Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den EuGH: USt-Befreiung der psychotherapeutischen Behandlungen in einer Ambulanz, die eine Stiftung mit nicht als Ärzte zugelassenen Diplompsychologen ausführt?
Leitsatz (amtlich)
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Fallen unter die mit Krankenhausbehandlung und ärztlicher Heilbehandlung "eng verbundenen Umsätze" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG auch psychotherapeutische Behandlungen in einer Ambulanz, die eine Stiftung (gemeinnützige Einrichtung) mit angestellten Diplompsychologen ausführt, die die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz besitzen, aber nicht als Ärzte zugelassen sind?
2. Setzt eine "andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art" i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ein förmliches Anerkennungsverfahren voraus oder kann die Anerkennung auch in anderen Regelungen (z.B. in Regelungen über eine Kostenübernahme durch die Träger der Sozialversicherung) bestehen, die für Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und andere Einrichtungen gemeinsam gelten?
Entfällt eine Steuerbefreiung, soweit die Träger der Sozialversicherung den Patienten die Kosten für psychotherapeutische Behandlungen durch die erwähnten Mitarbeiter der Klägerin nicht oder nur teilweise erstatten?
3. Sind die psychotherapeutischen Behandlungen der Klägerin aufgrund der Neutralität der Mehrwertsteuer deshalb steuerfrei, weil die bei ihr beschäftigten Psychotherapeuten die gleichen Behandlungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei hätten erbringen können, wenn sie sie selbständig als Steuerpflichtige ausgeführt hätten?
4. Kann sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung ihrer Umsätze durch psychotherapeutische Behandlungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nrn. 14, 16 Buchst. c; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, c
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 1997, 1065; LEXinform-Nr. 0144247) |
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts. Sie bezweckt die Förderung der klinischen Psychologie in Praxis und Forschung. Sie will dazu beitragen, die Behandlungsmethodik durch geeignete Grundlagen- und Anwendungsforschung zu verbessern und wichtige Ergebnisse der klinisch-psychologischen Forschung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür unterhielt sie im Streitjahr 1990 in Zusammenarbeit mit einer Universität (die kostenlos Räume zur Verfügung stellte) eine Ambulanz. Darin wurden Patienten im Namen der Klägerin von bei ihr angestellten Diplompsychologen psychotherapeutisch behandelt. Die behandelnden Diplompsychologen waren keine Ärzte. Sie besaßen aber eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz und hatten sich zum Psychotherapeuten fortgebildet. Mehr als 40 v.H. der Leistungen erbrachte die Klägerin im Streitjahr 1990 an Versicherte in der gesetzlichen Sozialversicherung, an Empfänger von Sozialhilfe oder an Versorgungsberechtigte. Die Kosten dafür wurden diesen Patienten von Krankenkassen bzw. von den Sozialhilfeträgern ganz oder teilweise erstattet, wenn zuvor die Notwendigkeit der Behandlung durch einen Arzt gutachtlich bestätigt wurde.
In dem angefochtenen Steuerbescheid für 1990 besteuerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die bezeichneten Leistungen der Klägerin mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980). Es lehnte die Auffassung der Klägerin ab, sie habe nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 steuerfreie Umsätze ausgeführt.
