Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Wertpapierhandel; grundsätzliche Bedeutung; unbeachtliche steuerliche Eigenqualifikation; Überraschungsentscheidung; Verstoß gegen den Akteninhalt
Leitsatz (NV)
1. Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb einerseits und der nicht steuerbaren Sphäre sowie anderen Einkunftsarten andererseits ist unter Berücksichtigung der einzelnen Umstände, die zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind, auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen.
2. Betrifft die aufgeworfene Rechtsfrage allenfalls einen einzelnen besonderen Umstand, der in die anzustellende Gesamtbetrachtung einfließt, so ist ihre grundsätzliche Bedeutung zu verneinen.
3. Eine vom Steuerpflichtigen vorgenommene Eigenqualifikation seiner Handlungen ist unbeachtlich, wenn sie nicht durch die tatsächlichen Gegebenheiten gedeckt ist, weil für die steuerrechtliche Qualifizierung einer Tätigkeit die Wertung nach objektiven Kriterien maßgeblich ist und nicht die vom Steuerpflichtigen subjektiv vorgenommene Beurteilung und gegebene Bezeichnung.
4. Die für die Abgrenzung von privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Wertpapierhandel als maßgeblich erachteten Merkmale der Professionalität werden nicht bereits durch rein formale Handlungen (z.B. Gewerbeanmeldung, Abgabe von Steuererklärungen, Verwendung eines Firmennamens) erfüllt, sondern können nur aufgrund einer materiellen Betrachtung bejaht werden.
5. Es stellt keine Überraschungsentscheidung dar, wenn das Finanzgericht einem in der Klageschrift mehrfach erörterten Tätigkeitsmerkmal nachgeht und bei der Auswertung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen, die eine unterschiedliche Interpretation zulassen, ohne ausdrücklichen Hinweis zu anderen Schlussfolgerungen als der Kläger kommt.
6. Ein Verstoß gegen den Akteninhalt liegt nicht vor, wenn das Finanzgericht das Vorbringen des Beteiligten im Tatbestand wiedergibt, jedoch anders wertet.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 25.05.2007; Aktenzeichen 14 K 1065/04) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind teils nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Art und Weise dargelegt, teils liegen sie nicht vor.
1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) machen für die Zulassung der Revision die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend. Entgegen ihrer Ansicht ist die von ihnen aufgeworfene Frage: "Können Tätigkeiten, die ihrer Art nach sowohl gewerblich als auch nicht gewerblich ausgeübt werden können, vom Steuerpflichtigen durch eine nach Außen erkennbare Zuordnungsentscheidung als gewerblich qualifiziert werden?", nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
a) "Grundsätzliche Bedeutung" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28) und im Streitfall klärungsfähig sein (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
b) Für den Streitfall war die Frage maßgeblich, ob die Wertpapiergeschäfte des Klägers als private Vermögensverwaltung oder als gewerblicher Wertpapierhandel zu qualifizieren waren. Zu dieser Rechtsfrage hat sich der BFH in mehreren Entscheidungen hinreichend geäußert und Maßstäbe entwickelt, die eine Beurteilung dieser Rechtsfrage im Grundsätzlichen ermöglichen. Danach ist bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb einerseits und der nicht steuerbaren Sphäre sowie anderen Einkunftsarten andererseits auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen. Das verlangt eine Berücksichtigung der einzelnen Umstände, die zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind (Senatsurteil vom 20. Dezember 2000 X R 1/97, BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706). In Zweifelsfällen ist maßgebend, ob die Tätigkeit, soll sie gewerblich sein, dem Bild entspricht, das nach der Verkehrsanschauung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist (Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C. I.; vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C. II.; Senatsurteil vom 30. Juli 2003 X R 7/99, BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408). Damit gewinnen Merkmale der Professionalität eine besondere Bedeutung (s. dazu die Ausführungen im Senatsurteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408, unter II. 2. d). Für die Tätigkeiten am Kapitalmarkt haben sie sich im Gesetz über das Kreditwesen und ergänzend im Wertpapierhandelsgesetz niedergeschlagen.
