Leitsatz (amtlich)
Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i. S. des § 107 Abs. 1 FGO sind nur Erklärungsmängel, die mit dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar in Widerspruch stehen. Eine ursprünglich nicht gewollte Entscheidung kann nicht im Gewand der Fehlerberichtigung durch die an sich gebotene Entscheidung ersetzt werden.
Normenkette
FGO § 107 Abs. 1; UStG 1967 § 15 Abs. 2, § 30 Abs. 3
Tatbestand
Mit der Klage hatte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) begehrt, die nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1967 steuerfreien Umsätze für den Veranlagungszeitraum 1968 um insgesamt 325 286 DM und für den Veranlagungszeitraum 1969 um insgesamt 376 866 DM zu erhöhen sowie die Steuer entsprechend anderweitig festzusetzen. Mit Urteil vom 26. September 1975 hat das FG die Umsatzsteuerschuld für den Veranlagungszeitraum 1968 auf 210 547,55 DM (bisher It. Einspruchsentscheidung: 269 717,55 DM) und für den Veranlagungszeitraum 1969 auf 251 614,15 DM (bisher It. Einspruchsentscheidung: 315 861,70 DM) herabgesetzt. In den Gründen seiner Entscheidung hat das FG ausschließlich ausgeführt, warum die genannten Umsätze als steuerfrei anzusehen seien. Der Schlußsatz des FG-Urteils lautet:
"Demnach waren der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung antragsgemäß dahin abzuändern, daß die strittigen Umsätze aus dem Betrieb der Krankenanstalt steuerfrei bleiben."
In der in die Anlage zum Urteil aufgenommenen Steuerberechnung hat das FG jeweils nur die Steuer für die Umsätze im Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) ausgewiesen und davon "abziehbare Beträge wie bisher" abgezogen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 9. Februar 1976 hat der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) die Neuberechnung der im Urteil ausgewiesenen Umsatzsteuer beantragt. Die Berechnung des FG sei nämlich insoweit unzutreffend, als eine Neuberechnung der abzugsfähigen Vorsteuern unterblieben und die in den angegriffenen Steuerbescheiden in der Gestalt der Einspruchsentscheidung enthaltene Festsetzung der Steuer auf den Selbstverbrauch gänzlich unberücksichtigt geblieben sei. Das FA legte eine detaillierte Steuerberechnung vor, wonach die abziehbaren Vorsteuerbeträge des Kalenderjahres 1968 wegen Erhöhung der steuerfreien Umsätze um 8,28 v. H. = insgesamt um 14 985,55 DM zu kürzen seien und dem derart berechneten Steuerbetrag die Selbstverbrauchsteuer in bisheriger Höhe von 6 575,36 DM hinzuzurechnen sei sowie die abziehbaren Vorsteuerbeträge des Kalenderjahres 1969 wegen Erhöhung der steuerfreien Umsätze um 8,74 v. H. = insgesamt um 15 177,27 DM zu kürzen seien und dem derart errechneten Steuerbetrag die Selbstverbrauchsteuer - ihrerseits berichtigt um einen Erhöhungsbetrag von 8,74 v. H. aus 2 828,07 DM gegenüber dem in die Steuerberechnung It. Einspruchsentscheidung eingegangenen Betrag (1 733,61 DM) - mit 11 980,79 DM hinzuzurechnen sei.
Das FG hat mit Beschluß gemäß § 107 FGO vom 29. März 1976 das Urteil vom 26. September 1975 "wegen offensichtlicher Unrichtigkeit" dahin gehend berichtigt, daß die Umsatzsteuerzahlungsschuld für den Veranlagungszeitraum 1968 auf 232 108,45 DM und für den Veranlagungszeitraum 1969 auf 268 772,20 DM anderweitig festgesetzt wurde. Wie sich aus der Anlage zum Beschluß ergibt, hat das FG die vom FA angegebenen Berechnungsgrundlagen unverändert übernommen. Zur Begründung des Beschlusses führt das FG aus, bei der Berechnung der festgesetzten Steuerbeträge sei übersehen worden, die abzugsfähigen Vorsteuerbeträge entsprechend der Erhöhung der steuerfreien Umsätze gemäß § 15 Abs. 3 UStG 1967 zu korrigieren. Weiter sei - ebenfalls nur versehentlich - die Steuer auf den Selbstverbrauch nicht jeweils in die Steuerberechnung mitübernommen worden.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Mit der Beschwerde hat die Beschwerdeführerin zunächst beantragt, den Berichtigungsbeschluß hinsichtlich der Kürzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge aufzuheben, weil für diese Berichtigung die Voraussetzungen des § 107 FG nicht vorlägen. Aus dem Inhalt der Beschwerdebegründung ergibt sich jedoch, daß die Beschwerdeführerin sich auch in bezug auf die Berichtigung hinsichtlich der Selbstverbrauchsteuer beschwert fühlt. Zur Begründung ihrer Beschwerde führt sie aus, das FG habe, weil es von der Möglichkeit der anderweitigen Steuerfestsetzung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO Gebrauch gemacht habe, auch hinsichtlich der Folgewirkungen der Erhöhung der steuerfreien Umsätze eine Entscheidung treffen müssen. Um ein lediglich mechanisches Versehen handle es sich nicht.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des FG-Beschlusses.