Die Klägerin war der Auffassung, die Vorschrift sei in verfassungs- und richtlinienkonformer Anwendung nicht nur auf "Leistungen unter ärztlicher Aufsicht", sondern auch auf Leistungen von Einrichtungen psychotherapeutischer Heilbehandlung anwendbar, wenn sie nicht von Ärzten, sondern von Diplompsychologen mit facharztähnlicher Zusatzausbildung in Psychotherapie und der Zulassung als Heilpraktiker geleitet werden. In der Praxis würden Abrechnungen der Klägerin gegenüber ihren Patienten ebenso von den Krankenkassen erstattet wie die Vergütungen, die Patienten an Einrichtungen entrichteten, in denen Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht würden. Durch die Ablehnung der Steuerbefreiung werde durch § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 eine Ungleichbehandlung gegenüber der Besteuerung vergleichbarer Leistungen unter ärztlicher Aufsicht ohne sachlichen Grund herbeigeführt. Die Vorschrift beeinträchtige außerdem die Berufsfreiheit der Psychologen, weil die Vorschrift dazu zwinge, einen Arzt zur Beaufsichtigung der Heilbehandlung einzustellen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil die Klägerin die in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 vorausgesetzten Leistungen nicht unter Aufsicht von Ärzten erbracht habe. Eine über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehende Anwendung der Vorschrift sei weder nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) noch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten. Die psychotherapeutischen Behandlungen, die die Klägerin gegenüber ihren Patienten erbracht habe, seien keine der in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG genannten Umsätze, weil es sich weder um Krankenhaus-, noch um ärztliche Heilbehandlungen noch um damit eng verbundene Umsätze gehandelt habe. Die Ambulanz der Klägerin sei nicht mit einem Krankenhaus gleichzusetzen. In den Ambulanzen der Klägerin seien ―anders als in Krankenhäusern― keine Patienten untergebracht und es würden darin auch keine ärztlichen Leistungen erbracht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980. Sie beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1990 auf 0 DM festzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat setzt das Verfahren aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vor, die der Senat für entscheidungserheblich hält.
1. Zur Rechtslage nach deutschem Recht
a) Die Umsätze der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 steuerfrei.
Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind
"die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes oder aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker"
steuerfrei.
Die Klägerin hat keine "Umsätze aus der Tätigkeit als Heilpraktiker" oder aus einer "ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit" erbracht. Sie hat zwar Umsätze mit Hilfe angestellter Heilpraktiker ausgeführt. Ihre Umsätze waren aber mit dem Betrieb ihrer Einrichtung (Ambulanz) so eng verbunden, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung aus der wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen vorrangigen Vorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 zu entnehmen sind (vgl. unten b).
Im Übrigen hält der Senat § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG im Streitfall auch nicht für anwendbar, wenn eine Stiftung mit Hilfe von Arbeitnehmern Umsätze durch Heilbehandlung ausführt. Zwar verbietet es das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― (Beschluss vom 10. November 1999 2 BvR 2861/93, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1999, 498), allein nach der Rechtsform zu unterscheiden, ob eine Umsatzsteuerbefreiung für heilberufliche Tätigkeit in Betracht kommt oder nicht. Dementsprechend ist die Steuerbefreiung aus der Tätigkeit eines Angehörigen der in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 bezeichneten Berufe nicht auf die Person des jeweiligen Berufsträgers beschränkt, sondern kann auch von einer Personen- oder einer Kapitalgesellschaft beansprucht werden (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. August 1993 V R 45/89, BFHE 172, 223, BStBl II 1993, 887 für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ―GbR― für Krankenpflege; vom 13. Juli 1994 XI R 90/92, BFHE 176, 63, BStBl II 1995, 84 für eine GbR mit Massagepraxis; vom 25. März 1999 V R 29/97, UR 1999, 500; vom 4. März 1998 XI R 53/96, UR 1998, 279 für eine Zahnarzt-GmbH). Im Streitfall haben sich die Diplompsychologen aber nicht als Gesellschafter verbunden, um in der Rechtsform einer Gesellschaft nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 steuerfreie Umsätze auszuführen. Sie haben sich vielmehr nur einzeln als weisungsgebundene Arbeitnehmer einer Stiftung zur Verfügung gestellt, ohne verbandsrechtlich mit ihr verbunden zu sein.
b) Die Umsätze der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 steuerfrei.
Die Vorschrift lautet:
"Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätzen sind nach § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei, die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung … eng verbundenen Umsätze, wenn
(Buchst. c) bei Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung … die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden und im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 vom Hundert der Leistungen den in Nummer 15 Buchst. b genannten Personen zugute kommen."
