Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft
Leitsatz (NV)
Eine Gewinnschätzung erweist sich erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt; wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (Anschluss an BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259).
Normenkette
AO 1977 § 162
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in den Streitjahren (1990 bis 1995) als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger bewirtschaftete zunächst als Pächter und nach dem Tod seiner Eltern als Eigentümer einen Gemüsebaubetrieb. Die Produkte vermarktet er zum Teil auf einem Wochenmarkt. Den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft ermittelte der Kläger für die Streitjahre nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG). In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab er die Betriebsgröße mit 8 ha landwirtschaftlicher Nutzung und 1 ha Gemüsebau an. Unter Vorbehalt der Nachprüfung wurden die Einkünfte in den Streitjahren erklärungsgemäß mit jeweils 11 675 DM berücksichtigt.
Auf der Grundlage einer vom Kläger erklärten Gemüseanbaufläche von 3 ha und einer Nutzungsfläche unter Glas von 250 qm wies der für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft ergangene Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1974 einen Vergleichswert für Gemüseanbau von 24 545 DM aus. Nach einer Aufstellung, die der Kläger am 29. Dezember 1976 einem Antrag auf Wertfortschreibung zum 1. Juli 1974, 1. Juli 1975 und zum 1. Juli 1976 beigefügt hatte, wurden je 0,25 ha Zwiebeln, Porree, Möhren, Bohnen, Sellerie, Blumen-, Rosen-, Weiß-, Rot- und Grünkohl sowie Wirsing, ferner je 0,125 ha Kohlrabi und Salat sowie ―beschränkt auf den 1. Januar 1976― 0,25 ha Früh- und 0,5 ha Spätkartoffeln angebaut. Eine im Beisein des Klägers vom amtlichen landwirtschaftlichen Sachverständigen des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) im Mai 1978 durchgeführte Ortsbesichtigung ergab, dass der Betrieb immer eine Gemüseanbaufläche von 3 ha haben werde und dass deshalb ein ertragsteuerlicher Ansatz von 2 bis 3 ha angemessen sei. Im Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1978 wurden die Flächen für den "Gemüse-, Blumen- und Zierpflanzenbau" unter Ablehnung einer Wertfortschreibung weiterhin mit 3 ha berücksichtigt.
Nach Zurechnungsfortschreibungen auf die Mutter des Klägers und diesen selbst wurde der Kläger im Dezember 1988 und März 1989 vergeblich aufgefordert, eine Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1988 abzugeben. Der vom FA beauftragte amtliche landwirtschaftliche Sachverständige stellte daraufhin im Juli 1989 fest, dass von einer insgesamt bewirtschafteten Fläche von 6,775 ha auf 2 ha Gemüsebau gärtnerisch betrieben wurde. Dies führte zu einer Herabsetzung des Vergleichswerts für Gemüsebau auf 18 577 DM. Wie dem Kläger durch Bescheid vom 10. Oktober 1989 mitgeteilt wurde, unterblieb eine Wertfortschreibung, weil die Wertfortschreibungsgrenzen (wieder) nicht erreicht waren.
Im Dezember 1996 fand eine Betriebsprüfung für die Jahre 1989 bis 1991 statt. Der Kläger legte für den Gemüsebau weder Gewinnermittlungen noch Aufzeichnungen vor. Hinsichtlich sonstiger Unterlagen berief er sich auf fehlende Aufbewahrungspflichten. Der Prüfer schätzte daraufhin den Gewinn aus der Sondernutzung Gemüsebau nach den von der Oberfinanzdirektion (OFD) Köln aufgestellten Richtsätzen, die für überwiegenden Freilandgemüseanbau Einnahmen zwischen 40 000 DM und 80 000 DM je ha und einen Reingewinn von 30 bis 65 % der Einnahmen vorsehen, und ging dabei von einer Anbaufläche von 2 ha und Einnahmen von 40 000 DM je ha aus, die zu 60 % angesetzt einen Gewinn von 48 000 DM ergaben. Für die Wirtschaftsjahre ab 1989/ 90 wurde danach ein Durchschnittssatzgewinn von 58 593 DM angesetzt; die Einkommensteuerbescheide für die der Betriebsprüfung zugrunde liegenden Veranlagungszeiträume 1989 bis 1991 wurden entsprechend geändert. Danach entfiel zum 31. Dezember 1990 auch die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer, weil die Gewinnerhöhung für 1990 den Verlustabzug verbrauchte.
Ausgehend von gleichbleibenden Verhältnissen nahm das FA mangels Vorlage entsprechender Aufzeichnungen und Erklärungen auch für die folgenden Wirtschaftsjahre 1991/92 bis 1995/96 einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 58 593 DM an und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen 1992 bis 1995 entsprechend. Mit Verfügung vom 9. Juni 1997 wurde der Kläger im Übrigen zur Buchführung ab 1. Juli 1998 aufgefordert, weil der Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1995/96 mehr als 48 000 DM betragen habe.
