Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers zu dem Verfahren des Kindergeldberechtigten gegen einen Abrechnungsbescheid
Leitsatz (NV)
Zahlt die Familienkasse das Kindergeld aufgrund eines geltend gemachten Erstattungsanspruchs an den Sozialhilfeträger aus und teilt dem Kindergeldberechtigten durch Abrechnungsbescheid mit, sein Anspruch auf Kindergeld gelte als erfüllt, so ist der Sozialhilfeträger im finanzgerichtlichen Verfahren des Kindergeldberechtigten gegen den Abrechnungsbescheid notwendig beizuladen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 2-3; FGO § 60 Abs. 3; SGB X § 104 Abs. 2, §§ 107, 112
Tatbestand
I. Stand des Verfahrens
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte mit Bescheid vom 24. Januar 2001 gegenüber dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) rückwirkend für die Zeit von April 1998 bis Januar 2001 Kindergeld für seine am 31. Oktober 1964 geborene, zu 100 % behinderte Tochter in Höhe von 8 490 DM (4 340,87 €) fest. Mit Abrechnungsbescheid gleichen Datums teilte die Familienkasse dem Kläger mit, sein Zahlungsanspruch gelte aufgrund eines von der Stadt O als Sozialhilfeträger geltend gemachten Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis Ende 2000 geltenden Fassung (§ 74 Abs. 2 EStG in der ab 2001 geltenden Fassung) i.V.m. § 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) als erfüllt. Das Kindergeld überwies die Familienkasse an die Stadt O, die für den entsprechenden Zeitraum der Tochter des Klägers, welche zu dieser Zeit in einer eigenen Wohnung lebte, Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung von Kindergeld gewährt hatte.
Der gegen den Abrechnungsbescheid eingelegte Einspruch und die anschließend erhobene Klage blieben ohne Erfolg.
Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
II. Grund der Beiladung
Das Finanzgericht (FG) hat es versäumt, die Stadt O zu dem Verfahren notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte, die an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, zu dem Verfahren beizuladen (notwendige Beiladung). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Februar 2004 VIII R 21/03, BFH/NV 2004, 662, m.w.N.).
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind im Streitfall gegeben. Nach § 74 Abs. 3 bzw. Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X gilt der Anspruch des Klägers gegen die Familienkasse auf Kindergeld als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch der beigeladenen Stadt O nach § 74 Abs. 3 bzw. Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 SGB X besteht. Der Erfolg der Klage hängt somit davon ab, ob die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch vorliegen (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 30. Januar 2002 2 K 410/98 KI, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2002, 1534 --nur Leitsatz--, juris). Kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass kein Erstattungsanspruch besteht, hat die Beigeladene die von der Familienkasse gezahlten Beträge nach § 74 Abs. 3 bzw. Abs. 2 EStG i.V.m. § 112 SGB X zurückzuerstatten. Deshalb beeinflusst die Entscheidung über die Auszahlung des Kindergeldanspruchs auch die Rechtsposition der Beigeladenen. Zwar handelt es sich bei dem Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG und dem Erstattungsanspruch bzw. dem Rückerstattungsanspruch um eigenständige Ansprüche. Sie hängen aber so eng miteinander zusammen, dass eine gerichtliche Entscheidung gegenüber dem Kindergeldberechtigten und dem Erstattungsberechtigten nur einheitlich ergehen kann (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Juni 1986 8 RK 61/84, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 1166, bestätigt durch Urteil vom 23. Februar 1999 B 1 KR 6/97 R, SozR 3-1300 § 111 Nr. 7, zur notwendigen Beiladung des Versicherten im Erstattungsstreit zwischen Versicherung und Sozialhilfeträger; im Ergebnis ebenso Urteile des Niedersächsischen FG in EFG 2002, 1534 --nur Leitsatz--, juris; des FG Rheinland-Pfalz vom 18. Oktober 2002 3 K 1503/02, juris, und des FG Münster vom 1. Juli 2004 6 K 2517/03 AO, EFG 2004, 1780).
2. Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung begründet einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen ist. Die Beiladung kann aber nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO in der Revisionsinstanz nachgeholt werden. Der Senat übt sein ihm in dieser Vorschrift eingeräumtes Ermessen dahingehend aus, dass er von einer Zurückverweisung der Sache an das FG absieht und die Beiladung selbst vornimmt.
III. Hinweise
1. Durch den Beiladungsbeschluss erhält die Beigeladene die Stellung einer Beteiligten (vgl. § 57 Nr. 3 FGO). Die Rechtskraft einer Entscheidung in diesem Verfahren wirkt für und gegen die Beigeladene (§ 110 Abs. 1 FGO).
2. Die Beigeladene kann Verfahrensmängel nur innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses rügen (§ 123 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Frist kann nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 Satz 2 FGO verlängert werden. Jeder Beteiligte, also auch die Beigeladene, muss sich vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 Satz 1 FGO). Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 Satz 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1697704 |
BFH/NV 2007, 720 |