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BFH Beschluss vom 16.08.1962 - I B 223/61 S

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Geschäftseinrichtung (z. B. ein Warenlager) einer Mineralölfirma im Sinne des § 16 Abs. 2 Ziff. 2 StAnpG am Orte der Betriebstätte eines selbständigen Tankstellenwartes setzt voraus, daß die Mineralölfirma die Verfügungsgewalt im Sinne der Entscheidung I B 156/58 S vom 9. März 1962 (BStBl 1962 III S. 227) über die Geschäftseinrichtung besitzt.

Die Verfügungsgewalt ist zu verneinen, wenn die Geschäftseinrichtung von der Mineralölfirma an den Tankstellenwart verpachtet worden ist.

 

Normenkette

GewStG § 28; StAnpG § 16 Abs. 2 Ziff. 2

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige, ein GmbH mit Sitz in A., betreibt die Fertigung und den Großhandel in Mineralölprodukten. Sie hat, wie in einer Reihe anderer Gemeinden, auch in der Stadt X. (Bfin.) eine Tankstelle errichtet, die sie an einen Tankstellenverwalter zum ausschließlichen Vertrieb ihrer Erzeugnisse überließ. Er hat die Treibstoffe im Namen und für Rechnung der Steuerpflichtigen gegen eine Vergütung auf Provisionsbasis zu verkaufen. Andere Erzeugnisse der Steuerpflichtigen hat er im eigenen Namen und für eigene Rechnung zu den von der Steuerpflichtigen festgesetzten Preisen zu verkaufen. Für die überlassung der Tankstelle hat er der Steuerpflichtigen eine Pacht von 100 DM monatlich zu entrichten. Der Tankstellenvertrag enthält im einzelnen weitgehende Bindungen des Tankstellenverwalters, um für die Gewährleistung der Ausschließlichkeitsklausel zu sorgen.

Bei der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags für den Erhebungszeitraum 1958 hat das Finanzamt auch der einzigen Gemeinde, in der damals die Steuerpflichtige eine ihr gehörige Tankstelle vergeben hatte, einen Zerlegungsanteil zugewiesen. Hierbei behandelte es 85 v. H. der Provisionen des Tankstellenverwalters als fiktiven Arbeitslohn. Bei der Zerlegung des für die Festsetzung von Gewerbesteuervorauszahlungen ab Erhebungszeitraum 1961 festgesetzten Gewerbesteuermeßbetrags ließ es die nunmehr größer gewordene Anzahl von Gemeinden unberücksichtigt, in denen Tankstellen der Steuerpflichtigen in dieser Weise von Tankstellenverwaltern betrieben wurden. Nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs I B 47/59 S vom 12. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 386, Slg. Bd. 71 S. 363) sei in der Regel die Anwendung des § 33 GewStG nicht gerechtfertigt, wenn der Geschäftsherr in seiner von einem selbständigen Handelsvertreter unterhaltenen Betriebstätte keine eigenen Arbeitnehmer beschäftige. Die Voraussetzungen des § 33 GewStG verneinte das Finanzamt. Bei der nach § 29 Abs. 1 Ziff. 2 GewStG durchgeführten Zerlegung sind nur der Sitzgemeinde und der Stadt B., in denen die Steuerpflichtige Arbeitslöhne zahlte, Zerlegungsanteile zugewiesen worden. Von den beteiligten Gemeinden legte die Bfin. gegen den Zerlegungsbescheid Beschwerde ein und beantragte, die Zerlegung abweichend von dem Regelmaßstab unter Berücksichtigung von 85 v. H. der von der Steuerpflichtigen an den Tankstellenverwalter gezahlten Provisionen gemäß § 33 GewStG vorzunehmen. Der Beschwerde hat sich die Gemeinde C. angeschlossen. Ohne ihrerseits Anschlußbeschwerde einzulegen, haben drei weitere Gemeinden zum Ausdruck gebracht, daß sie die Auffassung der Bfin. teilen. Dem Standpunkt des Finanzamts sind die Steuerpflichtige und die Sitzgemeinde beigetreten. Die übrigen Beteiligten haben von Stellungnahmen abgesehen.

Die Oberfinanzdirektion hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion hat die Bfin. weitere Beschwerde eingelegt. Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge mehr gestellt.

Die Bfin. ist der Auffassung, daß aus dem oben angegebenen Beschluß vom 12. Juli 1960 für die Zerlegung der Gewerbesteuermeßbeträge von Mineralölgesellschaften, die eine Tankstellenorganisation in der hier in Frage stehenden Weise aufgezogen hätten, nichts hergeleitet werden könne. Die Steuerpflichtige habe als Eigentümerin die volle Verfügungsmacht über die von ihr errichteten Tankstellen. Die Abhängigkeit des Tankstellenverwalters sei eine weit stärkere als die des Handelsagenten in der das Auslieferungslager betreffenden Entscheidung. Wenn auch die Gemeinden ihre Belastung durch die Existenz solcher Tankstellen im einzelnen nicht nachzuweisen vermöchten, sei diese durch den starken Verkehr, insbesondere mit schweren Tankwagen, der bei ihnen umgehe, evident.

