Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungsverfügung - Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit
Leitsatz (NV)
Es bestehen keine rechtlichen Zweifel daran, daß Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die dem FA beim Erlaß einer Anrechnungs- bzw. Abrechnungsverfügung unterlaufen sind, jederzeit nach § 129 AO 1977 zu berichtigen sind, auch wenn es sich um einen begünstigenden deklaratorischen Verwaltungsakt handelt, der sonst nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 zurückgenommen werden kann.
Normenkette
AO 1977 §§ 129-130; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2
Tatbestand
Das beklagte Finanzamt (FA) berichtigte eine dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erteilte fehlerhafte Abrechnung der Jahresumsatzsteuer . . . zu dessen Ungunsten nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977). Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das FG sah eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 (Übertragungsfehler) als gegeben an.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die er auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) stützt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt nur dann in Betracht, wenn die für die Entscheidung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es, wenn die streitige Rechtsfrage sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt (Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rz. 50 m.w.N.) oder wenn Zweifel zu einer gesetzlichen Regelung nicht möglich sind, die Rechtsfrage deshalb offensichtlich so zu beantworten ist, wie dies in der Entscheidung des FG geschehen ist und die widersprechende Auffassung eines Beteiligten abwegig erscheint (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1973 VI B 95/72, BFHE 109, 303, BStBl II 1973, 665).
Nach Auffassung des Senats können - entgegen dem Vorbringen der Beschwerde - keine Zweifel daran bestehen, daß Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die dem FA beim Erlaß einer Anrechnungs- bzw. Abrechnungsverfügung der hier vorliegenden Art unterlaufen sind, jederzeit nach § 129 AO 1977 zu berichtigen sind, auch wenn es sich um einen begünstigenden deklaratorischen Verwaltungsakt handelt, der sonst nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 zurückgenommen werden kann. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 129 AO 1977 und der Systematik des Gesetzes handelt es sich bei der Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit um einen eigenständigen Berichtigungstatbestand, der unabhängig von der Bestandskraft oder sonstigen Vertrauenstatbeständen auf alle Verwaltungsakte Anwendung findet. Für die Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist es auch unerheblich, ob der Steuerverwaltungsakt aus anderen - als den in § 129 AO 1977 genannten - Gründen nur nach § 130 AO 1977 zurückgenommen oder als Steuerbescheid nach den §§ 172 ff. AO 1977 aufgehoben oder geändert werden kann. Die Vorschriften der AO 1977 über die Rücknahme von Verwaltungsakten und die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden schließen - entgegen der Auffassung des Klägers - die generelle Berichtigungsmöglichkeit wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO 1977 nicht aus. Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind vielmehr nach allen Verfahrensgesetzen und sogar in Urteilen jederzeit berichtigungsfähig (vgl. § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -, § 107 FGO, § 319 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Da sich diese Rechtsfolge eindeutig aus dem Gesetz ergibt, ist die vom Kläger als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig und die Revision somit nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
2. Die vorstehenden Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83 (BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405). Das angefochtene Urteil des FG weicht - entgegen der Beschwerde - nicht von der vorstehend zitierten Entscheidung des Senats ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Wenn in dem dem Senatsurteil vorangestellten Leitsatz ausgeführt wird, daß eine mit dem Steuerbescheid verbundene Abrechnung von (Umsatzsteuer-)Vorauszahlungen, die Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen enthält, seit dem Inkrafttreten der AO 1977 nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 berichtigt werden kann, so ist diese Aussage im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 129 AO 1977 zu weitgehend (vgl. auch Scholtz, Finanz-Rundschau - FR - 1988, 158). Der Senat hatte, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, keine Veranlassung, auf die Berichtigungsmöglichkeit der Abrechnungsverfügung nach § 129 AO 1977 wegen offenbarer Unrichtigkeit einzugehen, und er hat auch nicht zur Anwendbarkeit des § 129 AO 1977 neben der im Urteil abgehandelten Rücknahmeregelung (§ 130 Abs. 2 AO 1977) entschieden. Das Urteil stellt lediglich klar, daß Abrechnungs-(Anrechnungs-)verfügungen, die deklaratorische rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte darstellen, nicht mehr wie früher ohne jede Einschränkung berichtigt, sondern nur dann zurückgenommen werden können, wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 gegeben sind. Die generelle Berichtigungsmöglichkeit aller Verwaltungsakte nach § 129 AO 1977 für Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten wird durch diese Entscheidung nicht berührt. Ein etwaiger Vertrauenstatbestand, wie er im Urteil des Senats und in der Beschwerde angesprochen worden ist, wird gegenüber der Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nicht geschützt. Da das FG die Anwendbarkeit des § 129 AO 1977 im Streitfall bejaht hat, hatte es keine Veranlassung, auf die Entscheidung des Senats zu § 130 Abs. 2 AO 1977 einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 418220 |
BFH/NV 1993, 1 |