Die Kläger erhoben gegen die Einkommensteuerbescheide 1989, 1994 und 1995 sowie gegen die Aufforderung zur Buchführung eine Untätigkeitsklage und fochten die Einkommensteuer 1994 zusätzlich mit der Sprungklage an. Später bezogen sie im Wege der Klageänderung, hilfsweise einer Sprungklage, die Einkommensteuerbescheide 1990 bis 1993 sowie die Verlustfeststellung 1991 und 1992 in das Verfahren ein. Das FA stimmte den Sprungklagen nicht zu, sondern behandelte sie als Einsprüche, die als unbegründet zurückgewiesen wurden. Nach Ergehen der Einspruchsentscheidung stellten die Kläger in dem Verfahren der Untätigkeitsklage einen Antrag auf Klageänderung hinsichtlich der Einkommensteuer 1989 bis 1993 und der Verlustfeststellung 1990, erhoben insoweit aber zugleich hilfsweise Klage. Hinsichtlich der Einkommensteuer 1994 und 1995 sowie der Buchführungsaufforderung erklärten sie die Einspruchsentscheidung zum Gegenstand des Verfahrens. Das FA stimmte der Klageänderung nicht zu.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt sie zwar für zulässig, aber nicht für begründet und führte dazu im Wesentlichen aus:
Das FA sei zur Schätzung der Sondergewinne befugt gewesen. Der Einwand der Kläger, die Flächengröße sei unzutreffend, dringe nicht durch, denn eine insoweit evtl. bestehende Unklarheit gehe zu Lasten des Klägers, der seine Mitwirkungspflichten ständig verletzt habe. Zwar liege die objektive Beweislast insoweit bei der Finanzverwaltung; eine Entscheidung nach der Feststellungslast sei aber nicht geboten, weil sich die Aufklärungspflicht des FA bei grober, nachhaltiger Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen mindere. Der Kläger aber habe seine steuerlichen Erklärungspflichten nachhaltig verletzt. Soweit er in seiner Aufstellung aus 1978 eine Brachfläche von 1,9 ha ausgewiesen habe, handele es sich um eine Momentaufnahme, die nicht ausschließe, dass auch auf dieser Fläche Gemüsebau betrieben worden sei. Ein Anbauverzeichnis sei nicht geführt worden. Auch seien die Angaben des Klägers widersprüchlich, denn in den Erklärungen zur Einheitsbewertung sei der Gemüseanbau mit 3 ha ausgewiesen, ohne dass erkennbar gewesen sei, dass hierin ein landwirtschaftlicher Gemüsebau enthalten sei. Auch die weit zurückliegenden Angaben seien verwertbar, weil der Kläger den Hof bereits seit 1976 bewirtschafte, ohne einen wesentlichen Strukturwandel geltend gemacht zu haben.
Der bloße Einwand, das FA unterscheide nicht zwischen Grob- und Feingemüse, entlaste den Kläger nicht von seiner Mitwirkungs- und Erklärungspflicht. Es reiche nicht aus, eine Gemüsebaunutzung von 3 ha anzugeben und schlicht zu behaupten, etwa 2 ha seien der landwirtschaftlichen Nutzung zuzuordnen. Insoweit fehle es an konkreten Angaben dazu, was tatsächlich in den Streitjahren angebaut worden sei. Der Aufforderung des FA, anhand entsprechender Verkaufsrechnungen einen landwirtschaftlich ausgerichteten Gemüseanbau zu belegen, sei der Kläger nicht nachgekommen. Ob die Unterscheidung des landwirtschaftlichen vom gärtnerischen Gemüseanbau bei Selbstvermarktung tragfähig sei, könne ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die in den Richtlinien herausgestellte Anbaumethode als solche von ausschlaggebender Bedeutung sei (Hinweis auf Niedersächsisches FG vom 6. Juni 1989, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1989, 558, rkr.). Das FA habe seiner Schätzung daher eine gärtnerische Nutzung von 2 ha zugrunde legen und dazu auf Richtwerte zurückgreifen dürfen. Im Ergebnis bestünden auch keine Bedenken, dass sich das FA beim Reingewinnsatz am oberen Ende der Richtwerte orientiert habe, nachdem es bei den Einnahmen den niedrigsten Erfahrungswert gewählt habe.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Die Kläger haben dagegen Beschwerde eingelegt und das Urteil des FG gleichzeitig mit der Revision angegriffen.
