Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer kann nicht unter Berufung auf Art. 13 Abschn. B Buchst. d der 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977 (6. USt-Richtlinie) für den Besteuerungszeitraum 1979 Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze aus Kreditvermittlung begehren, die erst ab 1. Januar 1980 gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980 befreit sind.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Abschn. B Buchst. d; EWGVtr Art. 99-100, 189; UStG 1980 § 4 Nr. 8a
Tatbestand
Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) erzielte im Jahre 1979 aus Kreditvermittlungsgeschäften Umsätze in Höhe von 103 078,22 DM, für die sie unter Berufung auf Art. 13 Abschn. B Buchst. d der 6. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17 Mai 1977 - 6 USt-Richtlinie (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABIEG - Nr L 145/1 vom 13. Juni 1977) die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. a des am 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) begehrte. Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab und zog die Umsätze unter Anwendung der bis 31. Dezember 1979 geltenden Rechtsvorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1973 unter Anwendung des allgemeinen Steuersatzes zur Umsatzsteuer heran. Über die zum Finanzgericht (FG) erhobene Klage hat dieses noch nicht entschieden.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), nach der sich betroffene Personen aufgrund der verbindlichen Wirkung der Richtlinien auch bei unterbliebener Umsetzung in das nationale Recht auf Richtlinienregelungen vor den nationalen Gerichten berufen können (vgl. zur Umsatzsteuer das Urteil vom 1. Februar 1977 Rs. 51/76 EuGHE 1977, 133, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, 2. USt-Richtlinie (EWG), Art. 17 Rechtsspruch 1, Umsatzsteuer-Rundschau 1977 S. 90 - UStR 1977, 90 -), beantragte die Antragstellerin beim FG die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 1979 im angegriffenen Umfang. Das FG hat dem Antrag mit dem angefochtenen Beschluß (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 1981 S. 209 - EFG 1981, 209 -) stattgegeben mit der Begründung, daß die Frage der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien zugunsten des einzelnen Steuerpflichtigen ernstlich zweifelhaft sei. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage hat es die Beschwerde zugelassen.
Mit der Beschwerde begehrt das FA die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Ablehnung des Antrages auf Aussetzung der Vollziehung. Die Regelungen der Steuerbefreiungen in Art. 13 Abschn. B der 6. USt-Richtlinie gewährten nach übereinstimmender Auffassung aller Mitgliedstaaten diesen bei Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum, so daß sie kein unmittelbar geltendes Recht darstellten. Die Antragstellerin könne sich daher für die von ihr schon für das Jahr 1979 begehrte Steuerbefreiung ihrer Umsätze aus Kreditvermittlung nicht auf die Richtlinienregelung berufen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist begründet.
Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht vor.
Gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980, der gemäß Art. 16 des Gesetzes zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl I 1979, 1953, BStBl I 1979, 654) am 1. Januar 1980 in Kraft getreten ist, sind die Umsätze aus Kreditvermittlung steuerbefreit. Das Umsatzsteuergesetz 1973 enthielt eine solche Steuerbefreiung nicht. An diese innerhalb der Gesetzgebungskompetenz des Bundes (vgl. Art. 105 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -) getroffene gesetzliche Regelung sind die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gebunden (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG) wirkt nur insoweit auf das innerstaatliche Recht ein, als der Bund durch Gesetz gemäß Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte auf die EG übertragen hat.
Die der EG im Bereich der Umsatzsteuer übertragenen Rechte ergeben sich aus Art. 99, 100 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag - EWGV -). Das Instrumentarium der Rechtsetzung ergibt sich aus Art. 189 EWGV. Dieser unterscheidet zwischen Verordnungen (Art. 189 Abs. 2 EWGV) und Richtlinien (Art. 189 Abs. 3 EWGV). Eine Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die Richtlinie dagegen ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
Daraus folgt außerhalb jeden ernstlichen Zweifels, daß eine Richtlinie für die Vertragsstaaten verbindlich ist, ebenso aber auch, daß sie in den Vertragsstaaten kein unmittelbar geltendes Recht erzeugen kann. Die Antragstellerin kann sich daher für die Inanspruchnahme ihrer im Jahr 1979 aus Kreditvermittlungsgeschäften erzielten Umsätze nicht auf Art. 13 Abschn. B Buchst. d der 6. USt-Richtlinie berufen, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland entgegen ihren Verpflichtungen als Mitgliedstaat die Anpassung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegen der Richtlinie
nicht zum 1. Januar 1979 vorgenommen hat. Denn insoweit ist die alleinige Gesetzgebungskompetenz der Vertragsstaaten unberührt geblieben. In diesem Standpunkt stimmt der Senat mit der Entscheidung des französischen Conseil d'Etat vom 22. Dezember 1978 Nr. 11604 (Europäische Grundrechte, Zeitschrift, 1977 S. 251, StRK, EWG-Vertrag, Art. 189, Rechtsspruch 6) in vollem Umfang überein. Die ständige Rechtsprechung des EuGH zur Wirkungsweise von Richtlinien (vgl. z. B. Urteile vom 6. Oktober 1970 Rs. 9/70, EuGHE 1970, 844, StRK, Umsatzsteuergesetz 1967, Allgemeines, Rechtsspruch 4, UStR 1971, 55; vom 1. Februar 1977 Rs. 51/76, EuGHE 1977, 113, StRK, 2. Umsatzsteuer-Richtlinie (EWG), Art. 17, Rechtsspruch 1, UStR 1977, 90) bezieht sich demgegenüber nur auf das Recht der EG.
Ein Vorlagefall nach Art. 177 Abs. 3 EWGV ist daher nicht gegeben, ohne daß es noch darauf ankommt, daß hier in einem vorläufigen Verfahren entschieden wird (vgl. dazu Urteil des EuGH vom 24. Mai 1977 Rs. 107/76, EuGHE 1977, 957, StRK, EWG-Vertrag, Art. 177, Rechtsspruch 24).
Fundstellen
Haufe-Index 413685 |
BStBl II 1981, 692 |