 

Entscheidungsgründe

Die weitere Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 16 Abs. 2 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gilt als Betriebstätte unter anderem auch ein Warenlager, das dem Unternehmer oder seinem ständigen Vertreter zur Ausübung des Gewerbes dient. Der Reichsfinanzhof hat in ständiger Rechtsprechung, so in dem Urteil I 445/40 vom 24. März 1942, RStBl 1942 S. 714, die Ansicht vertreten, daß nicht jedes Lager, in dem sich Waren eines Unternehmens befinden, die Voraussetzungen für eine Betriebstätte dieses Unternehmens erfüllt. Voraussetzung einer Betriebstätte sei, daß sich hier die gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers und nicht diejenige eines anderen selbständigen Gewerbetreibenden entfalte. (Siehe z. B. Beschluß des Reichsfinanzhofs I B 1/27 vom 4. März 1927, RStBl 1927 S. 112, Slg. Bd. 20 S. 310, 315.)

In einer Reihe von Entscheidungen, so in IV B 47/33 vom 22. März 1934 (RStBl 1934 S. 523) und I 445/40, hat der Reichsfinanzhof zur Frage des Kommissionslagers Stellung genommen. Das Urteil I 445/40 führt unter anderem aus: Rechtsirrig sei die Ansicht des Oberfinanzpräsidenten, daß durch die Unterhaltung eines Kommissionslagers stets oder mindestens in der Regel eine Betriebstätte des Kommittenten am Niederlassungsort des Kommissionärs begründet werde. Dies sei nur in besonders zu begründenden Ausnahmen der Fall. Zur Begründung eines Betriebstätte eines Kommittenten am Niederlassungsort des Kommissionärs, der selbständiger Gewerbetreibender sei, sei ein Tätigwerden des Kommissionärs für den Gewerbebetrieb des Kommittenten erforderlich, das über den Rahmen des eigenen Gewerbes (des Kommissionärgeschäfts) hinausgehe. Maßnahmen und Handlungen des Kommissionärs, die nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts in den Rahmen seiner Kommissionstätigkeit fielen, könnten im Verhältnis zum Kommittenten im allgemeinen nur dem Gewerbebetrieb des Kommissionärs zugerechnet werden.

Der Reichsfinanzhof hat des weiteren ausgesprochen, daß ständiger Vertreter nicht nur ein Angestellter, sondern auch ein selbständiger Gewerbetreibender, z. B. ein Handlungsagent im Sinne des § 84 HGB sein könne, der ähnlich einem Angestellten eng an die Weisungen des Unternehmers gebunden sei. Im einzelnen siehe hierzu GewStR 1958 Abschn. 24 Abs. 5. Die Frage, wann eine Tätigkeit des selbständigen Vertreters auch dem Auftraggeber zugerechnet werden muß, ist in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht eindeutig. In dem Beschluß IV B 25/35 vom 15. November 1935 (RStBl 1935 S. 1533) hat er dies für den Abschlußagenten angenommen. Diese Entscheidung hat er in dem Urteil I 445/40 damit begründet, daß der Vertreter über seinen eigenen Gewerbebetrieb hinaus im Interesse des Vertretenen tätig geworden sei. Als "Organ" sei auch ein selbständiger Gewerbetreibender, z. B. ein Agent anzusehen, "soweit die von ihm ausgeübte Tätigkeit über den Rahmen seines eigenen Gewerbebetriebes hinausgehe" (Entscheidung des Reichsfinanzhofs IV B 47/33). Siehe auch Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 7/41 vom 23. April 1941 (RStBl 1941 S. 355).

Des weiteren ist Voraussetzung für die Annahme einer Betriebstätte des Unternehmers, daß Geschäftseinrichtungen vorliegen, die dem Unternehmer zur Ausübung des Gewerbes dienen. Wo bei einem Angestellten sich die geschäftliche Tätigkeit in seiner Wohnung abspielt, hat er gefordert, daß der Unternehmer "eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsgewalt über die Räumlichkeiten habe". Im einzelnen siehe Entscheidung des Reichsfinanzhofs I 272/39 vom 26. September 1939 (RStBl 1939 S. 1227, Slg. Bd. 47 S. 257). Gleichartige Grundsätze enthalten hinsichtlich des selbständigen Vertreters die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs I 432/38 und I 163/39, beide vom 19. Dezember 1939 (RStBl 1940 S. 25 und S. 26, Slg. Bd. 48 S. 72). Der Bundesfinanzhof hat zu dieser Frage in der Entscheidung I B 156/58 S vom 9. März 1962 (BStBl 1962 III S. 227) für den selbständigen Versicherungsvertreter Stellung genommen. Er hat dabei den Grundsatz aufgestellt, daß das Recht des Versicherungsunternehmens, die Räume des Vertreters zur Prüfung von Geschäftsvorfällen und zur Kontrolle des Geldverkehrs zu betreten, zur Annahme einer Betriebstätte nicht ausreiche, und zwar auch dann nicht, wenn das Versicherungsunternehmen von seinem Recht tatsächlich Gebrauch mache. Die Entscheidung hat den Begriff "der nicht nur vorübergehenden Verfügungsgewalt" gegenüber der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs wesentlich eingeschränkt.

