Leitsatz (amtlich)
Ist die Abänderung eines in § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO angeführten Verwaltungsaktes beantragt, so darf das FG den Verwaltungsakt nicht nach freiem Ermessen in vollem Umfang aufheben. Die Festsetzung des in den Urteilsgründen festgestellten Betrages obliegt dem FG nach pflichtgemäßem Ermessen. Die pflichtgemäße Handhabung dieses Ermessens führt grundsätzlich zur Festsetzung des Betrages.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 1, § 100 Abs. 1-2
Tatbestand
I. Sachverhalt
Der IV. Senat des BFH hat mit Beschluß IV R 263/66 vom 28. August 1968 (BFH 93, 40, BStBl 11 1968, 661) dem Großen Senat des BFH folgende Rechtsfragen zur Entscheidung gemäß § 11 Abs. 4 FGO vorgelegt:
1. Muß das FG im Fall des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO den angefochtenen Verwaltungsakt abändern oder kann es sich nach seinem freien Ermessen darauf beschränken, den Verwaltungsakt aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO)?
2. Wie wäre, falls der Große Senat die Frage zu 1. dahin beantworten sollte, daß die Entscheidung im freien Ermessen des FG liege, im Fall der Aufhebung über die Kosten zu entscheiden, wenn das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils den Kläger nur in einem oder einigen von mehreren Streitpunkten recht, in einem oder mehreren anderen Streitpunkten dagegen unrecht gab?
Der beim IV. Senat anhängigen Revision liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hatte dem Kläger und Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG für Nebeneinkünfte in Höhe von 1 557 DM aus unterrichtender Tätigkeit bei der Einkommensteuer-Veranlagung 1963 versagt und auch den Härteausgleich nach § 46 Abs. 5 EStG in Verbindung mit § 70 EStDV nicht gewährt. Mit der Klage begehrte der Steuerpflichtige die Tarifvergünstigung und darüber hinaus den Härteausgleich. Das FG verneinte die Voraussetzungen der Tarifvergünstigung, sprach dem Kläger aber den Härteausgleich zu. Dabei gab es dem Urteilstenor folgende Fassung:
"Der Einkommensteuer-Bescheid 1963 vom 19. August 1965 und die Einspruchsentscheidung vom 5. November 1965 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last."
Das FG vertrat insoweit die Auffassung, daß der Verwaltungsakt (Einkommensteuer-Bescheid 1963) rechtswidrig, der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt sei und deshalb der Einkommensteuer-Bescheid und die Einspruchsentscheidung gemäß § 100 Abs. 1 FGO aufzuheben gewesen seien. Die Kostenentscheidung begründete es damit, daß der Steuerbescheid entsprechend dem Antrag des Steuerpflichtigen aufgehoben worden, demnach das FA unterlegen sei und es deshalb die Kosten tragen müsse. Eine Aufteilung der Kosten im Verhältnis des Obsiegens und des Unterliegens des Steuerpflichtigen hielt das FG nicht für möglich, weil es für die Kostenentscheidung allein auf das Verhältnis des Klageantrags zum Urteilsausspruch ankomme. Bilde die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheids den Streitgegenstand, dann könne darüber jeweils nur als Einheit entschieden werden. Die Festsetzung der Steuer durch das Gericht nach § 100 Abs. 2 FGO stelle nur ein Anhängsel an das Rechtsschutzverfahren dar. Die Ermittlung und Festsetzung der zutreffenden Steuer obliege der Verwaltung. Auch wenn das Gericht die Steuer nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO selbst festsetze, dürfe dies nicht zu einer ungünstigeren Kostenentscheidung führen als in dem Falle, in dem das Urteil nur die Aufhebung des Bescheides ausspreche.
