Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückweisung eines nicht im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten ohne Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit; keine Änderung durch Neuregelung
Leitsatz (NV)
1. Wer im Inland nicht nur einzelne, sondern mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten berät und vor verschiedenen Finanzämtern und -gerichten in einer Vielzahl von Verfahren vertritt, ist nicht nur vorübergehend im Inland tätig, sondern erbringt seine Leistungen in "stabiler" und kontinuierlicher Weise und überschreitet damit den durch die Dienstleistungsfreiheit gezogenen Rahmen.
2. Die Regelung im StBerG über die Grenzen der zulässigen Hilfe in Steuersachen, die von nicht im Inland ansässigen Personen erbracht wird, beeinträchtigen nicht die im EG-Vertrag gewährleistete Dienstleistungsfreiheit und begründen keine Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Europarecht.
3. Der seit dem 12. April 2008 im StBerG an die Stelle des bis dahin geltenden § 3 Nr. 4 StBerG getretene § 3a StBerG führt die bisherige Begrifflichkeit fort.
Normenkette
EGV Art. 49-50; FGO § 62 Abs. 2 S. 2; StBerG § 3 Nr. 4, § 3a
Verfahrensgang
FG Köln (Beschluss vom 28.03.2008; Aktenzeichen 11 K 3305/07) |
Tatbestand
I. In dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln 11 K 3305/07 hat das FG den Prozessbevollmächtigten der Kläger (Beschwerdeführer) gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (in der bis 30. Juni 2008 geltenden Fassung) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das FG im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO seien Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) befugt zu sein. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Bestellung des Beschwerdeführers sei endgültig widerrufen worden (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 2002 VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499).
Der Beschwerdeführer sei nicht nach § 3 Nr. 4 StBerG (in der bis 11. April 2008 geltenden Fassung) zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Er sei nicht nur vorübergehend im Inland tätig, wie seine vielfältigen Tätigkeiten für mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten vor verschiedenen Finanzämtern und Finanzgerichten im Inland zeigen würden. Vom Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) seien aber nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des BFH nur vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistungen erfasst. Daran habe weder die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen --Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 255/22) noch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt --Dienstleistungsrichtlinie-- (ABlEU Nr. L 376/36) etwas geändert. Eine Vorlage an den EuGH scheide aus, weil an der Übereinstimmung des § 3 Nr. 4 StBerG mit dem Europäischen Recht wegen der unstreitigen Auslegung des Begriffs der Dienstleistung keine Zweifel bestünden.
Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluss des FG Köln aufzuheben. Er macht geltend, er sei aufgrund der im EG-Vertrag statuierten Dienstleistungsfreiheit in Verbindung mit der Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie und der Dienstleistungsrichtlinie zur grenzüberschreitenden Dienstleistung befugt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den Beschwerdeführer zu Recht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer ist im Inland nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt.
1. Der Beschwerdeführer kann eine dahingehende Befugnis nicht aus § 3 Nr. 1 StBerG herleiten. Seine frühere Bestellung zum Steuerberater ist wirksam widerrufen worden.
2. Die Befugnis des Beschwerdeführers zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen folgt auch nicht aus § 3 Nr. 4 StBerG.
Danach sind zu solchen Dienstleistungen Personen oder Vereinigungen berechtigt, "die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland oder in der Schweiz beruflich niedergelassen sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaats leisten, soweit sie mit der Hilfeleistung in Steuersachen eine Dienstleistung nach Art. 50 EGV erbringen".
a) Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer nach dem Recht der Staaten, in denen er nach seiner Behauptung niedergelassen ist, zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob das zum Schutz der Steuerpflichtigen in § 3 Nr. 4 Sätze 2 und 3 StBerG enthaltene Transparenzgebot (vgl. Gehre/v. Borstel, Steuerberatungsgesetz, 5. Aufl., § 3 Rz 18) und dessen Missachtung durch den Beschwerdeführer seine Zurückweisung rechtfertigen würden.
b) Der Beschwerdeführer ist aufgrund folgender Überlegungen vom FG zu Recht als Prozessbevollmächtigter zurückgewiesen worden.
