Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht des Rechtsanwalts zur Überprüfung der Richtigkeit der eingetragenen Rechtsmittelfrist; keine stillschweigende Wiedereinsetzung durch ein FG
Leitsatz (NV)
1. Ein Rechtsanwalt oder Steuerberater ist verpflichtet, die Richtigkeit der von seinem Personal eingetragenen Rechtsmittelfrist zu überprüfen, sobald ihm die Akten zur eigenen Bearbeitung vorgelegt werden (Anschluss an die ständige Rechtsprechung). Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass er die Einhaltung der notierten Frist nicht selbst überwachen muss.
2. Eine stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch ein Finanzgericht gibt es nicht (Anschluss an BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390).
Normenkette
FGO §§ 56, 115 Abs. 2, § 116
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die Voraussetzungen, unter denen nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision zuzulassen ist, nicht --wie in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gefordert-- in zulässiger Weise dargelegt.
1. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)
Die Zulassung der Revision wegen dieses Erfordernisses ist insbesondere dann geboten, wenn das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) in seinen tragenden Gründen von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder eines anderen Gerichts abweicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 41). Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichung muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den mutmaßlichen Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20. März 2008 X B 215/07, juris).
Daran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat es unterlassen, einen abstrakten und entscheidungserheblichen Rechtssatz aus dem angegriffenen FG-Urteil zu formulieren, der von den von ihnen zitierten Divergenzentscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. Dezember 2005 VI ZB 13/05 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2006, 1070) und vom 27. März 2001 (gemeint ist offenbar der Beschluss VI ZB 7/01, Versicherungsrecht --VersR-- 2001, 1133) abweichen soll.
Das FG weicht überdies ganz offensichtlich nicht von diesen Entscheidungen ab. In dem BGH-Beschluss in NJW 2006, 1070 ging es um die Kontrolle der Einhaltung der eingetragenen Frist. Im Streitfall dagegen geht es nicht um die Überprüfung der Einhaltung der notierten Frist, sondern um deren Richtigkeit. Eine solche Überprüfung der Richtigkeit obliegt nach ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte dem Prozessbevollmächtigten selbst bei der Vorlage der Akten zur eigenen Bearbeitung (vgl. z.B. BGH-Beschlüsse vom 11. Februar 1992 VI ZB 2/92, NJW 1992, 1632, und vom 6. Februar 2007 VI ZB 41/06, NJW 2007, 1599; BFH-Beschluss vom 1. März 2005 VIII B 207/02, BFH/NV 2005, 1574).
Auch im BGH-Beschluss in VersR 2001, 1133 spielte die vorgenannte Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur Überprüfung der eingetragenen Frist bei Vorlage der Akten zur Bearbeitung keine Rolle. Es ging vielmehr um ein zweimaliges Versehen der Bürokraft, nämlich die Unterlassung der erstmaligen Eintragung in den Fristenkalender sowie das Unterbleiben einer vom Anwalt angeordneten Überprüfung der eingetragenen Frist.
2. Unzureichende Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist die materiell-rechtliche Auffassung des FG zugrunde zu legen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79, m.w.N.). Mithin konnte es auf die vom FG offengelassene Frage, ob ein Organisationsmangel vorlag, nicht ankommen.
Abgesehen davon sind die für die Rüge der mangelnden Sachaufklärung erforderlichen Voraussetzungen nicht in zulässiger Weise dargelegt worden (hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 69, m.w.N.).
3. Vortrag, das FG habe stillschweigend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt
Hierin könnte die Rüge zu sehen sein, das FG habe das Vorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung fehlerhaft beurteilt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 78).
Eine stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) durch ein Finanzgericht gibt es indessen nicht (BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390, unter IV. der Gründe). In der älteren Rechtsprechung des BFH ist zwar in Erwägung gezogen worden, dass ein Finanzamt stillschweigend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (damals "Nachsicht") gewähren kann (BFH-Urteil vom 19. Februar 1960 VI 82/58 U, BFHE 70, 582, BStBl III 1960, 216). Jedoch hat der BFH schon damals darauf hingewiesen, dass eine stillschweigende Nachsichtgewährung nicht schon allein darin zu sehen ist, dass das Finanzamt in sachliche Ermittlungen eintritt. Die stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das FG scheitert bereits daran, dass die Wiedereinsetzung durch förmliche Entscheidung zu treffen ist, an der --sofern nicht der Einzelrichter zuständig ist-- der ganze Senat mitzuwirken hat (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 57 f.).
Fundstellen