Gegen diese Entscheidung wandte sich das FA mit dem Revisionsantrag, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Es ist der Meinung, daß es nicht in völlig freiem Ermessen des Gerichts stehe, ob es von der Möglichkeit des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO Gebrauch mache. Der vom Steuerpflichtigen erbetene gerichtliche Rechtsschutz fordere, daß das Gericht ihm diesen Rechtsschutz auch möglichst in abschließender Weise gewähre. Im Streitfall sei die Steuerfestsetzung einfach gewesen. Das FG habe daher von seinem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Es bestünden gewisse Zweifel, ob die mit dem Wort "kann" in § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO ausgedrückte Befugnis des Gerichts in eine regelmäßige Pflicht umgedeutet werden könne. Dem Gesetz entspreche es am besten, die Möglichkeit einer teilweisen Aufhebung des Bescheides anzunehmen. Dies werde neuerdings auch von einzelnen FG und im Schrifttum für möglich gehalten. Im Falle der Teilaufhebung sei es nicht notwendig, den wegfallenden bzw. verbleibenden Steuerbetrag genau zu errechnen. In der Urteilsformel sei nur die Feststellung zu treffen, daß z. B. weitere Betriebsausgaben in Höhe von ... DM bei der Einkommensteuer-Veranlagung ... zu berücksichtigen sind. Bei Annahme einer Teilaufhebung ergebe sich die Kostenentscheidung aus einer überschlägigen Berechnung des Unterschieds zwischen der festgesetzten Steuer und der nach der Entscheidung des Gerichts festzusetzenden Steuer unter annähernder Beachtung des Verhältnisses des Obsiegens und des Unterliegens.
Verletzt seien auch die Bestimmungen der §§ 135, 136 FGO. Denn das FG hätte dem FA die Kosten nur in dem Umfang auferlegen dürfen, in dem es tatsächlich unterlegen sei.
Der dem Verfahren beigetretene BdF ist der Meinung, der Grundsatz der Verfahrensökonomie verlange, alle verfahrensrechtlichen Mittel einzusetzen, damit die Streitsache schnell und endgültig entschieden werde. Das bedeute für den Steuerprozeß, daß das Gericht den nach seiner Auffassung zutreffenden Steuerbetrag nach Möglichkeit selbst festsetzt und dadurch eine abschließende Entscheidung trifft. Dem Willen des Gesetzgebers, dem Wesen des Steuerfestsetzungsverfahrens und den Interessen sowohl der Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtigen werde nur eine Auslegung des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO in dem Sinne gerecht, daß das Gericht verpflichtet sei, die von ihm festgestellte Steuer durch Änderung des Bescheides selbst festzusetzen. Diese Auffassung widerspreche auch nicht dem durch die FGO herbeigeführten Wandel des steuergerichtlichen Verfahrens zum echten Rechtsschutzverfahren, insbesondere nicht dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wie gelegentlich behauptet werde. Die Funktionen der Staatsgewalt seien nicht scharf voneinander getrennt. Verboten sei lediglich ein Übergreifen in den Kernbereich einer anderen Staatsgewalt. Da an ein Tätigwerden der Gerichte im Bereich der Verwaltung ein großzügigerer Maßstab angelegt werden könne als umgekehrt, könnten gegen die Festsetzung des Steuerbetrags durch die Gerichte verfassungsmäßige Bedenken nicht bestehen. In bestimmten Sonderfällen, in denen eine Änderung des Steuerbetrags durch das Gericht nicht möglich sei, sei dem FG die Aufhebung des Verwaltungsakts gestattet. Im übrigen seien die Steuerbescheide hinsichtlich des in ihnen festgesetzten Betrages teilbar und deshalb im Falle einer teilweisen Rechtswidrigkeit teilweise aufhebbar. Die Kostenentscheidung richte sich im Falle der teilweisen Entscheidung nach dem materiellen Ergebnis des Verfahrens.