Für die Entscheidung im Streitfall ist nur noch umstritten, ob die Klägerin eine "andere Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung" ist und ob ihre Leistungen "unter ärztlicher Aufsicht" erbracht worden sind. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen aber nicht, weil sie keine Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht hat. Sie hat ihre Leistungen vielmehr jeweils nicht durch einen Arzt, sondern durch einen Diplompsychologen mit Zusatzausbildung in Psychotherapie, der gleichzeitig Heilpraktiker ist, ausgeführt.
2. Zur Rechtslage nach der Richtlinie 77/388/EWG
Im Streitfall kommen als Steuerbefreiungstatbestände die Bestimmungen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b oder Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht. Sie lauten:
"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer
(Buchst. b)
die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt werden beziehungsweise bewirkt werden.
(Buchst. c)
die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die ihm Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."
Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung von näher bezeichneten Bedingungen abhängig machen. Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist die in Abs. 1 Buchst. b vorgesehene Steuerbefreiung unter weiteren ―hier nicht vorliegenden― Bedingungen ausgeschlossen.
3. Zur Anrufung des EuGH
Der Senat hält es nicht für ausgeschlossen, dass sich die Klägerin für die Steuerbefreiung ihrer Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b oder c der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.
a) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG
aa) Zu Frage 1.
Die Vorschrift befreit die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze. Dazu ist bereits geklärt, dass es sich um medizinische Leistungen handeln muss, die die Gesundheit von Menschen betreffen. Sie bezwecken die Diagnose, die Behandlung und, soweit möglich, die Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen (EuGH-Urteil vom 14. September 2000 Rs. C-384/98 - D gegen W, UR 2000, 432, Rdnr. 17, 18).
Nicht geklärt ist, ob es sich um damit "eng verbundene Umsätze" handelt, wenn psychotherapeutische Behandlungen von einer Stiftung mit angestellten Diplompsychologen, die die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz besitzen, aber nicht als Ärzte zugelassen sind, ausgeführt werden. Das Urteil des EuGH vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85 - K/Vereinigtes Königreich (Slg. 1988, 817, UR 1989, 313) ist mit dem Vorlagefall nicht vergleichbar. Es ging um die Lieferung von Arzneimitteln und Brillen, die von einem Arzt oder anderen hierzu ermächtigten Personen verordnet worden waren. Deshalb tragen die in jenem Urteil entwickelten Grundsätze für Lieferungen kleineren Umfangs, die bei der Heilbehandlung unbedingt notwendig sind (Rdnr. 33), zur Klärung der im Vorlagefall vorhandenen Zweifelsfragen, die sich auf Dienstleistungen beziehen, nichts bei.
bb) Zu Frage 2.
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG setzt weiter voraus, dass die erwähnten Umsätze von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik "und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art" bewirkt werden.
Eine in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erwähnte Einrichtung ist nach dem EuGH-Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-216/97 - Gregg (UR 1999, 419, Rdnr. 18 zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) bereits vorhanden, wenn eine abgegrenzte Einheit ―unabhängig von ihrer Rechtsform― eine der bezeichneten Funktionen erfüllt.
Die Klägerin ist zwar wohl keine Krankenanstalt und kein "Zentrum für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik", weil sie keine Ärzte, sondern Diplompsychologen mit einer Zusatzausbildung in Psychotherapie beschäftigt. Dass die Notwendigkeit der Behandlung durch ein ärztliches Gutachten bestätigt wird, damit den Patienten die Kosten der Behandlung von Sozialversicherungsträgern erstattet werden, führt nicht zu einer ärztlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit der eigentlichen Behandlung. Mit ihrer Ambulanz und den darin beschäftigten Arbeitnehmern bindet die Klägerin als Stiftung des privaten Rechts aber Personen und Sachen, um psychotherapeutische Umsätze zu bewirken, so dass dadurch die Anforderungen an eine "andere Einrichtung" gegeben sein könnten.
Bisher ungeklärt sind die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit die Einrichtung als "ordnungsgemäß anerkannt" angesehen werden kann. Auch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. p der Richtlinie 77/388/EWG enthält dieses Merkmal. In Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h, i, n der Richtlinie 77/388/EWG ist von anerkannten Einrichtungen mit einer bestimmten Zielsetzung die Rede.
