Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Für ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters besteht kein Anlaß, wenn der Richter lediglich eine dem Beteiligten ungünstige Rechtsauffassung geäußert hat.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der klagende Ehemann ist Inhaber eines Gärtnereibetriebs. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ordnete bei ihm eine Betriebsprüfung an. Die Betriebsprüfung wurde im Jahre 1982 von der Landwirtschaftlichen Betriebsprüfungsstelle Köln für die Finanzämter im Oberfinanzbezirk Köln durchgeführt, die der Oberfinanzdirektion (OFD) Köln angegliedert ist. Das FA erließ daraufhin geänderte Steuerbescheide. Die Bescheide sind bestandskräftig, die Steuernachforderungen sind entrichtet.
Gegen den Ehemann ist ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden.
Im Jahre 1984 machten die Kläger im Wege einer Feststellungsklage die Nichtigkeit der Betriebsprüfungsanordnung und der nach durchgeführter Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide geltend. Sie stützten ihre Klage auf die Auffassung, daß eine Dienststelle der OFD nicht durch ein FA mit einer Betriebsprüfung beauftragt werden könne; der OFD obliege nur die Leitung der Finanzverwaltung in ihrem Bezirk.
Im Februar 1985 schrieb der zuständige Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) an den Prozeßbevollmächtigten der Kläger, daß er die im Kommentar von Tipke/Kruse gegen die Beauftragung einer Prüfungsstelle der OFD geäußerten Bedenken für abwegig halte. Selbst wenn man der dort geäußerten Auffassung folge, führe dies nur zur Anfechtbarkeit, keinesfalls aber zur Nichtigkeit der Prüfungsanordnung. Da die Prüfungsanordnung aber nicht angefochten worden sei, könne sich das von den Klägern erstrebte Verwertungsverbot hinsichtlich der Prüfungsfeststellungen nicht ergeben. In seinen Augen sei die Klage offensichtlich unbegründet. Die Kläger würden aufgefordert, innerhalb von vier Wochen mitzuteilen, ob die Klage gleichwohl aufrechterhalten werden solle.
Die Kläger lehnten daraufhin den Berichterstatter wegen Befangenheit ab. In der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 1986 wies das FG den Befangenheitsantrag zurück. Danach wies es die Klage in der Hauptsache ab. Gegen dieses Urteil wurde die Revision nicht zugelassen. Die Kläger haben Nichtzulassungsbeschwerde erhoben; der Senat hat diese Beschwerde im Verfahren IV B 34/87 zurückgewiesen.
Außerdem erhoben die Kläger Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluß des FG. Daran machen sie geltend, daß der Berichterstatter sich zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen in einer Weise geäußert habe, die auf ein ungewöhnliches Maß an subjektiver Gewißheit hinsichtlich der Richtigkeit der gewonnenen Erkenntnisse hingedeutet habe. Ohne auf die schwierige Rechtsfrage näher einzugehen, habe er die Auffassung der Kläger für abwegig erklärt und die Klage als offensichtlich unbegründet angesehen. Er habe dadurch bei den Klägern den Eindruck erweckt, daß die Klage unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könne und daß er eine endgültige Beurteilung der Rechtslage vorgenommen habe. Sie hätten annehmen müssen, daß der Berichterstatter einer weiteren Prüfung der Rechtslage nicht zugänglich sei.
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung das Ablehnungsgesuch für begründet zu erklären.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Das Urteil in der Hauptsache ist unter Mitwirkung des abgelehnten Richters ergangen. Erweist sich die Beschwerde als begründet, hat an der Entscheidung ein Richter mitgewirkt, der wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Die Kläger könnten diesen Mangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Wege der zulassungsfreien Revision geltend machen. An der Durchführung des Beschwerdeverfahrens besteht deshalb ein Rechtsschutzinteresse (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).
2. Sachlich ist das Ablehnungsgesuch jedoch nicht begründet.
Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Für ein derartiges Mißtrauen besteht kein Anlaß, wenn der Richter lediglich eine dem Beteiligten ungünstige Rechtsauffassung geäußert hat. Hierbei ist beachtlich, daß der abgelehnte Richter als Berichterstatter gemäß § 79 Satz 1 FGO die Aufgabe hatte, den Rechtsstreit soweit vorzubereiten, daß er möglichst in einer mündlichen Verhandlung erledigt werden konnte. Er mußte sich zu diesem Zwecke ein Bild von der Rechtslage und dem vermutlichen Verfahrensausgang machen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Im Rahmen seiner Aufgabe konnte er auch ein Rechtsgespräch mit den Beteiligten führen und seine eigene Auffassung darlegen. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn dies in einer prononcierten Weise geschieht. Hierdurch wird bewirkt, daß der vom Unterliegen bedrohte Beteiligte neue Argumente sucht, um den Richter und das später über die Sache entscheidende Gericht doch noch von seinem Rechtsstandpunkt zu überzeugen. Einem verständigen Beobachter sind diese Zusammenhänge deutlich; die genannten Hinweise begründen deshalb nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Im Streitfall sind die Äußerungen des Berichterstatters danach als rechtlich unbedenklich anzusehen. Daß in ihnen die Rechtsauffassung der Kläger als abwegig bezeichnet wird, mag als überdeutliche Meinungsäußerung erscheinen. Sie ist inhaltlich inzwischen jedoch durch den BFH bestätigt worden (Beschluß vom 30. November 1987 VIII B 3/87 BFHE 151, 354, BStBl II 1988, 183); danach führt die Beauftragung einer Dienststelle der OFD mit der Betriebsprüfung nicht zur Nichtigkeit, sondern zur Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung. Die Kläger hätten aus dieser Äußerung eine Befangenheit des Richters nur befürchten können, wenn sie Zweifel daran aufkommen ließ, ob er Gegengründen aufgeschlossen gegenüber stehen werde. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte. Sie lassen sich auch nicht daraus folgern, daß der Richter den Klägern die Rücknahme der Klage nahegelegt und sie als offensichtlich unbegründet bezeichnet hat. Hierin lag nur die notwendige Folgerung aus seiner, den Klägern bekanntgegebenen Rechtsauffassung. Die Kläger konnten auch hieraus nicht schließen, dem Berichterstatter sei an der Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen und er sei abweichenden Überlegungen nicht zugänglich.
Fundstellen
Haufe-Index 415840 |
BFH/NV 1990, 39 |