Entscheidungsgründe
II. Zulässigkeit der Vorlage
Die Vorlage ist zulässig, denn die vom IV. Senat gestellten Rechtsfragen sind von grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage, ob die FG nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO verpflichtet sind, den Abänderungsbetrag selbst festzusetzen oder ob dies in ihrem freien Ermessen steht, ist für eine große Zahl der von den FG zu treffenden Entscheidungen von Bedeutung. Zwar hat der VI. Senat des BFH die Vorschrift des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO dahin ausgelegt, daß die FG verpflichtet sind, den anderweitig festgestellten Steuerbetrag selbst festzusetzen (vgl. Urteile VI R 185/66 vom 13. Juli 1967, BFH 89, 464, BStBl III 1967, 674; VI R 217, 218/67 vom 15. Dezember 1967, BFH 91, 141, BStBl II 1968, 205 und VI R 292/67 vom 23. Februar 1968, BFH 91, 523, BStBl II 1968, 415). Der anrufende IV. Senat des BFH will offenbar auch von dieser Rechtsprechung nicht abweichen. Um aber eine abweichende Beurteilung dieser Frage hintanzuhalten, hat sie der IV. Senat des BFH mit Recht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 11 Abs. 4 FGO dem Großen Senat vorgelegt.
III. Entscheidung der vorgelegten Rechtsfragen
1. Nach § 40 Abs. 1 FGO kann in den Fällen des § 100 Abs. 2 FGO auch die Änderung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Die Anfechtungsklage in dieser Form trägt dem Umstand Rechnung, daß Steuerbescheide im Regelfall nicht in vollem Umfang, sondern nur in Höhe eines Teilbetrags der festgesetzten Steuer rechtswidrig und die Steuerpflichtigen nur insoweit in ihren Rechten verletzt sind. Zur Beseitigung dieser Rechtswidrigkeit und der dadurch verursachten Rechtsverletzung bedarf es daher im Regelfalle nur einer berichtigenden Abänderung des fehlerhaft festgesetzten Abgabenbetrags. Diesem Bedürfnis nach Rechtsschutz bei Bescheiden der in § 229 AO angeführten Art wird die in § 40 Abs. 1 FGO erwähnte Anfechtungsklage auf Änderung des Steuerbescheids gerecht. Den mit Hilfe der Klage begehrten Rechtsschutz gewährt das Gericht in Form des Urteils. Die FGO sieht den Klagemöglichkeiten entsprechende Urteilsformen vor (vgl. § 100 Abs. 1 bis 3 FGO). Die Vorschrift des § 100 Abs. 2 FGO enthält die Form des Urteils, das auf die auf Änderung des Bescheids gerichtete Klage zu ergehen hat.
a) Es ist ein allgemeiner prozeßrechtlicher Grundsatz, daß das Gericht eine das Rechtsschutzbegehren der Parteien vollständig erledigende Antwort geben muß, aber auch nicht über das Begehren der Parteien hinausgehen darf; das Gericht ist dabei an die Fassung der Anträge nicht gebunden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Das Gericht hat also zunächst festzustellen, was der Kläger tatsächlich mit der Klage erreichen will. Erstrebt der Kläger nur die Abänderung des angefochtenen Verwaltungsakts, so darf das Gericht den Verwaltungsakt nicht voll aufheben, auch wenn der Antrag entsprechend gefaßt ist. Dies ist insbesondere bei der Klage gegen einen Steuerbescheid von Bedeutung, wenn von vornherein oder auf Anfrage (§ 76 Abs. 2 FGO) für das Gericht zu erkennen ist, daß der Kläger den im Steuerbescheid festgesetzten Betrag nur in einer bestimmten Höhe für fehlerhaft hält und es ihm nur insoweit um eine Abänderung des Bescheides zu tun ist. In diesem Falle darf das Gericht den angefochtenen Bescheid nicht voll aufheben, auch wenn der Antrag des Klägers dahin gehen sollte. Andernfalls würde das Gericht über das eigentliche Klagebegehren hinausgehen und damit § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzen.
b) Aber auch der Zusammenhang der Absätze 1 und 2 des § 100 FGO gestattet dem Gericht nicht, bei einer Klage auf Abänderung eines der in § 100 Abs. 2 FGO bezeichneten Verwaltungsakte den angefochtenen Verwaltungsakt im ganzen aufzuheben. Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO hebt das Gericht im Falle einer Anfechtungsklage den angefochtenen Verwaltungsakt auf, "soweit" er rechtswidrig ist. Daraus ergibt sich, daß ein Verwaltungsakt nur in dem Umfang aufgehoben werden kann, in dem er rechtswidrig ist und dadurch die Rechte des Klägers verletzt. Ist ein Verwaltungsakt nur teilweise rechtswidrig, kann er danach nur insoweit aufgehoben werden, als seine Rechtswidrigkeit reicht, vorausgesetzt, daß er auch ohne den rechtswidrigen Teil erlassen worden wäre.
