Entscheidungsstichwort (Thema)
Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung durch Einlegung in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
1. Die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung kann im Wege der Zustellung durch Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten erfolgen.
2. Die in § 47 Abs. 1 FGO festgelegte Klagefrist wird in diesem Fall auch dann in Gang gesetzt, wenn die Zustellung an einem Samstag erfolgt und der Prozessbevollmächtigte erst am darauffolgenden Montag die Möglichkeit hat, das Schriftstück zur Kenntnis zu nehmen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 47 Abs. 1; AO § 365 Abs. 1, § 122 Abs. 5; VwZG § 3 Abs. 2; ZPO § 180
Verfahrensgang
FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 14.12.2007; Aktenzeichen 3 K 3104/07) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgefordert. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) aufgrund der verspäteten Klageerhebung als unzulässig ab. Es führte aus, dass die Einspruchsentscheidung dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 31. März 2007, einem Samstag, gemäß § 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 176 und § 180 der Zivilprozessordnung (ZPO) durch Einlegung in den Briefkasten wirksam zugestellt worden sei. Die Klageschrift sei am 2. Mai 2007 und daher nach Ablauf der in § 47 FGO festgelegten Frist beim Gericht eingegangen.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob die Bekanntgabe des Verwaltungsakts nach § 54 Abs. 1 FGO zeitlich einer Zustellung gemäß § 54 Abs. 2, § 155 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und § 188 ZPO nachfolgen könne bzw. Zustellung und Bekanntgabe begrifflich zu unterscheiden seien und zeitlich auseinanderfallen könnten. Maßgeblich für die Bekanntgabe nach § 54 Abs. 1 FGO sei die persönliche Kenntnisnahme des Schriftstücks durch den Prozessbevollmächtigten. Da diese im Streitfall erst am Montag, dem 2. April 2007, möglich gewesen sei, habe der Prozessbevollmächtigte die Klage fristgerecht eingelegt. Darüber hinaus sei die Rechtsfrage streitig, "ob bei einem Rechtsakt mit Eingriffscharakter bei einer Dauer von 22 Monaten zwischen Einlegung des Einspruchs und dem Ergehen der Einspruchsentscheidung, ohne dass ein sachlicher Grund für die Verzögerung vorliege, von einem Mangel an berechtigtem Interesse der Finanzverwaltung auszugehen sei". Das FA hätte die Sach- und Rechtslage erneut prüfen müssen. Bei einer solch langen Verfahrensdauer sei von einer zwischenzeitlichen Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts auszugehen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Einer Rechtsfrage kann nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie jedenfalls klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Juli 1999 IX B 81/99, BFHE 189, 401, BStBl II 1999, 760, und vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Beermann in Beermann/Gosch, FGO § 115 Rz 102 ff., und Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).
Unter Beachtung dieser Grundsätze kommt der vom Kläger sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Zustellung einer Einspruchsentscheidung und deren Bekanntgabe mit der Folge zeitlich auseinanderfallen können, dass eine am Samstag bewirkte Zustellung erst am Montag durch Kenntnisnahme durch den Prozessbevollmächtigten zur Bekanntgabe des zugestellten Verwaltungsakts führt, keine grundsätzliche Bedeutung zu. Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Zustellung eines FG-Urteils im Zeitpunkt der Einlegung des Schriftstücks in dem zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten auch dann bewirkt ist, wenn es an einem Samstag zugestellt worden ist und der Prozessbevollmächtigte es erst am darauffolgenden Montag zur Kenntnis nimmt, weil die Kanzlei am Wochenende nicht besetzt ist (BFH-Entscheidungen vom 2. August 2004 V B 75/04, juris; vom 4. Juni 1993 V B 9/93, BFH/NV 1994, 183, und vom 11. Dezember 1985 I R 352/83, BFH/NV 1986, 644).
Dieser Grundsatz ist auf die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung an den Prozessbevollmächtigten durch Zustellung gemäß § 180 ZPO übertragbar. Im Streitfall ist die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung durch eine wirksame Zustellung erfolgt (§ 366 der Abgabenordnung --AO-- i.V.m. § 122 Abs. 5 AO, § 3 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG--, § 180 ZPO). Im Zeitpunkt der Bewirkung der Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten ist von einer Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 2 Abs. 1 VwZG) auszugehen, die die in § 47 Abs. 1 FGO festgelegte Frist in Gang gesetzt hat, auch wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Schriftstück erst am Montag zur Kenntnis nehmen konnte. Unerheblich ist bei dieser Betrachtung, dass das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass für die Zustellung einer Einspruchsentscheidung auf § 53 Abs. 2 FGO zurückgegriffen werden kann. Indes richtet sich die Zustellung eines solchen Verwaltungsakts nach § 365 Abs. 1 AO i.V.m. § 122 Abs. 5 AO. Die Regelung des § 180 ZPO kommt dabei allerdings in gleicher Weise zur Anwendung (§ 3 Abs. 2 VwZG).
2. Hinsichtlich der zweiten vom Kläger aufgeworfenen Frage fehlt es bereits an der ausreichenden Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 2. Dezember 2002 VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
Der Kläger vermag nicht substantiiert darzulegen, warum der Beantwortung der auf die Besonderheiten des Streitfalls ausgerichteten Frage eine Bedeutung für die Allgemeinheit zukommen soll. Der bloße Hinweis, dass es sich um einen staatlichen Eingriff in Rechtspositionen des Bürgers handelt und dass die Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Eingriffs eine zeitnahe Klärung erfordert, reicht nicht aus. Zudem ist durch das FG nicht festgestellt worden, dass für die Dauer der Bearbeitungszeit kein sachlicher Grund vorliegt und dass der Kläger die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Die Frage könnte sich daher in dieser Form in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen.
3. Soweit der Kläger beanstandet, dass das FG sich nicht in ausreichendem Maße mit der Klagebegründung auseinandergesetzt hat, wird mit dieser Behauptung ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) auch nicht ansatzweise bezeichnet.
Fundstellen