Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Recht auf Gehör, Erörterungspflicht, Begründung der richterlichen Überzeugung; Entlastungsbeweis bei Widerruf der Bestellung als Steuerbevollmächtigter wegen Vermögensverfalls
Leitsatz (NV)
- Zur erfolgreichen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör wegen nicht ausreichender Vorbereitungszeit für eine Stellungnahme gehört der Vortrag, dass die nicht ausreichende Vorbereitungszeit in der Vorinstanz ‐ spätestens in der mündlichen Verhandlung ‐ gerügt worden ist oder dass und weshalb eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich war.
- Die Pflicht des Gerichts zur Erörterung der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit den Beteiligten bedeutet nicht, dass das Gericht alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erschöpfend mit den Beteiligten erörtern müsste.
- Zur Frage, inwieweit das Urteil die Gründe angeben muss, die für die richterliche Überzeugungsbildung maßgebend gewesen sind.
- Nach der Rechtsprechung des BFH ist im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG der Schluss darauf, dass Interessen der Auftraggeber des Betroffenen konkret gefährdet sind, aus der Tatsache, dass er Lohn- und Umsatzsteuer nicht abgeführt hat, möglich.
Normenkette
FGO § 93 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; StBerG § 46 Abs. 2 Nr. 4; ZPO § 295
Tatbestand
I. Die Oberfinanzdirektion hat die Bestellung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) als Steuerbevollmächtigter mit der angefochtenen Verfügung widerrufen, weil der Kläger die eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse abgegeben hatte sowie in das Schuldnerverzeichnis eingetragen worden war und damit der Eintritt des Vermögensverfalls gesetzlich vermutet wurde (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 157 Abs. 6 des Steuerberatungsgesetzes). Mit seiner dagegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, Interessen der Mandanten seien durch seine wirtschaftliche Lage nicht gefährdet. Zum einen bestünden keine eigenen Mandate, sondern nur Mandate der Sozietät, in der er sich befinde. Zum anderen könne weder er noch die Sozietät auf Mandantengelder zugreifen, weil keine Treuhandkonten geführt und keine Fremdgelder oder Vorschüsse entgegen genommen würden. Nach einer Aufstellung des Finanzamtes bestanden zu diesem Zeitpunkt Rückstände an Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von … DM.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Klage sei unbegründet. Es führte u.a. aus, der Widerruf sei auch materiell rechtmäßig, weil die Voraussetzungen für den Widerruf zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vorgelegen hätten und auch in der mündlichen Verhandlung keine Umstände erkennbar geworden seien, die dafür sprächen, dass der Kläger alsbald wieder zum Steuerbevollmächtigten zuzulassen wäre. Dem Kläger sei es nicht gelungen, den Beweis zu führen, dass die Interessen seiner Auftraggeber durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind. Den angebotenen Beweisen über die geschäftlichen Beziehungen des Klägers habe das FG nicht nachzugehen brauchen, weil sich die Gefährdung der Interessen der Auftraggeber daraus ergebe, dass der Kläger nach der vorliegenden Aufstellung des Finanzamts Umsatzsteuer in Höhe von … DM und Lohnsteuer in Höhe von insgesamt … DM sowie Verspätungszuschläge zur Lohnsteuer für insgesamt sechs Voranmeldungszeiträume schulde. Dies spreche nach der zitierten Rechtsprechung des FG und des Bundesfinanzhofs (BFH) dafür, dass eine Gefährdung der Interessen der Auftraggeber gegeben sei.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision, er rügt Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und hält eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts für notwendig (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (die Steuerberaterkammer ―StBerK―) hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die angeführten Zulassungsgründe liegen entweder nicht vor oder sind nicht ausreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. a) Soweit der Kläger eine Verletzung seines Rechts auf Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) darin sieht, dass er sich zu den in der Aufstellung des Finanzamts aufgeführten Steuerrückständen mangels ausreichender Vorbereitungszeit nicht habe äußern können und auch nicht zur Stellungnahme aufgefordert worden sei, ist der damit behauptete Verfahrensfehler nicht ausreichend dargelegt. Denn da es sich bei der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs um einen sog. verzichtbaren Verfahrensmangel handelt (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung, vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727; vom 22. September 1994 IV R 61/93, BFHE 176, 350, 357, BStBl II 1995, 367, und vom 3. Juni 1992 II B 192/91, BFH/NV 1993, 34; siehe auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 94, § 116 Rz. 49), hätte der Kläger in der Beschwerdeschrift u.a. auch vortragen müssen, dass die nicht ausreichende Vorbereitungszeit in der Vorinstanz ―spätestens in der mündlichen Verhandlung― gerügt worden ist oder dass und weshalb ihm eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich war (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juni 1991 II B 180/90, BFH/NV 1992, 397). Dazu enthält die Beschwerdeschrift indes keine Ausführungen. Im Übrigen bedeutet der Umstand, dass dem Kläger die Aufstellung über seine Steuerschulden zur Kenntnis und nicht zur Stellungnahme zugesandt wurde, keine Verletzung des Rechts auf Gehör, weil es dem Kläger auch ohne eine entsprechende Aufforderung freigestanden hätte, sich zu den mitgeteilten Steuerschulden zu äußern.
