Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Das Ermessen ist allerdings dann auf Null reduziert, wenn durch die Ablehnung der Wiedereröffnung wesentliche Prozessgrundsätze verletzt würden, z.B. weil andernfalls der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt würde oder die Sachaufklärung nicht ausreicht.
Normenkette
FGO § 93 Abs. 3 S. 3; ZPO § 283
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.02.2008; Aktenzeichen 10 K 369/04) |
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das Finanzgericht (FG) hat den Anspruch der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf rechtliches Gehör nicht verletzt, indem es von einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
a) Nach § 93 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Die Wiedereröffnung steht danach grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (vgl. u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. April 2001 XI R 60/00, BFHE 195, 9, BStBl II 2001, 726; BFH-Beschlüsse vom 29. April 2005 VIII B 128/03, BFH/NV 2005, 1823, und vom 5. September 2005 IV B 155/03, BFH/NV 2006, 98; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 93 Rz 9; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 93 FGO Rz 47; a.A. Stöcker in Beermann/Gosch, FGO § 93 Rz 77).
Das Ermessen ist allerdings dann auf Null reduziert, wenn durch die Ablehnung der Wiedereröffnung wesentliche Prozessgrundsätze verletzt würden, z.B. weil anderenfalls der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzt würde oder die Sachaufklärung nicht ausreicht (BFH-Entscheidungen in BFHE 195, 9, BStBl II 2001, 726, und in BFH/NV 2006, 98). Eine Wiedereröffnung kann deshalb geboten sein, wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung mit Hinweisen oder Fragen des Gerichts überrascht wurde, zu denen er nicht sofort Stellung nehmen konnte, und ihm das Gericht keine Möglichkeit mehr zur Stellungnahme gegeben hat (BFH-Urteil in BFHE 195, 9, BStBl II 2001, 726).
Wenn sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf überraschende Fragen oder Ausführungen nicht sofort erklären kann, kann er die Einräumung einer Frist beantragen, um die Erklärung durch einen Schriftsatz nachzuholen (§ 155 FGO i.V.m. § 283 der Zivilprozessordnung; vgl. Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 93 FGO Rz 11). Nach Schluss der mündlichen Verhandlung können allerdings Angriffs- und Verteidigungsmittel grundsätzlich nicht mehr vorgebracht werden (BFH-Beschluss vom 12. November 1993 VIII R 17/93, BFH/NV 1994, 492, m.w.N.).
b) Vorliegend haben die Kläger vor Schließung der mündlichen Verhandlung zwar eine weitere Schriftsatzfrist beantragt. Sie haben jedoch auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Der mit Schriftsatz vom 28. März 2008 gestellte Antrag gebot die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht. Zutreffend hat das FG darauf abgestellt, dass die Prozessbevollmächtigte der Kläger aufgrund der Tatsache, dass der frühere Steuerberater nicht als Zeuge zur mündlichen Verhandlung geladen war sowie aufgrund des Ablaufs der mündlichen Verhandlung, erkennen konnte, das Gericht halte die Einvernahme dieses Zeugen nicht für erforderlich. Sie hätte daher dessen Einvernahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragen müssen und sich einen solchen Antrag nicht lediglich vorbehalten dürfen. Die Zeugen J und R wurden vom Gericht gehört. Auch die Prozessbevollmächtigte der Kläger konnte sie in der mündlichen Verhandlung ausreichend befragen. Diese Zeugen waren --worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) in der Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist-- zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Ihre Aussagen durften somit nicht davon abhängen, welche Auswirkungen sie auf die finanzielle Zukunft der Kläger haben. Zudem konnten die Zeugen J und R in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aus eigener Erinnerung, sondern nur nach Vorlage ihrer Aussagen in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen Angaben zur Sache machen. Bei dieser Sachlage war das Ermessen des Gerichts bei der Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht auf Null reduziert.
Fundstellen
Haufe-Index 2078285 |
BFH/NV 2009, 40 |