Zur Frage des Vorliegens von Betriebstätten bei Tankstellen hat der Reichsfinanzhof in den Entscheidungen IV B 20/34 vom 28. Juni 1935 (RStBl 1935 S. 1023) und IV B 11/35 vom 11. September 1935 (RStBl 1935 S. 1231) Stellung genommen. Er hat hierbei die Grundsätze der Rechtsprechung für den selbständigen ständigen Vertreter wiederholt. Im Falle des Urteils IV B 20/34 wird im Tatbestand mitgeteilt, daß die Anlagen der Tankstelle im Eigentum der auftraggebenden Firma verblieben seien. Im Falle des Urteils IV B 11/35 wird mit Nachdruck betont, daß der auftraggebenden Firma die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über die Anlagen der Tankstelle zustehe.

Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so ergibt sich folgendes:

Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zur Frage, ob der selbständige Vertreter eine Tätigkeit für den Unternehmer ausübt, kann es zweifelhaft sein, ob eine solche Tätigkeit im Streitfall hinsichtlich des Tankstellenwarts nicht zu bejahen ist. Der Tankstellenwart ist eng an die auftraggebende Firma gebunden.

Bedeutsam ist jedoch, daß die Anlagen der Tankstelle an den Tankstellenwart verpachtet worden sind. Wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I B 148/59 U vom 30. August 1960 (BStBl 1960 III S. 468, Slg. Bd. 71 S. 585) ausgeführt wird, hat grundsätzlich bei Verpachtungen der Verpächter in dem verpachteten Betriebsvermögen keine Betriebstätte. Es besteht im allgemeinen lediglich eine Betriebstätte des Pächters, der seinen Gewerbebetrieb in den gepachteten Anlagen ausübt. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Es trifft wohl zu, daß der Pachtvertrag wirtschaftlich eng mit dem Vertrag über die Vertretung verbunden ist. Dies ändert aber nichts daran, daß sich die auftraggebende Firma ihrer Verfügungsgewalt über die Anlagen durch den Pachtvertrag begeben hat. Es muß hierbei beachtet werden, daß die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs größere Anforderungen an die Voraussetzungen stellt, unter denen Geschäftseinrichtungen der auftraggebenden Firma im Sinne des § 16 Abs. 2 Ziff. 2 StAnpG am Orte der Betriebstätte des selbständigen Vertreters bejaht werden können.

Im Streitfall geben die Unterlagen keine Veranlassung, derartige Geschäftseinrichtungen (ein Warenlager) der GmbH in der beschwerdeführenden Gemeinde zu bejahen. Es befinden sich wohl Waren der auftraggebenden Firma in der Tankstelle des selbständigen Vertreters. Aber diese Waren werden in Anlagen aufbewahrt, über die die auftraggebende Firma nicht mehr die Verfügungsgewalt hat. Ein "Warenlager" im Sinne dieser Bestimmungen setzt voraus, daß der Unternehmer die Verfügungsgewalt im Sinne der oben gemachten Ausführungen über den Lagerplatz hat. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Tankstellenwart eine Tätigkeit entfaltet, die im Sinne der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs der auftraggebenden Firma zuzurechnen ist. Es fehlt an der zweiten Voraussetzung, daß sich diese Tätigkeit in Einrichtungen vollziehen muß, über die die Auftraggeberin die Verfügungsgewalt hat. Dies gilt auch für das Warenlager.

Im übrigen müßte bei Annahme der Betriebstätte auch der Auffassung der Vorinstanzen gefolgt werden, daß der beschwerdeführenden Gemeinde keine Zerlegungsanteile nach § 29 Abs. 1 Ziff. 2 GewStG zugesprochen werden könnten. Die auftraggebende Firma beschäftigt in der Gemeinde keine eigenen Arbeitnehmer. Es ist auch nicht dargetan, daß der Gemeinde durch die Tankstelle ungewöhnliche Belastungen entstehen, die auf die Tätigkeit der auftraggebenden Firma zurückzuführen sind. Ihre allgemeinen Ausführungen hierzu hat die Oberfinanzdirektion zutreffend als nicht ausreichend angesehen. Nach den Grundsätzen des Beschlusses des Bundesfinanzhofs I B 47/59 S vom 12. Juli 1960 (BStBl 1960 III S. 386, Slg. Bd. 72 S. 363) kann ihr somit kein Zerlegungsanteil zugewiesen werden.

Die weitere Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410557

BStBl III 1962, 477

BFHE 1963, 573

BFHE 75, 573

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