Die Revision begründen sie damit, dass das angefochtene Urteil nicht i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Gründen versehen sei. Die Entscheidungsgründe fehlten, wenn die Beteiligten keine Möglichkeit hätten, die Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, weil das FG seine rechtlichen Überlegungen nicht kundgetan habe. Im Streitfall fehle nicht nur jegliche Begründung zu wesentlichen Sachverhalts- und Problemkomplexen; es sei auch nicht erkennbar, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundeliege oder auf welche rechtliche Erwägungen die Entscheidung gegründet sei. Während der Tatbestand der Vorentscheidung noch einigermaßen verständlich sei, gehe das FG in seinen Entscheidungsgründen "auf die wesentlichen Bereiche nicht ein" und übergehe damit wesentlichen, im Tatbestand aufgeführten Vortrag, der ein wesentliches Beweismittel darstelle. Eine Rechtsgrundlage dafür, dass für die Feststellung der Erträge aus Sondernutzungen ein Einheitswertbescheid maßgeblich sei, werde nicht angeführt. Maßgebend sei auch nicht der Einheitswert, sondern die tatsächliche Nutzung. Dies werde offenbar, wenn ein reiner Gemüsebaubetrieb, für den ein entsprechender Einheitswertbescheid ergangen sei, seine Nutzung auf Kartoffel- oder Getreideanbau umstelle. Schließlich habe das FG zur "Ermessensausübung im Rahmen der Schätzung" keine Stellung genommen und das Urteil auch insoweit nicht mit Gründen versehen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht statthaft (§ 124 Abs. 1 FGO) und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Abweichend von § 115 Abs. 1 FGO findet nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der erkennende Senat durch Beschluss vom heutigen Tag (IV B 102/99) zurückgewiesen.
2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 FGO liegt nach dem Vorbringen der Kläger nicht vor. Die Kläger haben den geltend gemachten Mangel, das angefochtene Urteil sei nicht i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO begründet, schon nicht schlüssig gerügt.
Allerdings ist ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht nur dann gegeben, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet, sondern auch dann, wenn es bei seiner Begründung lediglich inhaltslose oder unverständliche Wendungen niederschreibt, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist, und die eine Überprüfung des Rechtsstandpunkts nicht ermöglichen (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 12. Juni 1996 IV R 45/95, BFH/NV 1996, 918, m.w.N., und vom 25. November 1997 IV R 44/97, BFH/NV 1998, 1100). Das gilt ferner, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffsmittel mit Stillschweigen übergeht. Dagegen ist die Rüge nicht schlüssig, wenn der angebliche Begründungsmangel nur ein Tatbestandsmerkmal einer Rechtsnorm berührt (Senatsbeschlüsse in BFH/NV 1996, 918, und vom 20. November 1990 IV R 80/90, BFH/NV 1991, 609).
Den danach zu stellenden Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Das angefochtene Urteil lässt klar erkennen, dass mangels jeglicher Aufzeichnungen seitens des Klägers nach der Rechtsauffassung des FG für die Streitjahre eine Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach gegeben war. Als Rechtsgrundlage für die Vollschätzung des Gewinns aus Sondernutzungen wird in dem angefochtenen Urteil § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) angeführt, wonach die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind, soweit sie die Finanzbehörde nicht ermitteln oder berechnen kann. Sind danach alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), so konnte das FG auch auf die Einheitswertfeststellungen zurückgreifen, aus denen sich der flächenmäßige Umfang der Nutzungen und auch Anhaltspunkte zu den Nutzungsarten ergaben. Daraus hat das FG Rückschlüsse auf die tatsächlichen Nutzungen in den Streitjahren gezogen. Dass es sich dabei um ältere, im Übrigen aber im Wege der Zurechnungsfortschreibung aktualisierte Einheitswertfeststellungen handelte, hat der Kläger selbst zu vertreten, weil er auch seiner Pflicht zur Abgabe einer Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1988 nicht nachgekommen ist. Im Übrigen bezeichnet das angefochtene Urteil (S. 16 der Entscheidungsgründe) ―entgegen der Auffassung der Kläger― § 13a Abs. 8 EStG als Rechtsgrundlage dafür, dass der Einheitswertbescheid für die Feststellung der Sondergewinne maßgeblich sei. Dass weiter der Einheitswertbescheid Grundlagenbescheid für die Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen ist, hat der erkennende Senat wiederholt entschieden; auf das hierzu zuletzt ergangene Urteil vom 27. November 1997 IV R 33/97 (BFHE 184, 561, BStBl II 1998, 145) hat sich auch das FG bezogen.
Aber auch der Vortrag, das Urteil sei auch insoweit nicht mit Gründen versehen, als das FG zur "Ermessensausübung im Rahmen der Schätzung" keine Stellung genommen habe, geht ins Leere. Auf S. 22 seiner Entscheidungsgründe hat das FG (sehr wohl) ausgeführt, dass der durch die Umstände des Streitfalls vorgegebene und durch Richtwerte konkretisierte Schätzungsrahmen nicht überschritten wurde. Nach der Rechtsprechung des Senats erweist sich eine Schätzung erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt; wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige ―wie im Streitfall― seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BFHE 169, 503, BStBl II 1993, 259, m.w.N.). Hiervon ist auch das FG im Streitfall ausgegangen und hat sich somit in den Entscheidungsgründen mit den wesentlichen Argumenten des Klägers auseinander gesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 510085 |
BFH/NV 2001, 3 |