiger Weise dargetan noch liegt sie vor.
a) Das FA leitet aus den BFH-Urteilen vom 2. März 1982 VIII R 225/80 (BFH 136, 28, BStBl II 1984, 504) und vom 20. September 1973 IV R 236/69 (BFHE 110, 517, BStBl II 1974, 74) den abstrakten Rechtssatz her, daß schätzungsbegründende neue Umstände dann den Übergang zu einer anderen Schätzungsmethode rechtfertigen, wenn sie den Schluß zulassen, daß die bisherige Methode versagt. Die Richtigkeit dieses Rechtssatzes hat das FG nicht in Zweifel gezogen. Es hat die Umstände des Streitfalles vielmehr dahingehend gewürdigt, daß die vom FA in den Bescheiden vom 13. Juni 1995 angewandte Schätzungsmethode im Streitfall ungeeignet sei. Außerdem war das FG der Auffassung, daß die Immobiliengeschäfte des Gesellschafters B, aus denen das FA eine Umstellung der Schätzungsmethode herleiten will, ihm im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung bekannt gewesen seien.
b) Aus dem BFH-Urteil vom 19. Oktober 1971 VIII R 27/66 (BFHE 103, 404, BStBl II 1972, 106) leitet das FA den abstrakten Rechtssatz her, daß eine Tatsache auch dann neu sei, wenn sie im Bereich eines Mitunternehmers vorhanden gewesen, jedoch der Finanzbehörde wegen der unzureichenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht bekanntgeworden sei.
Dem FA ist es bereits nicht gelungen, den dem angeblichen Divergenzurteil zugrundeliegenden Rechtssatz korrekt wiederzugeben. Daß eine Tatsache, die der Finanzbehörde unbekannt ist, für diese neu i.S. des § 173 AO 1977 ist, ist eine Selbstverständlichkeit, die keiner Entscheidung durch den BFH bedurfte. Es ging in dem angeblichen Divergenzurteil vielmehr um die Frage, ob die Finanzbehörde eine ihr nicht bekannt gewesene Tatsache als bekannt gegen sich gelten lassen muß, wenn sie sie bei sorgfältiger Erfüllung ihrer Ermittlungspflichten hätte kennen können, und ob sich ein Steuerpflichtiger, der seinerseits seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, hierauf berufen kann. Letzteres hat der BFH in der angeblichen Divergenzentscheidung verneint.
Dem FG-Urteil liegt kein hiervon abweichender Rechtssatz zugrunde. Das FG war der Auffassung, daß dem FA bei Erlaß der Einspruchsentscheidung die wesentlichen Tatsachen, die es später zu seiner "Vermögenszuwachsrechnung" veranlaßte, bekannt gewesen seien. Es stellte sich dem FG also nicht die Frage, ob das FA ihm unbekannte Tatsachen als bekannt gegen sich gelten lassen mußte. Abgesehen davon scheitert eine Divergenz schon daran, daß das FG ―wie bereits unter 2. a ausgeführt― die Vermögenszuwächse beim Gesellschafter B für ungeeignet hielt, als Grundlage für eine Schätzung der Umsätze der Klägerin zu dienen.
3. Die nach Ablauf der Beschwerdefrist erhobene Rüge der Divergenz gegenüber dem BFH-Urteil vom 24. April 1991 XI R 28/89 (BFHE 164, 192, BStBl II 1991, 606) ist verspätet. Das ebenfalls als Divergenzentscheidung angeführte BFH-Urteil vom 4. Februar 1998 XI R 47/97 (BFH/NV 1998, 682) befaßt sich mit der Frage, wann eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO 1977 zugunsten des Steuerpflichtigen nicht in Betracht kommt, weil die maßgebliche Tatsache der Finanzbehörde infolge groben Verschuldens des Steuerpflichtigen erst nachträglich bekanntgeworden ist. Inwieweit das FG-Urteil von dieser Entscheidung abweichen soll, ist nicht nachvollziehbar.
Fundstellen