Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchsetzbarkeit eines Erstattungsanspruchs
Leitsatz (NV)
Wird für die Entstehung eines Steuererstattungsanspruchs auf die materielle Rechtslage abgestellt, entsteht der Erstattungsanspruch, sobald eine Steuer über die materielle Rechtslage hinaus gezahlt wird; gleichwohl ist der Erstattungsanspruch solange nicht durchsetzbar, wie eine wirksame Steuerfestsetzung entgegensteht und diese noch nicht oder nicht rechtzeitig durch Aufhebung oder Änderung der materiellen Rechtslage angepasst worden ist.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 2, § 218 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) und sein Bruder waren durch Testament vom 20. Februar 1976 zu je 1/2 als Vorerben ihres 1981 verstorbenen Onkels (Erblasser) eingesetzt worden. Der Erblasser hatte außerdem Testamentsvollstreckung angeordnet und in § 13 des Testaments zusätzlich verfügt, dass die Brüder ein bestimmtes Grundstück, das Anwesen X, je zur Hälfte als Vorausvermächtnis erhalten sollten. Aufgrund dieses Testaments sowie eines entsprechenden gemeinschaftlichen Erbscheins und einer vorläufigen Erbschaftsteuererklärung des Testamentsvollstreckers erließ die damals zuständige Steuerbehörde am 6. April 1984 einen gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vollen Umfangs vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid gegen den Kläger, mit dem sie die Steuer auf … DM festsetzte. Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten des Testamentsvollstreckers, der auch die Steuererklärung erstellt und eingereicht hatte, bekannt gegeben und die Steuer sodann durch den Testamentsvollstrecker aus dem Nachlass entrichtet.
Als 1986 ein handschriftlicher Nachtrag vom November 1978 zu dem genannten Testament aufgefunden wurde, der dessen § 12 über die Erbeinsetzung dahin änderte, dass der Bruder alleiniger Vorerbe sein solle, zog das Amtsgericht den alten Erbschein ein und erließ einen nur noch den Bruder als Vorerben ausweisenden neuen. Der Testamentsvollstrecker sowie der mittlerweile zuständig gewordene Beklagte (das Finanzamt ―FA―) verstanden den Nachtrag dahin, dass der Kläger Vermächtnisnehmer bezüglich des hälftigen Anteils am Anwesen X geblieben sei. Infolge dessen setzte das FA die Erbschaftsteuer für den Kläger durch gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 geänderten und für endgültig erklärten Bescheid vom 9. Mai 1989, den es wiederum dem Bevollmächtigten des Testamentsvollstreckers bekannt gab, auf … DM herab. Die sich daraus ergebende Überzahlung wurde dem Testamentsvollstrecker durch Umbuchung auf die erhöhte Erbschaftsteuer für den Bruder erstattet.
Im Juni 1992 wandte sich der Kläger an das FA, ihm die verbliebene Erbschaftsteuer von … DM zu erstatten. Unter Bezugnahme auf den neuen Erbschein, der wie zuvor der eingezogene ausdrücklich darauf hinwies, dass sich das Recht der Nacherben nicht auf das Anwesen X erstrecke, vertrat er die Ansicht, aufgrund des Nachtragstestaments weder Erbe noch Vermächtnisnehmer geworden zu sein. Demzufolge habe er durch das Ableben des Erblassers nichts von Todes wegen erworben und sei insoweit keine Erbschaftsteuer entstanden. Das FA lehnte eine Erstattung durch Abrechnungsbescheid vom 4. Februar 1993 ab, in dem es mitteilte, die durch den endgültigen Bescheid festgesetzte Steuer sei ausgeglichen.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, den Abrechnungsbescheid dahin zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch von … DM festgesetzt werde. Dazu trug er ergänzend vor, der endgültige Bescheid vom Mai 1989 sei ihm gegenüber nicht wirksam geworden. Zugleich beantragte er, ihm für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beifügung des bereits von ihm bestellten Prozessbevollmächtigten als Vertreter zu gewähren. Den Antrag lehnte das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 22. September 1999 1 K 1717/93 ab. Es hielt die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für unvollständig, da die darin angegebenen Einkünfte bereits weitgehend durch die ebenfalls genannte Miete aufgezehrt werden und unklar sei, wovon der Kläger den Lebensunterhalt für seine Familie bestreite. Im Übrigen biete die Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Es kann auf sich beruhen, ob der Kläger vollständige Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Zutreffend ist jedenfalls die Ansicht des FG, dass die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet. Schon dies allein musste zur Ablehnung des Antrags auf PKH führen.
Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussichten auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg besteht (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 8. Juni 1995 IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64). Daran fehlt es im Streitfall.
Ein Erstattungsanspruch, über dessen Bestehen durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 entschieden werden könnte, setzte nach § 37 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO 1977 voraus, dass eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden oder der rechtliche Grund für die Zahlung später weggefallen ist. Ob sich das Vorhandensein eines rechtlichen Grundes nach der materiellen Rechtslage ―also hier nach den Vorschriften des Erbschaftsteuergesetzes 1974― oder nach der formellen Bescheidlage bestimmt, ist umstritten, bedarf aber im Streitfall keiner Entscheidung. Auch dann, wenn auf die materielle Rechtslage abgestellt wird und der Erstattungsanspruch somit abstrakt entsteht, sobald eine Steuer über die materielle Rechtslage hinaus gezahlt wird, ist dieser Anspruch gleichwohl solange nicht durchsetzbar, wie eine wirksame Steuerfestsetzung entgegensteht und diese noch nicht oder nicht rechtzeitig (§ 169 Abs. 1 Satz 1, § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) durch Aufhebung oder Änderung der materiellen Rechtslage angepasst worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 II R 56/94, BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796, 798, sowie Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 6. Aufl. 1998, § 37 Anm. 3).
Nach den Feststellungen des FG liegt aber mit dem ursprünglichen vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid vom 6. April 1984 noch eine wirksame Steuerfestsetzung vor, die trotz des späteren endgültigen Bescheides vom 9. Mai 1989 wegen dessen Bekanntgabemangels fortbesteht und die Verwirklichung des Erstattungsanspruchs als umgekehrten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis hindert (§ 218 Abs. 1 AO 1977).
Ob die Klage auch deshalb keine Erfolgsaussichten hat, weil eine Erstattung der Erbschaftsteuer an den Testamentsvollstrecker in den Nachlass oder nach Beendigung der Testamentsvollstreckung an den (Vor-)Erben zu geschehen hätte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 1986 II R 38/84, BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704, unter II. 2. c), kann offen bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 447449 |
BFH/NV 2001, 140 |