Schon vor diesem Hintergrund ist die grundsätzliche Bedeutung der von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfrage zu verneinen, da sie allenfalls einen einzelnen besonderen Umstand betrifft, der in die anzustellende Gesamtbetrachtung einfließt, zu gewichten und abzuwägen ist.
c) An der grundsätzlichen Bedeutung fehlt es im Streitfall aber auch aus einem weiteren Grund.
Wie die von den Klägern aufgeworfene Frage zeigt, folgern sie aus der Gewerbeanmeldung, der Zugehörigkeit zur Industrie- und Handelskammer und dem Beitritt zum "Verband Selbständiger und Gewerbetreibender", der Verwendung eines speziellen Briefbogens und der Einrichtung von Geschäftskonten der Kläger habe nach Außen erkennbar seine Wertpapiergeschäfte dem gewerblichen Bereich zugeordnet. Maßgeblich für die steuerrechtliche Qualifizierung einer Tätigkeit ist jedoch nicht deren vom Steuerpflichtigen subjektiv vorgenommene Beurteilung und gegebene Bezeichnung, sondern vielmehr die Wertung nach objektiven Kriterien. Es ist anerkannt, dass eine vom Steuerpflichtigen vorgenommene Eigenqualifikation seiner Handlungen rechtlich unbeachtlich ist, wenn sie nicht durch die tatsächlichen Gegebenheiten gedeckt ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 21. Oktober 1992 X R 99/88, BFHE 170, 41, BStBl II 1993, 289; vom 28. November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327; vom 28. Juni 2000 X R 48/98, BFH/NV 2000, 1468; vom 16. September 2004 X R 54/99, BFH/NV 2005, 677, und vom 5. November 2003 X R 34/02, BFH/NV 2004, 610). Dieser in erster Linie zur Beurteilung vertraglicher Vereinbarungen entwickelten Erkenntnis kommt allgemeine Bedeutung zu (vgl. BFH-Entscheidungen vom 22. Januar 1981 IV B 41/80, BFHE 132, 542, BStBl II 1981, 424; vom 17. Oktober 1996 X B 163/96, BFH/NV 1997, 525; vom 9. Oktober 1997 X B 51/97, BFH/NV 1998, 447; vom 30. Oktober 2001 VIII R 29/00, BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223, und vom 9. Dezember 2002 VIII R 20/01, BFH/NV 2003, 601). Die von den Klägern aufgeworfene Frage ist auch deshalb nicht mehr klärungsbedürftig.
2. Den weiteren von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen, ob die Gewerblichkeit eines Steuerpflichtigen zu bejahen ist, wenn er für seinen Wertpapierhandel ein Einzelunternehmen gründet und ein Gewerbe anmeldet, sich durch die Abgabe von Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen selbst als Unternehmer behandelt, durch die Verwendung seiner Firma im Geschäftsverkehr als Unternehmer auftritt und diese Merkmale alle kumulativ vorliegen, kommt keine zusätzliche Bedeutung zu. Sie umschreiben und entfalten der Sache nach lediglich die von den Klägern zuerst als Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfene Frage, die oben unter 1. bereits beantwortet worden ist.
Dies steht entgegen der Ansicht der Kläger nicht in Widerspruch zu den vom beschließenden Senat in seinem Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 als maßgeblich für die Abgrenzung von privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Wertpapierhandel erachteten Merkmale der Professionalität. Sie werden nicht bereits durch rein formale Handlungen erfüllt, sondern können nur aufgrund einer materiellen Betrachtung bejaht werden. Dies verkennen die Kläger, wenn sie aus den genannten formalen Schritten des Klägers folgern, die Gesamtwürdigung seiner Wertpapiergeschäfte hätte zwingend zur Annahme eines Gewerbebetriebs führen müssen.
