Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung bei Begründung einer Organschaft
Leitsatz (amtlich)
Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1993 findet auch dann statt, wenn eine Gesellschaft (mit steuerpflichtigen Umsätzen) für ein Wirtschaftsgut den vollen Vorsteuerabzug erhalten hat und später aufgrund der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 ihre Selbständigkeit zu Gunsten eines Organträgers mit nach § 15 Abs. 2 UStG 1993 steuerfreien Umsätzen verliert und ihr Unternehmen deshalb in dem Gesamtunternehmen des Organträgers (mit steuerpflichtigen und steuerfreien Umsätzen) aufgeht.
Normenkette
UStG 1993 §§ 15, 15a
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 30.08.2002; Aktenzeichen V 76/02, V 22/02) |
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist Rechtsnachfolgerin der M-GmbH. Diese wurde zum 1. Januar 1996 durch Formwechsel in die M-AG & Co. KG umgewandelt; die Antragstellerin war Komplementärin der M-AG & Co. KG ohne Beteiligung an deren Gesellschaftsvermögen. Zum 1. Juli 1996 brachte der Kommanditist M seine 100 %ige Beteiligung an der M-AG & Co. KG in die Komplementärin (Antragstellerin) ein; diese ist dadurch Gesamtrechtsnachfolgerin der M-GmbH geworden.
In das Unternehmen der o.g. Gesellschaften (M-GmbH und deren Rechtsnachfolger) waren in den Streitjahren 1995 und 1996 die A-GmbH und B-GmbH finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eingegliedert.
Bis zum 31. Dezember 1994 waren diese Gesellschaften selbständig gewesen; sie hatten nur umsatzsteuerpflichtige Umsätze ausgeführt. Für die bis Ende 1994 angeschafften Wirtschaftsgüter erhielten sie deshalb den vollen Vorsteuerabzug.
Im Zuge einer Außenprüfung gelangte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) zu dem Ergebnis, die Vorsteuer sei nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) zu berichtigen, soweit die bis zum 31. Dezember 1994 mit vollem Vorsteuerabzug angeschafften Wirtschaftsgüter der Organgesellschaften A-GmbH und B-GmbH in den Streitjahren zur Durchführung innerorganschaftlicher Umsätze verwendet wurden. Das FA schätzte die auf die Streitjahre entfallende Verwendungsänderung der Wirtschaftsgüter an Hand des Verhältnisses der innerorganschaftlichen (und damit zu steuerfreien Außenumsätzen der Organträger führenden) Leistungen zu den steuerpflichtigen Außenumsätzen, die von der A-GmbH und der B-GmbH ausgeführt wurden. Dies ergab für das Jahr 1995 eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG 1993 in Höhe von 107 554,90 DM und von 102 343 DM für das Jahr 1996 (Umsatzsteuerbescheid vom 23. Januar 2001 für 1995 und vom 27. April 2001 für 1996).
Die Antragstellerin legte gegen die Steuerbescheide Einspruch ein; der Einspruch gegen den Steuerbescheid für 1995 ist noch nicht beschieden; der Einspruch gegen den Steuerbescheid für 1996 wurde zurückgewiesen; die Antragstellerin hat daraufhin Klage erhoben, die beim Finanzgericht (FG) anhängig ist.
Im Rahmen der Einspruchsverfahren hatte die Klägerin zunächst beim FA die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Bescheide beantragt. Nachdem das FA die beantragte AdV abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin beim FG die AdV der Umsatzsteuerbescheide 1995 und 1996 in Höhe der vorgenannten Beträge. Auch diese Anträge hatten keinen Erfolg (Beschlüsse vom 30. August 2002 V 76/02 und V 22/02).
Hiergegen richten sich die vom FG zugelassenen Beschwerden. Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidungen die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 1995 in Höhe von 107 554,90 DM nebst Zinsen und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 1996 in Höhe von 102 343 DM nebst Zinsen auszusetzen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Verbindung der Beschwerdeverfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
2. Die Beschwerden sind unbegründet.
a) Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf AdV eines Steuerbescheides unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bestehen oder ―wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen― wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
b) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide.
Die streitige Berichtigung des Vorsteuerabzugs beruht auf § 15a UStG 1993. Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift hat folgenden Wortlaut: "Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von fünf Jahren seit dem Beginn der Verwendung, so ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen."
Das FG hat die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift zu Recht bejaht: Die A-GmbH und die B-GmbH waren bis Ende 1994 umsatzsteuerlich selbständige Unternehmen, die ausschließlich steuerpflichtige Umsätze ausführten und deshalb unbeschränkt vorsteuerabzugsberechtigt waren. Seit 1995 sind sie unselbstständige Teile des Organkreises der M-GmbH und ihrer Rechtsnachfolger. Die von der A-GmbH und B-GmbH angeschafften Wirtschaftsgüter wurden seitdem im Gesamtunternehmen der Organträgerin zur Ausführung von teils steuerpflichtigen, überwiegend aber steuerfreien Umsätzen verwendet. Die steuerfreien Umsätze schließen den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 aus. Dadurch haben sich die nach § 15a Abs. 1 UStG 1993 maßgeblichen Verhältnisse geändert.
Die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1993 setzt nicht notwendig voraus, dass sich die Verhältnisse bei dem Unternehmer ändern, der die Wirtschaftsgüter ursprünglich abgeschafft hat. So tritt z.B. auch bei der Geschäftsveräußerung der erwerbende Unternehmer gemäß § 1 Abs. 1 a UStG 1993 an die Stelle des Veräußerers, so dass eine Vorsteuerberichtigung auch dann stattfindet, wenn sich die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse beim erwerbenden Unternehmer gegenüber den Verhältnissen beim Veräußerer geändert haben. Ähnlich ist es, wenn eine Gesellschaft aufgrund der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1993 ihre Selbständigkeit verliert und ihr Unternehmen deshalb in dem Gesamtunternehmen des Organträgers aufgeht.
Für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1993 sind die Außenumsätze des Unternehmens maßgeblich, in dessen Rahmen die Wirtschaftsgüter verwendet werden. Das waren im Streitfall die Außenumsätze des Gesamtunternehmens des Organträgers, nachdem die A-GmbH und die B-GmbH ihre Selbständigkeit an die M-GmbH und ihre Rechtsnachfolger verloren hatten. Die Innenumsätze an die Organträger sind allenfalls insofern von Bedeutung, als mit ihrer Hilfe möglicherweise festgestellt werden kann, inwieweit die Wirtschaftsgüter der Organtöchter für die Außenumsätze des Gesamtunternehmens verwendet werden.
FA und FG sind deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsgüter, die von der A-GmbH und der B-GmbH ursprünglich ausschließlich für steuerpflichtige Umsätze verwandt wurden, in den Streitjahren zum Teil für steuerpflichtige und zum Teil für steuerfreie Ausgangsumsätze des Organträgers verwandt wurden. Die dagegen dem Grunde nach geltend gemachten Einwendungen der Antragstellerin sind nicht begründet. Die betragsmäßige Zurechnung zu den steuerfreien und steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen des Gesamtunternehmens ist nicht streitig. Der Senat braucht deshalb hierzu auch nicht näher Stellung zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 951297 |
BFH/NV 2003, 1133 |
BStBl II 2003, 783 |
BStBl II 2003, 784 |
BFHE 202, 88 |
DB 2003, 1557 |
DStR 2003, 1292 |
HFR 2003, 897 |