Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für Verpflichtung des BFH zu einer Vorlage an den EuGH
Leitsatz (NV)
Eine Entscheidung des BFH, in der eine mögliche Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG abgelehnt wird, verstößt nur dann gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter, wenn der BFH den ihm in solchen Fällen zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat.
Normenkette
EG Art. 234 Abs. 3; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; EWGRL 388/77 Art. 33 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) macht im Wege einer Gegenvorstellung geltend, das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. April 2008 II R 4/06 (BFH/NV 2008, 1276) verletze ihr Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Das Revisionsverfahren hätte ausgesetzt und eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) beschlossen werden müssen.
Entscheidungsgründe
II. Die Gegenvorstellung hat keinen Erfolg.
1. Die Gegenvorstellung ist nach Auffassung des BFH im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht (mehr) statthaft. Der BFH hat daher die Frage nach der Statthaftigkeit der Gegenvorstellung dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorgelegt (Beschluss vom 26. September 2007 V S 10/07, BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60; Aktenzeichen des Verfahrens beim Gemeinsamen Senat: GmS-OGB 3/07).
2. Die Frage der Statthaftigkeit der Gegenvorstellung kann vorliegend offen bleiben, weil sie jedenfalls unbegründet ist. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor.
a) Eine Gerichtsentscheidung, in der eine mögliche Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG abgelehnt wird, verstößt nur dann gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn das Gericht den ihm in solchen Fällen zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kommt in Betracht, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht trotz der seiner Auffassung nach bestehenden Entscheidungserheblichkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Frage eine Vorlage überhaupt nicht in Erwägung zieht, wenn es bewusst von der EuGH-Rechtsprechung abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt und schließlich, wenn es den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum in Fällen überschritten hat, in denen eine einschlägige EuGH-Rechtsprechung noch nicht oder noch nicht erschöpfend vorliegt oder ihre Fortentwicklung nicht ganz fernliegend ist. Der Beurteilungsspielraum ist dabei überschritten, wenn Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BFH-Beschlüsse vom 11. Mai 2007 V S 6/07, BFHE 217, 230, BStBl II 2007, 653, und vom 2. April 2008 I S 5/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2008, R 747, jeweils m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor. Der Senat hat im Urteil in BFH/NV 2008, 1276 die Frage, ob die Lotteriesteuer mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, auf der Grundlage des im Besteuerungszeitraum geltenden Art. 33 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH und des BFH eingehend geprüft und bejaht. Den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wurde dadurch entsprochen. Die Klägerin setzt sich demgegenüber weder in der Gegenvorstellung noch im Schriftsatz vom 1. September 2008 mit der vom BFH angeführten Rechtsprechung des EuGH auseinander.
Der Gesetzgeber geht offensichtlich ebenfalls davon aus, dass die Lotteriesteuer in Einklang mit Gemeinschaftsrecht stehe; denn er hat sie bis heute beibehalten. Der Bundesrat wollte durch den von der Klägerin angesprochenen Entwurf eines Gesetzes über die Besteuerung des Spieleinsatzes --Spieleinsatzsteuergesetz-- (BTDrucks 16/1032) entgegen deren Ansicht die Lotteriesteuer nicht wegen gemeinschaftsrechtlicher Bedenken abschaffen, sondern in die vorgeschlagene, allgemeiner gefasste Besteuerung des Spieleinsatzes einbeziehen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, weil für das eine Gegenvorstellung betreffende Verfahren kein Gebührentatbestand vorgesehen ist (BFH-Beschluss vom 29. April 2008 V S 19/07, BFH/NV 2008, 1852).
Fundstellen
Haufe-Index 2090098 |
BFH/NV 2009, 211 |