Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision wegen Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit des Verfahrens
Leitsatz (NV)
1. Wird der Geschäftsführer der Klägerin (GmbH) vor Beginn der Beweisaufnahme kurzfristig mit den Zeugen aus dem Gerichtssaal gewiesen, so ist der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt.
2. Eine trotz zulassungsfreier Revision eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist grundsätzlich unzulässig.
Normenkette
FGO § 52 Abs. 1, § 83 S. 1, § 116 Nr. 4; GVG §§ 169, 175
Tatbestand
Der Geschäftsführer der Klägerin, einer GmbH, wurde vom Vorsitzenden vor Beginn der Beweisaufnahme, aber während des Sachvortrags des Berichterstatters mit den Zeugen aus dem Gerichtssaal gewiesen. Die Klägerin rügte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Verletzung der Grundsätze der Beteiligtenöffentlichkeit (§ 83 FGO) und der Öffentlichkeit des Verfahrens.
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Entscheidungsgründe
1. b) Soweit die Klägerin rügt, daß ihr Geschäftsführer G zu Beginn der Verhandlung mit den Zeugen den Gerichtssaal verlassen mußte, ist die Rüge zwar begründet. Wegen des gerügten Verfahrensfehlers wäre die Revision jedoch ohne Zulassung statthaft gewesen (§ 116 Abs. 1 FGO).
aa) Ein Verstoß gegen § 83 FGO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift können die Beteiligten der Beweisaufnahme beiwohnen. Die Teilnahme an der Beweisaufnahme wurde dem als gesetzlichen Vertreter der Klägerin beteiligten G jedoch nicht verwehrt. Er wurde zwar nach der Eröffnung der mündlichen Verhandlung mit den Zeugen aus dem Gerichtssaal gewiesen, jedoch nach Eröffnung der Beweisaufnahme als erster zur Vernehmung in den Gerichtssaal zurückgerufen. Er hat ausweislich des Protokolls an der gesamten Beweisaufnahme teilgenommen.
bb) Die Klägerin rügt mit ihrem Vortrag auch die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit des Verfahrens. Sie hat zwar die einschlägigen Bestimmungen nicht zitiert. Ihre Ausführungen über die Herrn G verwehrte Anwesenheit im Gerichtssaal zu Beginn der Verhandlung reichen jedoch als Rüge aus.
Gemäß § 52 Abs. 1 FGO gelten die §§ 169, 171b bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sinngemäß für das Verfahren vor den Finanzgerichten (FG). Danach ist die Öffentlichkeit des Verfahrens nur gegeben, wenn allen, nicht aus sitzungspolizeilichen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossenen, Personen der Zugang zum Gerichtssaal möglich ist. Das war für den die Klägerin vertretenden G vorübergehend nicht der Fall. Damit litt das Verfahren an einem Verfahrensmangel i.S. des § 116 Nr. 4 FGO. Verfahrensmängel i.S. des § 116 FGO führen grundsätzlich zu einer zulassungsfreien Revision.
Wird trotz zulassungsfreier Revision Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, so führt das grundsätzlich zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wegen mangelndem Rechtsschutzbedürfnis (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschlüsse vom 8. März 1961 VIII B 183.60, BVerwGE 12, 107; vom 29. April 1983 9 B 1610/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1983, 489; BFH-Beschlüsse vom 10. November 1987 VII B 75/87, BFHE 151, 331, BStBl II 1988, 285; vom 27. November 1991 X B 147-149/90, BFH/NV 1992, 404; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 5). Das gilt jedoch nicht, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde weitere Verfahrensmängel geltend gemacht werden, die nicht im Katalog der wesentlichen Verfahrensmängel gemäß § 116 Abs. 1 FGO enthalten sind (vgl. BVerwG in BVerwGE 12, 107; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 6; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz. 5). Diese Voraussetzung liegt vor, da die Klägerin ihre Nichtzulassungsbeschwerde auch auf fehlendes rechtliches Gehör, auf grundsätzliche Bedeutung und auf Divergenz stützt. Diese Zulassungsgründe gehören nicht zu den in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten wesentlichen Verfahrensmängeln.
c) Es kann dahinstehen, ob das FG kurzfristig durch die Abwesenheit des Richters A nicht ordnungsgemäß besetzt war. Sollte entgegen den Angaben des FG die Zeugenvernehmung während der kurzen Abwesenheit des Beisitzers nicht unterbrochen worden sein, wäre das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 1963 11 RV 1072/61, VersorgB 1963 Rspr. Nr. 93). Dieser Mangel würde jedoch ebenfalls zu einer zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO führen. Daraus folgt, daß die Nichtzulassungsbeschwerde aus den unter Nr. 1 Buchst. b genannten Gründen unzulässig wäre, wenn die Rüge der Klägerin begründet sein sollte.
d) Soweit die Klägerin fehlendes rechtliches Gehör rügt, ist die Rüge nicht formgerecht erhoben. Die Klägerin hätte in den in Bezug genommenen Schriftsätzen substantiiert darlegen müssen, was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409). Sie hat im Antrag auf Protokollberichtigung vom 4. Juni 1992 jedoch nur dargelegt, daß der Vorsitzende den Beteiligten nach der Beweisaufnahme keine Gelegenheit zum Plädoyer gegeben habe. Es fehlt die Angabe dessen, was die Klägerin bei ausreichendem rechtlichen Gehör vorgetragen hätte.
Im übrigen hätte die Klägerin das Rügerecht verloren. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gehört zu den verzichtbaren Verfahrensgrundsätzen. Die Klägerin hätte den von ihr behaupteten Verfahrensverstoß noch in der mündlichen Verhandlung rügen müssen (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591; Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rz. 92). Auch nach ihrem eigenen Vorbringen hat die Klägerin nicht sofort in der mündlichen Verhandlung gerügt, daß ihr keine Gelegenheit zur Stellungnahme über das Ergebnis der Beweisaufnahme gegeben wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 419322 |
BFH/NV 1994, 381 |