Ein förmliches Anerkennungsverfahren schreibt die Richtlinie 77/388/EWG dafür nicht vor. Es ist auch im UStG der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) nicht vorgesehen. Die ordnungsgemäße Anerkennung der Einrichtung könnte sich somit auch aus Bedingungen außerhalb des Steuerrechts ergeben, sofern sie sich auf die Umsatztätigkeit beziehen. Dazu könnten die Bedingungen ausreichen, nach denen Krankenkassen und andere Träger der Sozialversicherung den Patienten der Klägerin die Kosten für ihre Heilbehandlungen erstatten. Soweit eine Erstattung generell nicht vorgesehen ist, könnte eine Steuerbefreiung für diesen Teil der Leistungen ausscheiden.
b) Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (Frage 3)
Falls die Umsätze der Klägerin nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei sind, ist zu untersuchen, ob sie nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuer zu befreien sind.
Klärungsbedürftig ist, ob es sich bei den von der Klägerin bewirkten psychotherapeutischen Behandlungen um Heilbehandlungen handelt, die im Rahmen der Ausübung der von den betreffenden Mitgliedstaat definierten arztähnlichen Berufe erbracht worden sind. Da die Klägerin als Stiftung des privaten Rechts selbst einen solchen Beruf nicht ausübt, ist zu klären, ob die Steuerbefreiung nur für natürliche Personen vorgesehen ist oder ob sie die Steuerbefreiung nach dem Neutralitätsgrundsatz deshalb beanspruchen kann, weil die bei ihr beschäftigten Psychotherapeuten die gleichen Behandlungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei hätten erbringen können, wenn sie sie selbständig als Steuerpflichtige ausgeführt hätten. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf seinen Vorlage-Beschluss vom 3. Februar 2000 V R 1/98 zum Vorabentscheidungsverfahren des EuGH Rs. C-141/00 und auf die nach der Rechtsprechung des BVerfG im nationalen Recht verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung (vgl. oben II. 1. a).
Die Frage würde sich allerdings so nicht stellen, wenn die Steuerbefreiungsvoraussetzungen von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG Vorrang haben und die Voraussetzungen von Art. 13 Teil A Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG verdrängen. Auf einen Vorrang kann die Stellung der Vorschriften (Buchst. b vor Buchst. c) und die nur für die Vorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG) sowie die Einschränkungen der Steuerbefreiung (Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG) hindeuten. Der Senat entnimmt dem Urteil des EuGH vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85 ebenfalls Hinweise darauf (Rdnr. 32 bis 34), dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG den Vorrang vor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG hat.
c) Zum Berufungsrecht der Klägerin auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und/oder Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (Frage 4)
Die in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 vorhandene Einschränkung, wonach die befreiten Umsätze "unter ärztlicher Aufsicht" erbracht werden müssen, enthält der Wortlaut von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG nicht.
Die Einschränkung der Steuerbefreiung durch die zusätzliche Voraussetzung, dass die Leistungen "unter ärztlicher Aufsicht" erbracht werden müssen, ist auch nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 77/388/EWG zulässig.
Es ist aber nicht zweifelsfrei, ob sich die Klägerin nach den allgemeinen Grundsätzen auf die Steuerbefreiung ihrer Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Zu klären ist, ob Einschränkungen der Berufbarkeit wegen der den Mitgliedstaaten nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Ausgestaltung der Steuerbefreiung gegeben sind.
III. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 234 Abs. 3 (früher Art. 177 Abs. 3) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.
Fundstellen
BFH/NV 2001, 565 |
BFHE 194, 275 |
BFHE 2002, 275 |
BB 2001, 403 |
DB 2001, 416 |
DStRE 2001, 378 |
HFR 2001, 485 |
UR 2001, 115 |
LEXinform-Nr. 0571435 |
NJW 2001, 1816 |
NWB 2001, 561 |
UVR 2001, 329 |
PLS Gruppe 2, 424 |
StWKHeft 01, 7 |
StWK Gruppe 1, 402 |
UStB 2001, 107 |
stak 2001 |