Dabei kann es in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob eine Abänderung gleichzeitig auch eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts beinhaltet, wie das BVerwG im Urteil V c 60/55 vom 27. September 1955 (Die öffentliche Verwaltung 1956 S. 505) und Lücke (Juristenzeitung 1959 S. 257) annehmen, und ob eine solche Teilaufhebung mit Rücksicht auf den Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344) möglich und zulässig ist.
Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß das FG, wenn nur die Abänderung eines der in § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO angeführten Verwaltungsakte beantragt ist, den angefochtenen Verwaltungsakt nicht nach freiem Ermessen in vollem Umfang aufheben darf.
Der Große Senat stimmt insoweit der angeführten Rechtsprechung des VI. Senats des BFH und auch dem Vorlagebeschluß zu, die übereinstimmend die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts in vollem Umfang in den Fällen des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO verneinen.
2. Bei der Auslegung des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO ist weiter die Frage zu entscheiden, ob das Gericht der Klage auf Abänderung des Bescheids nur in der Form entsprechen kann, daß es im Urteilstenor den abzuändernden Betrag selbst festsetzt.
Auszugehen ist vom Wortlaut des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO. Danach "kann" das Gericht, wenn es einen anderen Betrag feststellt, diesen selbst festsetzen. Dieser Wortlaut läßt eine mehrfache Deutung zu. Nach dem üblichen Wortsinn könnte dem Gericht damit ein freies Ermessen eingeräumt sein, den in den Urteilsgründen festgestellten, von den im angefochtenen Verwaltungsakt abweichenden Betrag auch selbst festzusetzen. Für diese Auslegung könnte auch die Entstehungsgeschichte herangezogen werden. In der amtlichen Begründung zum Entwurf einer Finanzgerichtsordnung ist zu dem der Vorschrift des § 100 FGO entsprechenden § 98 des Entwurfs folgendes ausgeführt: "Ob das Gericht von seiner Befugnis, den Verwaltungsakt selbst zu ändern, Gebrauch macht, liegt in seinem Ermessen. Es kann sich auch bei dem auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt nur auf eine Kassation beschränken." (Vgl. Bundestagsdrucksache IV 1446, S. 55).
Der Wortlaut des Gesetzes läßt sich aber auch in dem Sinn verstehen, daß dem Gericht in Abweichung vom Kassationsprinzip des § 100 Abs. 1 FGO die Befugnis eingeräumt sein soll, den festgestellten Betrag selbst festzusetzen, ohne daß dies zugleich in sein freies Ermessen gestellt sein soll.
Der Große Senat ist der Auffassung, daß dem FG mit dem Worte "kann" in Abweichung von § 100 Abs. 1 FGO einerseits die Befugnis übertragen ist, den Betrag selbst festzusetzen, ihm andererseits aber auch dadurch ein Ermessen eingeräumt ist. Von diesem Ermessen hat das FG allerdings pflichtgemäß Gebrauch zu machen. Die pflichtgemäße Handhabung des Ermessens führt aber grundsätzlich zur Festsetzung des Änderungsbetrages. Dies ergibt sich schon daraus, daß nur mit der Festsetzung des Änderungsbetrages der Klage auf Abänderung des Bescheids voll entsprochen ist und nur damit das Gericht seiner auf einem allgemeinen Prozeßgrundsatz beruhenden Pflicht, das klägerische Begehren voll zu erledigen, nachgekommen ist. Dieser Pflicht kann sich das Gericht auch nicht aus dem Grund entziehen, weil der Kläger etwa nur die Anerkennung von bestimmten Ausgaben als Betriebsausgaben, Sonderausgaben und ähnliches begehrt und die Auswirkung des klägerischen Begehrens auf den Steuerbetrag selbst vom Gericht erst ermittelt werden muß. Die Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrags entspricht nämlich letztlich auch der Aufklärungspflicht der FG (vgl. BFH-Urteil VI R 185/66, a. a. O.). Die mit der Festsetzung des Betrages verbundene Arbeitsbelastung rechtfertigt allein nicht, davon abzusehen.