aa) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 7. Steuerberatungsänderungsgesetz (BGBl I 2000, 874) zu § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG ist mit der Beschränkung dieses Erlaubnistatbestandes auf die Erbringer von Dienstleistungen in Steuersachen den Anforderungen des EGV im Bereich der Dienstleistungsfreiheit bei grenzüberschreitenden Hilfeleistungen in Steuersachen Rechnung getragen (BTDrucks 14/2667, S. 27).
bb) Von dem für § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG somit maßgebenden Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 EGV werden nur grenzüberschreitende vorübergehende Hilfeleistungen in Steuersachen erfasst. Darunter fallen solche zeitlich begrenzten Leistungen, die ohne dauerhafte Niederlassung (nach Art. 50 Satz 3 EGV: "vorübergehend") in dem betreffenden Mitgliedstaat erbracht werden (EuGH-Urteile vom 4. Dezember 1986 Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755, 3801; vom 11. Dezember 2003 Rs. C-215/01, Slg. 2003, I-14847; BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, m.w.N.; vom 21. Januar 2004 VII B 99/03, BFH/NV 2004, 827). An dieser Begriffsbestimmung hält der seit dem 12. April 2008 im StBerG an die Stelle des im Zeitpunkt der Entscheidung des FG geltenden § 3 Abs. 4 StBerG getretene § 3a StBerG fest.
Der vorübergehende Charakter einer grenzüberschreitenden Dienstleistung ist nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen. Er schließt zwar nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer i.S. des Art. 50 EGV aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Wer jedoch in "stabiler" und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, fällt unter die Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen. Dies ist in den einführenden Erwägungen zur genannten Dienstleistungsrichtlinie in Tz 77 ausdrücklich klargestellt und wird entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers von den Entscheidungen des EuGH vom 11. September 2007 Rs. C-76/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 5) und Rs. C-318/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 14) in keiner Weise berührt.
cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG den vorübergehenden Charakter der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Inland zutreffend verneint. Wer, wie der Beschwerdeführer, im Inland nicht nur einzelne, sondern mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten berät und vor verschiedenen Finanzämtern und Finanzgerichten in einer Vielzahl von Verfahren vertritt, ist nicht nur vorübergehend im Inland tätig, sondern erbringt seine Leistungen in "stabiler" und kontinuierlicher Weise. Er überschreitet damit den durch die Dienstleistungsfreiheit gezogenen Rahmen.
Eine solche nicht nur vorübergehende Tätigkeit setzt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht als unerlässliches Erfordernis voraus, dass der Beschwerdeführer im Inland über (äußerlich als solche erkennbare und für potenzielle Mandanten zugängliche) Praxis- oder Kanzleiräume verfügt. Das Vorhandensein solcher Räumlichkeiten deutet zwar als (gewichtiges) Indiz auf eine nicht nur vorübergehende Tätigkeit im Inland i.S. von Art. 50 EGV hin, begründet aber für sich allein genommen eine solche Annahme nicht zwingend. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Das Fehlen derartiger Räumlichkeiten mag zwar als Indiz für eine nur vorübergehende Tätigkeit im Inland sprechen, kann indessen --wie dies im vorliegenden Fall vom FG zu Recht angenommen wurde-- durch gewichtige gegenläufige Umstände widerlegt sein.
3. Die diesen Überlegungen zugrunde liegenden Grundsätze beruhen auf einer gefestigten Rechtsprechung des EuGH und des BFH. Der angerufene Senat hat daher keine Zweifel daran, dass durch § 3 Nr. 4 StBerG (im Zeitpunkt des Beschlusses des FG einschlägig) bzw. --seit 12. April 2008-- durch § 3a StBerG die in Art. 43 ff. EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49, 50 EGV garantierte Dienstleistungsfreiheit nicht unzulässig beeinträchtigt werden (vgl. auch BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; in BFH/NV 2004, 827; vom 12. März 2007 X B 179/05, BFH/NV 2007, 1197). Zu einer Vorabentscheidung über die Auslegung der für den Streitfall maßgeblichen Vorschriften des EGV besteht folglich kein Raum.
4. § 3 StBerG, der die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen dem dort bezeichneten Personenkreis vorbehält, steht mit der nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Berufsfreiheit in Einklang (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juli 1981 VII R 14/79, BFHE 134, 206, BStBl II 1982, 43, und vom 1. März 1983 VII R 27/82, BFHE 138, 129, BStBl II 1983, 318). Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht besteht daher kein Anlass.
Fundstellen