b) Zu Unrecht sieht der Kläger darin, dass ein Hinweis des Gerichts darauf unterblieben sei, dass Steuerrückstände bei bestimmten Steuerarten nach der Rechtsprechung des angerufenen Gerichts, die er nicht gekannt habe, zu einem Ausschluss des Entlastungsbeweises führen könnten, eine Verletzung der nach § 93 Abs. 1 FGO bestehenden Erörterungspflicht des FG. Zwar ist das Gericht nach der genannten Vorschrift verpflichtet, die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit den Beteiligten zu erörtern. Das bedeutet aber nicht, dass das Gericht alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erschöpfend mit den Beteiligten erörtern müsste. So ist ein Hinweis auf offensichtlich erhebliche Rechtsfragen nicht erforderlich (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rz. 3).
Nach der Rechtsprechung nicht nur des FG (Urteil vom 14. September 1999 13 K 1382/99, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 969), sondern auch des BFH (Urteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99, BFH/NV 2001, 69) ist nicht nur bei vorhandenen Lohn-, sondern auch bei bestehenden Umsatzsteuerschulden des Betroffenen davon auszugehen, dass die Interessen seiner Auftraggeber gefährdet sind, weil der Betroffene auch im Falle nicht abgeführter Umsatzsteuern Gelder, die ihm wirtschaftlich nicht zustehen, für eigene Zwecke verbraucht hat. Da diese Entscheidungen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits veröffentlicht waren, konnte das Gericht sie bei dem Kläger als bekannt voraussetzen und brauchte ihn deshalb darauf nicht besonders hinzuweisen. Denn das FG durfte davon ausgehen, dass der Kläger als Steuerbevollmächtigter die einschlägige berufsrechtliche Rechtsprechung kannte.
Daher kann offen bleiben, ob der Vorsitzende, wie der Vertreter der StBerK in seinem Schriftsatz anführt, die Frage der Steuerschulden in der mündlichen Verhandlung ausführlich angesprochen und erörtert hat, oder, wie der Kläger rügt, ein Hinweis darauf, dass das Bestehen angeblicher Rückstände von Umsatzsteuer und einbehaltener Lohnsteuer den Entlastungsbeweis abschneide, unterblieben ist.
c) Schließlich liegt auch der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler, dass das Urteil unter Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO nicht die Gründe enthalte, die für die richterliche Überzeugungsbildung maßgebend gewesen sind, nicht vor.
Der Kläger sieht einen solchen Verfahrensmangel darin, dass das FG zur Begründung seiner Überzeugung, dass bestehende Lohn- und Umsatzsteuerschulden des Steuerbevollmächtigten auf eine Gefährdung der Interessen seiner Auftraggeber schließen lasse, auf das Urteil des BFH vom 4. April 2000 VII R 24/99 (BFH/NV 2000, 1141) Bezug genommen habe, das Umsatzsteuerschulden überhaupt nicht erwähne. Außerdem sei das in Bezug genommene Urteil des FG nicht bekannt gegeben worden. Dieser Umstand rechtfertigt aber nicht den Vorwurf, dass die richterlich gewonnene Überzeugung nicht begründet worden sei.