Gegen diese Auffassung kann auch nicht eingewendet werden, daß die Festsetzung des Steuerbetrages durch das Gericht einen Eingriff der Rechtsprechung in die Verwaltung darstelle bzw. die Gerichte Verwaltungstätigkeit ausübten. Diese Auffassung würde die Aufgabe der Gerichte im Steuerprozeß verkennen. Hat der Kläger die Möglichkeit, die Abänderung eines Steuerbescheids mit Hilfe einer Klage zu erstreben, so ergibt sich aus der Natur des Prozeßrechtsverhältnisses, daß das Gericht mit seinem Urteilsspruch das klägerische Begehren, wenn und soweit es gerechtfertigt ist, verfahrensrechtlich einwandfrei nur in der Form erledigen kann, daß es den Betrag festsetzt.
Dagegen läßt sich auch nicht anführen, daß dann, wenn die Gerichte grundsätzlich den Betrag festzusetzen haben, sich an der Stellung der FG gegenüber dem früheren Rechtsmittelverfahren nach der AO nichts ändert. Dabei wird übersehen, daß die FG nach dem Rechtsmittelverfahren der AO auf die eingelegte Berufung hin den angefochtenen Steuerbescheid in vollem Umfang ohne Bindung an die Anträge der Parteien zu überprüfen hatten. Auf diese Weise diente das Berufungsverfahren in erster Linie der Kontrolle der Verwaltung. Nach der FGO gewährt das Rechtsmittelverfahren in erster Linie dem Steuerpflichtigen Rechtsschutz. Gerade dieser Zweck des finanzgerichtlichen Verfahrens gebietet es aber, den Betrag endgültig festzusetzen, weil damit der erstrebte Rechtsschutz uneingeschränkt gewährt wird. Andernfalls besteht für den Steuerpflichtigen die Gefahr, ein erneutes Verwaltungsverfahren mit sich anschließendem Anfechtungsverfahren in Gang setzen zu müssen.
Zusammenfassend ist demnach festzustellen, daß die Festsetzung des in den Gründen festgestellten Betrages dem FG nach pflichtgemäßem Ermessen obliegt. Die pflichtgemäße Handhabung dieses Ermessens führt grundsätzlich zur Festsetzung des Betrages.
Da in dem der Anrufung des Großen Senats zugrunde liegenden Streitfall das FG den Steuerbetrag ohne Schwierigkeit festsetzen konnte, brauchte nicht auf die Frage eingegangen zu werden, wie das FG zu entscheiden gehabt hätte, wenn ihm eine solche Festsetzung bei pflichtgemäßer Handhabung des Ermessens nach den dargestellten Grundsätzen nicht möglich gewesen wäre.
3. Die Entscheidung der Frage 2. erübrigt sich im Hinblick darauf, daß im Anrufungsfalle das FG den in den Gründen festgestellten Betrag bei Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO im Urteil festzusetzen hatte und sich aus dieser Festsetzung das Ausmaß des Obsiegens bzw. Unterliegens ohne weiteres erkennen und berechnen läßt.
4. Der Große Senat beantwortet daher die vom IV. Senat gestellten Fragen wie folgt:
Ist die Abänderung eines in § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO angeführten Verwaltungsaktes beantragt, so darf das FG den Verwaltungsakt nicht nach freiem Ermessen in vollem Umfang aufheben. Die Festsetzung des in den Urteilsgründen festgestellten Betrages obliegt dem FG nach pflichtgemäßem Ermessen. Die pflichtgemäße Handhabung dieses Ermessens führt grundsätzlich zur Festsetzung des Betrages.
Fundstellen
Haufe-Index 412930 |
BStBl II 1969, 192 |
BFHE 94, 436 |