3. Die Kläger rügen, das angefochtene Urteil stelle eine Überraschungsentscheidung dar und leide an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, weil es unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) ohne ausdrücklichen Hinweis die Schlussfolgerung enthalte, er sei seinen Wertpapiergeschäften nicht im Rahmen einer Haupttätigkeit nachgegangen. Diese Rüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05, BFH/NV 2006, 601, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 601; vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962). Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (BFH-Entscheidungen vom 3. März 1998 VIII R 66/96, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383, unter I. 2. der Gründe, m.w.N., und vom 26. April 2000 III B 47/99, BFH/NV 2000, 1451).
b) Dass für die Abgrenzung der privaten Vermögensverwaltung vom gewerblichen Wertpapierhandel die Frage von Bedeutung ist, ob der Steuerpflichtige den Wertpapiergeschäften im Rahmen einer Haupttätigkeit nachgeht, war dem Kläger klar. Das ergibt sich bereits aus der Klageschrift. In ihr beruft sich der Kläger mehrfach darauf, die Wertpapiergeschäfte im Rahmen einer Haupttätigkeit betrieben zu haben. Deren Bedeutung für die steuerrechtliche Beurteilung seiner Wertpapiergeschäfte stellte er nicht zuletzt vor dem Hintergrund heraus, dass er nicht für fremde, sondern ausschließlich --nach seiner Auffassung wie ein Finanzunternehmen-- für eigene Rechnung gehandelt habe. Es lag deshalb nahe, dass das Finanzgericht (FG) dieses Kriterium einer Prüfung unterzieht. Dazu hat sich das FG ausschließlich auf eigene Unterlagen des Klägers gestützt, deren Inhalt für ihn keine Überraschung enthalten kann. Genauso wenig liegt in den daraus vom FG gezogenen Schlussfolgerungen für die fachkundig vertretenen Kläger eine Überraschung. Aufgrund der Möglichkeit, die Unterlagen des Klägers unterschiedlich zu interpretieren, lag die Annahme des FG nicht fern, dass der relativ geringe Umfang der Wertpapiergeschäfte die Annahme einer Haupttätigkeit nicht rechtfertigt. Es wäre also ohne die Notwendigkeit eines besonderen Hinweises Sache der Kläger gewesen, spätestens im Laufe des Klageverfahrens der sich aus seinen Unterlagen möglichen Schlussfolgerung Tatsachen entgegenzustellen, die dem FG eine andere Beurteilung des Ausmaßes und Charakters seiner Tätigkeit ermöglicht hätten.
4. Die Kläger rügen, das angefochtene Urteil verstoße gegen den klaren Inhalt der Akten und verletze daher § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG im Widerspruch zum Akteninhalt festgestellt habe, der Kläger habe die private und geschäftliche Vermögenssphäre nicht getrennt. Diese Rüge rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.
a) Das Vorbringen, mit dem angefochtenen Urteil habe das FG gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, muss besonders detailliert begründet werden, weil ein solcher Einwand sowohl das materielle Recht als auch die Handhabung von Verfahrensrecht betreffen kann (s. BFH-Beschluss vom 5. April 1994 V B 164/93, BFH/NV 1995, 883, und vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947, sowie Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80, m.w.N.). Nur wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist, ist § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 96 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (BFH-Beschlüsse vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673; vom 19. Dezember 2007 X B 89/07, BFH/NV 2008, 599).
b) Die Kläger lassen außer Acht, dass das FG im Tatbestand die vom Kläger für seine Wertpapiergeschäfte eröffneten Bankverbindungen genannt hat. Ebenso hat es die Umstellung eines Oder-Kontos in ein allein auf den Kläger lautendes Depotkonto festgehalten. Das FG hielt diese Maßnahmen augenscheinlich jedoch nicht für ausreichend. Es maß vielmehr dem Umstand ausschlaggebende Bedeutung bei, dass dem Kläger für seine Wertpapiergeschäfte ohne eine Vereinbarung oder Beauftragung im Wesentlichen das Vermögen der Klägerin zur Verfügung stand. Daraus folgerte es das Fehlen der Trennung der beiden Vermögenssphären. Somit hat das FG die von den Klägern vorgebrachten Tatsachen lediglich anders gewertet. Dass es nicht die von den Klägern erwarteten Schlussfolgerungen gezogen hat, begründet jedoch keinen Verfahrensfehler (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 108).
Fundstellen
Haufe-Index 2067735 |
BFH/NV 2008, 2024 |