Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine notwendige Beiladung des mittelbar betroffenen Elternteils bei Kindergeldklagen
Leitsatz (amtlich)
Erhebt ein Elternteil Klage mit dem Ziel, ihm Kindergeld zu gewähren, ist der andere Elternteil selbst dann nicht notwendig zum Verfahren beizuladen, wenn er bei Stattgabe der Klage das bisher zu seinen Gunsten festgesetzte Kindergeld verliert.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 1, 3 S. 1; FGO § 60 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und M sind die Eltern eines Kindes, das im Rahmen einer fürsorgerechtlichen Betreuung in einem Heim untergebracht war, und für das nur der Kläger Barunterhalt leistete. M war Kindergeld gewährt worden, welches aufgrund einer Abzweigung an das Jugendamt ausgezahlt worden war. Nachdem der Kläger beim Amtsgericht D am 29. November 1996 den Beschluss erwirkt hatte, dass er anstelle von M zum Kindergeldberechtigten bestimmt werde, beantragte er mit Schreiben vom 30. Januar 1997, ihm rückwirkend ab dem 1. Januar 1996 Kindergeld zu gewähren.
Mit Bescheid vom 19. März 1998 gab der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagter) dem Antrag ab Oktober 1996 statt. Mit seiner nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt der Kläger nur noch Kindergeld ab Juli 1996, dem Beginn des Verfahrens auf Bestimmung der Kindergeldberechtigung beim Amtsgericht D. Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen; über sie ist noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) hat M gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beigeladen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. M war nicht gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig zum Verfahren beizuladen.
1. Eine Beiladung der M scheidet allerdings nicht schon deshalb aus, weil das Amtsgericht D rechtskräftig entschieden hat, dass Kindergeldberechtigter der Kläger sei. Der Beschluss des Amtsgerichts ist für die Entscheidung im Streitfall nicht bindend. Er bestimmt zwar den Kindergeldberechtigten (§ 64 Abs. 2 Satz 3 bzw. Abs. 3 Sätze 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―); er trifft damit aber nur eine Auswahl unter mehreren Anspruchsberechtigten. Ob mehrere Anspruchsberechtigte vorhanden sind, bestimmt dagegen die Familienkasse (Oberlandesgericht ―OLG― Hamm, Urteil vom 16. Januar 1997 15 W 226/96, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht ―FamRZ― 1997, 1037; OLG Zweibrücken, Urteil vom 18. September 2000 2 AR 42/00, FamRZ 2001, 551, a.E.; Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 64 Rdnr. D 10, 11). Um diese Bestimmung geht es im Streitfall.
2. M war auch nicht deshalb notwendig beizuladen, weil der Kläger ihr das bisher zu ihren Gunsten festgesetzte Kindergeld streitig macht.
a) Nach § 60 Abs. 3 FGO sind Dritte beizuladen, wenn sie an einem streitigen Rechtsverhältnis derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist ―über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehend― dann der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Januar 2001 VI R 49/98, BFHE 194, 6, BStBl II 2001, 246, und Beschluss vom 4. Juli 2001 VI B 301/98, BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729, jeweils m.w.N.). Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine Sachentscheidung, die die Rechte eines Dritten in der vorbezeichneten Weise betrifft und aus diesem Grund auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung dieses Dritten erlassen wird. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der Dritte an die Rechtskraft des in der Sache ergehenden Urteils nach Maßgabe des § 110 Abs. 1 FGO gebunden ist.
b) Diese Voraussetzungen sind hier hinsichtlich der M nicht gegeben.
Aus § 64 Abs. 1 EStG ergibt sich zwar, dass Kindergeld für ein Kind nur einmal und nur an einen Berechtigten gezahlt wird (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, unter II. 1. a der Gründe). Das war bisher M, der gegenüber das Kindergeld festgesetzt war. Eine Festsetzung des Kindergeldes zu Gunsten des Klägers würde deshalb auch ihre Rechtsstellung beeinträchtigen; denn die geänderte Festsetzung hätte zur Folge, dass ihr das Kindergeld wegen veränderter Verhältnisse rückwirkend entzogen werden kann (§ 70 Abs. 2 EStG). Die Verwaltung hat insoweit keinen Entscheidungsspielraum (BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, unter II. 1. c der Gründe, und Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81, unter 2. a der Gründe).
Dieser sachlogische und verfahrensrechtliche Zusammenhang reicht jedoch für eine notwendige Beiladung i.S. von § 60 Abs. 3 FGO nicht aus. Darauf hat der BFH bereits in seinem zum Kinderfreibetrag des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der für 1990 geltenden Fassung ergangenen Beschluss in BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729 hingewiesen. Für die Kindergeldfestsetzung gilt nichts anderes. Die Entscheidung über den angefochtenen, gegenüber dem Kläger ergangenen Kindergeldbescheid greift nicht ―wie dies § 60 Abs. 3 FGO voraussetzt― unmittelbar gestaltend in die Rechtssphäre der M ein. Es ist Sache der Verwaltung, dieser gegenüber durch Aufhebung der Kindergeldfestsetzung die materiell-rechtlich zutreffende Rechtslage herzustellen.
c) Für eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO besteht auch kein Bedürfnis. Die Bindung des das Kindergeld ebenfalls beanspruchenden Dritten an die Rechtskraft des Urteils kann nach § 174 Abs. 5 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) dadurch herbeigeführt werden, dass der Beklagte den Dritten zum Einspruchsverfahren hinzuzieht (§ 360 AO 1977) oder dessen Beiladung im finanzgerichtlichen Verfahren beantragt (BFH-Beschluss in BFHE 195, 50, BStBl II 2001, 729, unter II. 6. der Gründe, m.w.N.); die dadurch bewirkte Bindung ist die gleiche wie bei einer notwendigen Beiladung (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. August 1998 III B 41/98, BFH/NV 1999, 156). Wird der Dritte in dieser Weise am Verfahren beteiligt, kann die Familienkasse zur Vermeidung einer widerstreitenden Kindergeldfestsetzung dann, wenn der das Kindergeld gegenüber dem Einspruchsführer oder Kläger ablehnende Bescheid aufgehoben oder geändert wird, die bisherige, für den Dritten günstige Kindergeldfestsetzung aufheben (§ 174 Abs. 4 AO 1977 i.V.m. § 31 Satz 3 EStG und § 155 Abs. 4 ―früher Abs. 6― AO 1977; zur Anwendbarkeit der für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften der AO 1977 bei der Kindergeldfestsetzung vgl. u.a. BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174, und vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296).
Fundstellen
Haufe-Index 771584 |
BFH/NV 2002, 1252 |
BStBl II 2002, 578 |
BFHE 198, 300 |
BFHE 2003, 300 |
BB 2002, 1634 |
DB 2002, 1920 |
DStRE 2002, 1071 |
HFR 2002, 905 |