Nach § 107 Abs. 1 FGO sind außer Schreibfehlern und Rechenfehlern auch ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit zu berichtigen. Eine derartige Berichtigung darf den materiellen Bestand des Urteils nicht berühren; sie dient der Verwirklichung einer erkennbar gewollten Aussage. Durch die Berichtigung können nur Unzulänglichkeiten, die zur Diskrepanz zwischen wirklichem und gewolltem Urteilsinhalt geführt haben, bereinigt werden. Ein Urteil ist nur dann mit einem Fehler i. S. des § 107 Abs. 1 FGO behaftet, wenn dieser weder Verstöße gegen das materielle Recht noch gegen das Verfahren betrifft. Die Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO kann deshalb nur dazu führen, daß der erklärte Text des Urteils mit dem erkennbar gewollten Inhalt der Aussage in Deckung gebracht wird. Sie ist unzulässig, soweit nachträglich die gewollte Entscheidung selbst korrigiert wird.
Unter diesem Blickwinkel hat auch die Rechtsprechung des BFH zu der vergleichbaren Vorschrift des § 92 Abs. 2 AO den Begriff der ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit (zumindest) negativ dahin abgegrenzt, daß er weder die unrichtige Tatsachenwürdigung noch die fehlerhafte Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsvorschrift umfaßt (vgl. Entscheidung vom 31. Juli 1975 V R 121/73, BFHE 116, 462, BStBl II 1975, 868, mit Zusammenstellung der Rechtsprechung).
Sowohl nach dem Tenor als auch nach den zu seiner Erläuterung heranzuziehenden Gründen des FG-Urteils vom 26. September 1975 hat das FG dahin erkannt, daß auch die strittigen Umsätze als steuerfrei zu behandeln seien (vgl. dazu insbesondere den letzten Satz der Entscheidungsgründe). Es ist zwar offenbar, daß dieses Erkenntnis falsch ist. Dabei handelt es sich aber nicht um eine einem Schreibfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit, sondern um das Versäumnis, eine Rechtsvorschrift nicht angewendet zu haben. Das FG ist deshalb einem Irrtum unterlegen, der die Bildung seiner Rechtsüberzeugung in der Weise beeinflußt hat, daß es die vom Gesetz angeordnete Folge der Erhöhung der steuerfreien Umsätze - nämlich Kürzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 2 UStG 1967 sowie Verminderung der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 3 UStG 1967 - nicht zum Gegenstand dieser Entscheidung gemacht hat. Ein solcher Fehler ist nicht nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigungsfähig. Der Berichtigungsbeschluß enthält eine Änderung der dem berichtigten Urteil zugrunde liegenden Entscheidung, weil diese die vom Gesetz vorgeschriebenen Rechtsfolgen bei den besonderen Besteuerungsgrundlagen des Vorsteuerabzugs und der Selbstverbrauchsteuer unberücksichtigt ließ. Hat das FG aber beim Erlaß des Urteils die erforderlichen rechtlichen Überlegungen nicht angestellt und sind die an sich gebotenen Rechtsfolgen nicht zum Inhalt seiner Rechtsüberzeugung gemacht worden, so hat es fehlerhaft nicht die vom Gesetz geforderte Entscheidung gefällt. Die Korrektur der rechtlich fehlerhaften Entscheidung durch einen Berichtigungsbeschluß ist ein im Wege des § 107 Abs. 1 FGO nicht zulässiges Herbeiführen der Übereinstimmung von ursprünglich nicht getroffener Entscheidung mit an sich gebotener Entscheidung. Dem dem Urteil einerseits und dem Berichtigungsbeschluß andererseits zugrunde liegenden Entscheidungswillen mangelt es an der Identität.
Wegen der gesetzlich angeordneten Verflechtung der Erhöhung der steuerfreien Umsätze mit einer Kürzung sowohl des Vorsteuerabzugs als auch der Selbstverbrauchsteuer können diese vom Gesetz selbst geschaffenen besonderen Besteuerungsgrundlagen für die Berechnung der abschließend festzusetzenden Steuer nicht als außer Streit befindliche Besteuerungsmerkmale i. S. des BFH-Beschlusses vom 6. Juli 1972 VIII B 11/68 (BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954) angesprochen werden. Die Höhe dieser besonderen Besteuerungsgrundlagen wird zwangsläufig von der Entscheidung tangiert. Das Klagebegehren der Beschwerdeführerin, die Steuer entsprechend ihrem Antrag neu festzusetzen, schloß notwendig die Rechtsfolgen der antragsgemäßen Erhöhung der steuerfreien Umsätze mit ein. Bei dieser Sachlage aber konnte die Selbstverbrauchsteuer nicht unverändert und auch nicht - entgegen dem dem Urteil zugrunde liegenden Entscheidungswillen - verändert nachträglich durch den Berichtigungsbeschluß nach § 107 Abs. 1 FGO zum Inhalt des auch insoweit mit Rechtsfehlern behafteten Urteils gemacht werden.
Fundstellen
BStBl II 1977, 38 |
BFHE 1977, 145 |