Es ist zwar richtig, dass sowohl das genannte BFH-Urteil als auch das ihm im Instanzenzug vorangegangene Urteil des FG vom 4. Dezember 1998 13 K 2382/98 (EFG 1999, 584) nur Lohnsteuer-, nicht aber Umsatzsteuerschulden erwähnen. Gleichwohl enthalten sie aber Gründe dafür, die jedenfalls im Hinblick auf die bestehenden Lohnsteuerschulden auch im Streitfall die Überzeugungsbildung des FG begründen. Den Mangel, dass das FG die Fundstelle seiner in Bezug genommenen eigenen Entscheidung nicht genannt hat, sieht der Senat als unerheblich an, weil die Fundstelle durch allgemein zugängliche Hilfsmittel (juris-Datenbank) leicht hätte ermittelt werden können und im Übrigen das das FG-Urteil bestätigende Urteil des BFH entsprechende Ausführungen enthielt.
d) Der vom Kläger schließlich gerügte Verfahrensfehler mangelnder Sachverhaltsaufklärung ist nicht entscheidungserheblich und kann deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen. Der Kläger sieht einen solchen Fehler darin, dass das FG bei den Lohnsteuerschulden, ohne dies näher aufzuklären, davon ausgegangen sei, dass es sich um vom Kläger einbehaltene Lohnsteuer und nicht um eine Pauschalsteuer gehandelt habe. Da das FG seine Überzeugung, dass Interessen der Auftraggeber des Klägers gefährdet seien, aber außer mit dem Hinweis auf die bestehenden Lohnsteuerschulden auch mit den vorhandenen Umsatzsteuerschulden begründet hat, hat die angefochtene Entscheidung des FG selbst dann Bestand, wenn die Art der bestehenden Lohnsteuerschulden unaufgeklärt geblieben sein sollte.
2. Der Kläger misst der Sache hinsichtlich der Fragen
a) "Ist der Widerruf der Bestellung zum Steuerberater/-bevollmächtigten immer schon dann zwingend vorgeschrieben, weil ein Entlastungsbeweis im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG unmöglich ist, wenn der Steuerberater Rückstände irgendwelcher betrieblicher Steuern (Lohnsteuer, Umsatzsteuer) oder Einkommensteuer hat, oder setzt der Ausschluss des Entlastungsbeweises voraus, dass aufgrund der Eigenart der betrieblichen Steuer (Erfüllung fremder Steuerschulden) ein Rückschluss auf Unredlichkeit bei der Wahrung fremder Interessen möglich ist bzw. zusätzlich anderes vertragswidriges Verhalten gegenüber Auftraggebern bereits vorgekommen ist?"
b) "Kann der Entlastungsbeweis dadurch wieder eröffnet werden, dass hinsichtlich der Steuerschulden, die nicht als Indiz für eine Unredlichkeit des Steuerberaters in fremden Angelegenheiten herangezogen werden müssen, mit der Finanzverwaltung ein Schuldentilgungskonzept vereinbart wird?"
zu Unrecht grundsätzliche Bedeutung bei.
Der unter Buchst. a genannten Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie, soweit im Streitfall erheblich, geklärt ist. Denn nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFH/NV 2001, 69) ist der Schluss darauf, dass Interessen der Auftraggeber des Betroffenen konkret gefährdet sind, aus der Tatsache, dass er Lohn- und Umsatzsteuer nicht abgeführt hat, möglich.
Die unter Buchst. b genannte Frage ist im Streitfall nicht klärungsfähig, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass ein Schuldentilgungskonzept mit der Finanzverwaltung hinsichtlich der bestehenden Steuerschulden in Aussicht stand.
3. Der Senat vermag den diesbezüglichen Ausführungen der Nichtzulassungsbeschwerde keine Gründe zu entnehmen, aus denen eine Entscheidung der Sache durch den BFH zur Fortbildung des Rechts notwendig erscheinen könnte.
Fundstellen
Haufe-Index 838691 |
BFH/NV 2002, 1498 |